Europa braucht ein Gesicht, das auch den Mund aufmacht

Luxemburger Wort: Herr Premierminister, in der Zypernfrage bewegt sich einiges. Möglicherweise gibt es eine Einigung zwischen der türkischen und der griechischen Seite am Rande des Gipfels. Wenn nicht, kann Zypern dennoch in die EU aufgenommen werden?

Jean-Claude Juncker: Die Beschlusslage sieht so aus, dass auch ein geteiltes Zypern Mitglied der Europäischen Union werden kann. Wenn die EU sich darauf verlegt hätte, nur ein wieder vereinigtes Zypern aufzunehmen, hätten wir damit de facto der Türkei ein Vetorecht zugestanden.

LW: Würde das bedeuten, dass die Fördergelder nur in den Südteil fließen werden oder auch in den Nordteil?

J.-C. Juncker: Die Aufnahme eine geteilten Zyperns verhindert nicht, dass sich der nördliche Teil an Förderprogrammen der Europäischen Union beteiligen könnte. Mehr Finanzmittel für die Heranführung Bulgariens und Rumäniens

LW: Ein weiteres Gipfelthema soll die Heranführungsstrategie für Rumänien und Bulgarien sein. Aufweiche Weise könnte diesen Ländern besser geholfen werden, ihren Entwicklungsrückstand aufzuholen?

J.-C. Juncker: Bulgarien und Rumänien haben ihren Annäherungsprozess an Europa mit Verspätung auf die anderen zehn Staaten aufgenommen. Sie wurden bis Mitte der neunziger Jahre noch von Kommunisten regiert, die den Transformationsprozess im Zeitlupentempo angingen. Erst als die Christdemokraten an die Regierung kamen, wurde Tempo gemacht. Die verlorenen Jahre sind heute noch spürbar. Beide brauchen noch längere Zeit. Jedes Beitrittsland wird gemäß den Beschlüssen des Luxemburger Gipfels nach seinen Transformationsverdiensten beurteilt. Weil aber Regierung und Parlament und die öffentliche Meinung in beiden Ländern sehr an der EU interessiert sind und zudem einige Verhandlungskapitel schon abgeschlossen sind, wäre es gut, wenn sich die EU darauf verständigen würde, Bulgarien und Rumänien bei ihrem Bemühen zu unterstützen, im Jahr 2007 beizutreten. Wir brauchen größere Finanzmittel für ihren Heranführungsprozess und stärkere politische Hilfe auf allen Ebenen.

LW: Der EU-Rechnungshof hat in seinem Jahresbericht 2001 kritisiert, dass die Fondsgelder aus dieser Heranführungsstrategie häufig nicht oder unvollständig abgerufen werden, weil sie oft kofinanziert werden müssen. Wäre hier nicht eine Änderung im System angebracht?

J.-C. Juncker: Die Geldmittel, die zur Verfügung gestellt wurden, fließen nicht zufrieden stellend schnell ab, weil die Absorptionsfähigkeit in den Beitrittsstaaten insbesondere in Rumänien und Bulgarien unterentwickelt ist. Man wird daher überlegen müssen, ob man im Regelwerk der Refinanzierung nicht zu Nuancierungen kommt, ohne dass man Geldmittel abfließen lässt, über deren adäquaten Umgang keine Sicherheit besteht. Man darf auch nicht Steuermittel unkontrolliert und ineffizient in die Beitrittsländer abfließen lassen.

"Wir brauchen keine Figuranten"

LW: Auf dem Gipfel wird der Präsident des Verfassungskonvents, Valery Giscard d'Estaing, einen Zwischenbericht abgeben. Im Vorfeld wurden einige Papiere lanciert, das Benelux-Memorandum, der Prodi-Entwurf der Kommission. In den Medien hat man sich vor allem an dem Posten eines EU-Präsidenten aufgehalten bzw. am von der Kommission vorgeschlagenen Sekretär. Wofür wird sich der Luxemburger Premier stark machen?

J.-C. Juncker: Die Frage der EU-Präsidentschaft wird nicht abschließend in Kopenhagen beraten. Man bleibt miteinander im Gespräch über eine mögliche Neuausrichtung der Ratspräsidentschaft. Wir haben ein Benelux-Memorandum verfasst, in dem wir ausdrücklich Stellung nehmen gegen einen gewählten EU-Ratspräsidenten außerhalb des Europäischen Rates.

Ich bin durchaus der Meinung, dass Europa ein Gesicht braucht, das ihm die Möglichkeit gibt, nach innen und nach außen stärker und wahrnehmbarer als bisher zu wirken. Wer sich allerdings darauf beschränkt, einen Europäischen Präsidenten außerhalb des Europäischen Rats zu wählen, ohne sich dann die Möglichkeit an die Hand zu geben, auch effizient arbeiten zu können, lädt zu Schattengefechten ein. Europa braucht ein Gesicht, das auch den Mund aufmachen kann, keine Mannequinfunktion. Wir brauchen einen europäischen Denker und europäischen Sprecher, der mit den Mitteln seiner europäischen Ambitionen ausgestattet ist. Wir brauchen keine Figuranten. Der Vorschlag von Aznar, Blair und Chirac zielt darauf ab, Europa ein schönes Gesicht zu geben. Ich wünsche mir aber eine hörbare Stimme.

LW: Im Prodi-Papier wird auch vorgeschlagen, dass die Vorsitzenden in den einzelnen Fachministerräten länger als ein halbes Jahr im Amt bleiben sollen. Würden Sie zur Verfügung stehen für ein mehrjähriges Amt als Vorsitzender im Finanzministerrat ab 2004?

J.-C. Juncker: Ich habe in der Vergangenheit Mühe genug gehabt, mich nicht für bestehende Posten zur Verfügung zu stellen. Daraus ergibt sich, dass ich auch nicht für Posten kandidiere, die es überhaupt noch nicht gibt.

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