Jean-Claude Juncker: EU-Aussenpolitik gehört in die Kommission

SZ: In Europa ist ein Kampf ausgebrochen um das künftige Machtzentrum der Europäischen Union. Wer soll Ihrer Meinung nach der EU ein Gesicht geben - ein Präsident beim Ministerrat oder der Chef der Kommission?

Jean-Claude Juncker: Niemand sollte sich wundern, dass jetzt eine breite Debatte über die Zukunft Europas ausgebrochen ist. Das wollten wir, dafür haben wir ja jenen Konvent eingesetzt, der über grundlegende Reformen berät. Nun kommen aus allen Himmelsrichtungen die Ideen. Nur, leider streiten wir Europäer schon wieder über das falsche Thema.

SZ: Über Posten statt über Inhalte?

Jean-Claude Juncker: Ja, dieser Streit um die Frage, wer die EU führen soll - ein neuer EU-Präsident oder der Chef der Brüsseler Kommission - ist die falsche Debatte. Wir Europäer sollten über die Ziele der Union reden und erst danach über die nötigen Mittel. Jetzt wird wieder diskutiert: "Wer macht das?", statt vorher zu fragen: "Was wollen wir zusammen machen?" Da sind einige voreilige Pistenleger am Werk, die inszenieren eine typische europäische Dramaturgie: Schon wieder geht es um die Vormachtstellung in Europa - ich hätte lieber eine Diskussion, wie wir zu einer Vormachtstellung für Europa in der Welt kommen.

SZ: Spaniens Premier Aznar scheint entschlossen, schon beim Gipfel Ende Juni in Sevilla die Machtfrage zu stellen. Dort will er die Idee eines EU-Präsidenten diskutieren.

Jean-Claude Juncker: Ich warne davor, den Konvent zu unterlaufen. Wenn wir jetzt weitreichende Vorschläge machen oder sogar beim Gipfel in Sevilla beschließen, dann tötet das doch die Debatte. Es darf in Sevilla keine Vorfestlegungen geben.

SZ: Was antworten Sie Herrn Aznar, wenn er dennoch in Sevilla das Amt eines EU-Prasidenten ins Spiel bringt?

Jean-Claude Juncker: Die Sache ist in der Welt, also muss man darüber reden. Wenn ein Kollege seine Ideen vortragen will - einverstanden. Aber beschlossen wird in Sevilla nichts. Und wir sollten uns fragen, welche Rolle die EU-Kommission in Zukunft spielen soll.

SZ: Deren derzeitiger Chef Romano Prodi fürchtet, ein neuer EU-Präsident werde ihn in den Schatten stellen.

Jean-Claude Juncker: Wenn ich den Vorschlag so werten muss, dass dieser EU-Präsident vorgeschoben wird, um der Kommission ihre zentrale Rolle streitig zu machen, dann mache ich das nicht mit. Das hieße ja, dass die zentrale Figur der Europäischen Union sozusagen per Griff in die intergouvernementale Kiste geschaffen würde. Wir brauchen nicht noch mehr klassische Zusammenarbeit der Regierungen, sondern mehr Gemeinschaftliches. Ich will keinen Rückmarsch in Zeiten vor der Gründung von EG und EU.

SZ: Fürchten Sie, die großen EU-Länder brüten da etwas aus hinter dem Rücken der kleineren Mitgliedstaaten?

Jean-Claude Juncker: Wenn es so wäre, dann müssten die großen Länder beim ersten Versuch, mit dieser Idee in der EU zu landen, feststellen: Dafür gibt es in Europa keine Piste, das führt zu einem Crash. Die großen Länder haben kein Ideen-Monopol zur Gestaltung von Europas Zukunft. Bisher habe ich aus Madrid und anderswo nur ein gewisses Windsäuseln in meinen Gardinen beobachtet, eine wirkliche Konsultation war das nicht. Zumindest aus Berlin aber vernehme ich keine Signale, die mich in Angst und Schrecken versetzen.

SZ: Eine Aufgabe eines EU-Prasidenten soll nach britischer Vorstellung sein, Europas Rolle in der Welt sichtbarer zu machen.

Jean-Claude Juncker: Das ist ja auch nötig, Europa muss lernen, mit einer Stimme zu sprechen. Nur, wir Benelux-Länder haben deshalb mehrfach gefordert, die Außenpolitik im Schoße der Kommission anzusiedeln. Das geht nicht im Handumdrehen - aber das ist die richtige Richtung. Auf keinen Fall sollten wir eine Zwischenetappe einlegen, die die Sicherheitspolitik noch stärker zu einer Alleinveranstaltung der Regierungen macht.

SZ: Ein EU-Außenminister gehört in die Kommission, er sollte nicht beim Ministerrat sitzen?

Jean-Claude Juncker: Langfristig muss es so sein.

SZ: Romano Prodi schlägt nun vor, das Amt von Javier Solana, den Hohen Repräsentanten, in einen Vizepräsidenten der Kommission zu verwandeln.

Jean-Claude Juncker: Im Prinzip hat die Kommission da recht. Wer Europas Integration zu Ende denkt, muss zu diesem Ergebnis kommen. Ich fand es gut, dass die Kommission jetzt Klartext gesprochen hat. Auch die Außen- und Sicherheitspolitik muss nach erprobter EU-Methode erarbeitet werden, also stets auf Vorschlag der Kommission und per Beschluss von Ministerrat und Parlament.

SZ: Die Kommission soll ein Monopol für außenpolitische Initiativen haben?

Jean-Claude Juncker: Auf lange Sicht, ja. Aber das wird, so wie in Europa die Temperamente gestimmt sind, dauern. Das werden wir bis 2004, also bis zum Ende des Reformkonvents und der anschließenden Regierungskonferenz, nicht schaffen.

SZ: Prodi will mehr Macht, er sagt aber nicht, ob die Kommission künftig gewählt werden soll. War das ein Fehler?

Jean-Claude Juncker: Ich fürchte ja. Ich zähle prinzipiell zu jenen die glauben, die Kommission solle auf allen Politikfeldern eine starke zentrale Rolle spielen. Aber dann muss man sich fragen, wie eine derartig mächtige Exekutive sich demokratisch besser legitimiert. Wie kommen die Damen und Herren Kommissare zu ihrem Amt? Ich sähe es am liebsten, jeder Kommissar würde in seinem Land direkt gewählt. Wir können doch nicht wie früher in Brüssel mit einer Altherrenmannschaft antreten, das muss die europäische Spitzengarnitur sein.

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