Jean-Claude Juncker: Ich verstehe, dass die Schweiz bockt

Herr Premierminister, vergangene Woche haben in Luxemburg die Finanzminister der EU über Sanktionen gegen die Schweiz diskutiert, um sie beim Bankgeheimnis zu einem Einlenken zu bewegen. Sie haben sich klar gegen solche Druckversuche ausgesprochen. Was hat Sie dazu motiviert?

Jean-Claude Juncker: Als Vertreter eines Kleinstaates kann ich gut nachvollziehen, wie es ist, wenn einem von oben herab erklärt wird, wie man sich zu verhalten hat. Ich verstehe, dass die Schweiz in solchen Fällen bockig reagiert. Das wäre in Luxemburg genauso. Ich mag es nicht, wenn die Schweiz als "Irak der Alpen" behandelt wird. Eine derart feindselige Haltung wird den guten Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz in keiner Weise gerecht.

Um eine umfassende Zinsbesteuerung in Europa zu erzielen, will die EU erreichen, dass Banken und Behörden Kundennamen, Adressen und Kontoinformationen austauschen. Hat dieses Modell Zukunft?

Jean-Claude Juncker: Eine deutliche Mehrheit der EU-Staaten hat sich dezidiert dafür ausgesprochen. Auch Luxemburg, Österreich und mit Abstrichen Belgien haben dies getan. Allerdings werden wir diesen Weg nur dann einschlagen, wenn Drittstaaten wie die Schweiz, die Vereinigten Staaten, das Fürstentum Liechtenstein, Monaco, San Marino und Andorra sich ebenfalls in Richtung Informationsaustausch bewegen.

Dem widersetzt sich nicht nur die Schweiz. Auch die Bush-Administration in Washington hat ihr Desinteresse an einem automatischen Informationsaustausch bekundet.

Jean-Claude Juncker: Im Zuge der Verhandlungen in der EU über eine Zinsbesteuerung hiess es immer, die internationale Entwicklung gehe klar in Richtung Informationsaustausch. Nun stelle ich fest, dass es einen solchen Trend gar nicht gibt. Die Schweiz ist nicht bereit, da mitzumachen, und in meinen Gesprächen in Washington habe ich gemerkt: Auch die amerikanische Regierung tut sich mit einer solchen Regelung schwer. Solange sich daran nichts ändert, wird es auch keinen Informationsaustausch geben.

Ungeachtet dessen hält die Europäische Union an ihrem Ziel fest, bis Ende Jahr eine Einigung zu erzielen. Wie schätzen Sie die Erfolgschancen ein?

Jean-Claude Juncker: Solange sich mit den Drittstaaten keine Lösung abzeichnet, wird es auch keine Einigung innerhalb der EU in Bezug auf den Informationsaustausch geben. Wir haben immer betont, dass die Frage der Drittstaaten eine besondere Wichtigkeit hat. Das ist nichts Neues. Insofern mimen heute einige EU-Vertreter einfach die Überraschten.

Meinen Sie damit die Briten, die sich inzwischen ganz energisch für den Informationsaustausch stark machen?

Jean-Claude Juncker: Wenn der britische Schatzkanzler Gordon Brown lauthals erklärt, er würde die Interessen der Londoner City allen anderen europäischen Regelungen überordnen, dann mache ich für mich, als Vertreter Luxemburgs, dieselben Rechte geltend. Ich beziehe mein Gehalt ja nicht, um den Finanzplatz Luxemburg auf Kosten anderer zu schädigen.

Leben Sie gut damit, dass Länder wie Luxemburg und die Schweiz mit ihrem Festhalten am Bankgeheimnis von den Steuersündern Europas profitieren?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube nicht, dass ein Finanzzentrum auf Dauer nur vom Kapitalzustrom ausländischer Steuersünder existieren kann. Luxemburg lebt nicht von ihnen, und auch in der Schweiz wird man schwer nachweisen können, dass der Finanzplatz nur deshalb so erfolgreich ist, weil er Steuerflüchtlinge anzieht.

Sind Sie da nicht etwas blauäugig?

Jean-Claude Juncker: Ich bestreite nicht, dass es in Luxemburg oder in der Schweiz Steuersünder gibt. Es gibt allerdings auch Schweizer Bürger, die ihre Gelddepots beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland haben, oder Luxemburger in Frankreich, die dadurch die schweizerischen respektive die luxemburgischen Kapitalertragssteuern umgehen. Dass jedoch aus steuerlichen Überlegungen heraus mehr Deutsche nach Luxemburg oder in die Schweiz kommen als umgekehrt, kann man mir doch nicht zum Vorwurf machen.

Läuft die Debatte um das Bankgeheimnis letztlich nicht auf einen Kampf einzelner Finanzplätze hinaus, die einander Marktanteile abjagen wollen?

Jean-Claude Juncker: Ich habe es mir abgewöhnt, derartige Mutmassungen in die Welt zu setzen. Hingegen möchte ich betonen, dass ich klar für eine effektive Besteuerung der Kapitalerträge eintrete. Ich plädiere allerdings für eine Steuer, die an der Quelle erhoben und bei ausländischen Kunden anonym ins Herkunftsland überwiesen wird, so dass keine Rückschlüsse auf den Kontoinhaber möglich sind. Ich wehre mich dagegen, dass nun aus ideologischen Gründen oder aus purer Rechthaberei ein Informationsaustausch gefordert wird, ohne jeden Beweis angetreten zu haben, dass ein solcher wirksamer als eine Quellensteuerlösung wäre.

Was könnten die Konsequenzen dieser Zwängerei sein?

Jean-Claude Juncker: Wenn wir morgen den Informationsaustausch einführen, ohne dass die Amerikaner und andere Drittstaaten mitmachen, fliessen erhebliche Vermögen in diskretere Finanzplätze ab, wo gar keine Steuern erhoben werden.

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