Anne Brasseur: "Die Zeit des Lernens wird nie zu Ende sein"

Ausbildung und Beruf in der Wissensgesellschaft. Ein Gespräch mit Erziehungs- und Berufsausbildungsministerin Anne Brasseur über die berufliche Weiterbildung.

Den meisten Bürgern Europas ist die Wissensgesellschaft inzwischen ein Begriff. Doch wie wirkt sie sich im alltäglichen Leben aus? Wie kann man an ihr teilhaben? Ein wichtiger Aspekt dieser Entwicklung ist das lebenslange Lernen. Bis zum Jahr 2010 sollen im EU-Durchschnitt mindestens 15 Prozent der Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter sich am lebenslangen Lernen beteiligen, forderte der Europäische Rat in Lissabon und in Stockholm. Dann soll in keinem Land die Quote unter zehn Prozent liegen. Momentan liegt der EU-Durchschnitt bei 8,4 Prozent. Das heißt, dass in jedem beliebigen Monatszeitraum 8,4 Prozent der Menschen an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Der Durchschnitt in den drei leistungsstärksten Mitgliedstaaten (Vereinigtes Königreich, Finnland und Dänemark) liegt bei 19,6 Prozent. In Luxemburg liegt der Durchschnitt bei rund 5 Prozent. Am nächsten Dienstag wird in Luxemburg eine Sensibilisierungs-Kampagne zur beruflichen Weiterbildung gestartet. Aus diesem Anlass unterhielten wir uns mit Arme Brasseur, Ministerin für Erziehung, Berufsausbildung und Sport, über den allgemeinen Stellenwert der Fortbildung im Arbeitsleben von heute.

LW: Welches ist der Stellenwert der beruflichen Weiterbildung im Arbeitsleben von heute?

Anne Brasseur: Die Bedeutung des "lifelong-leaming" ist eng mit dem Begriff der Lehrzeit, mit der Zeit des Lernens verknüpft. In der Wissensgesellschaft hat die Lehrzeit einen Anfang, aber sie wird nie zu Ende sein. Aufgabe der Schule ist es hierbei, jungen Menschen ein Grundwissen zu vermitteln und ihnen zu zeigen, wie sie dieses Grundwissen anwenden können, wie sie "Lernen lernen", und ihnen den Geschmack zu vermitteln, Neues zu entdecken. Denn das Wissen an sich entwickelt sich heutzutage sehr schnell weiter. Es ist so diversifiziert, dass immer nur eine Basis vermittelt werden sollte, eben das, was ich einmal als "basics" bezeichnet habe. Auf diese Basis sollte dann aufgebaut werden.

Wir lebten bislang in einer Gesellschaft, in der die Menschen etwas Bestimmtes gelernt haben, dafür ein Diplom bekommen und einen Beruf ausgeübt haben in einem Betrieb, in dem sie ihr Leben lang blieben. Diese Zeiten sind vorbei. Wir leben jetzt in einer Zeit, in der sich alles sehr schnell verändert. Man muss anpassungsfähig sein, sich neuen Herausforderungen steßen und sich daher auch neues Wissen aneignen, dies sowohl auf privater als auch auf beruflicher Basis.

Die Rolle des Staates dabei ist es, den Bürgern alle Informationen anzubieten, die es gibt. Es gilt, den Arbeitnehmern zu zeigen, welche Angebote, den Unternehmen, welche Nachfrage und den Anbietern, welchen Bedarf es gibt. Es ist im Grunde ein Zusammenspiel: Auf der Plattform des lebenslangen Lernens, die wir nächste Woche vorstellen werden, finden sich diese drei Partner zusammen. Wir müssen die Wissensgesellschaft entwickeln, und das reicht niemals mit einer Basislehrzeit.

Die Zahl der Einschreibungen hat sich seit 1996 verdoppelt

LW: Wie sieht es mit der Entwicklung der Weiterbildung auf dem Luxemburger Arbeitsmarkt aus?

Anne Brasseur: Traditionell wird die berufliche Weiterbildung durch die Berufskammem angeboten. Sie bauen ihre Angebote an Kursen immer weiter aus. Aber ebenfalls der Staat bietet Kurse an, sowohl durch den "Service de la formation des adultes" als auch in Zusammenarbeit mit den Gemeinden, da diese näher am Bürger sind. Durch diese Kooperation ist auch eine gewisse Qualität gesichert. Und drittens schließlich gibt es die privaten Anbieter von Weiterbildungskursen.

Die Rolle des Staates soll es sein, das in der Aus- und Weiterbildung zu ermöglichen, was weder die Berufskammem noch die privaten Anbieter leisten können. Das betrifft beispielsweise den Bereich der Sprachen, sei dies nun beim Prozess der Integration oder bei der (Wieder)-Eingliederung ins Berufsleben von sozial Schwächeren.

Nimmt man alle Anbieter zusammen, so hat sich die Zahl der Einschreibungen bei der beruflichen Weiterbildung seit 1996 verdoppelt. Das Gesetz von 1999 zur Förderung der beruflichen Weiterbildung hat mit Sicherheit eine zusätzliche Dynamik in diese Entwicklung gebracht. Bislang haben vor allem die großen Unternehmen die staatliche Unterstützung in Anspruch genommen. Wir wollen aber auch, dass die kleinen Unternehmen Anstrengungen in Bezug auf die berufliche Weiterbildung machen, und haben gemeinsam mit den Berufskammem diesbezüglich Sensibilisierungskampagnen durchgeführt.

LW: Die berufliche Weiterbildung ist auch ein neues wirtschaftliches Feld, auf dem sich viele Akteure tummeln. Wie wird die Qualität der angebotenen Kurse sichergestellt?

Anne Brasseur: Was den Staat anbelangt, bzw. den "Service de la Formation des Adultes", der sich darum kümmert, so werden wir selbst Kurse im "Centre de Langues" organisieren und wir vergeben bei den Hauptsprachjen eine offizielle Bescheinigung. Bei der Kooperation mit den' Gemeinden ist in Bezug auf die Qualität in diesem Jahr ein großherzogliches Reglement übernommen worden, um dies zu regem. Auch bei der Kooperation mit den privaten Vereinigungen prüfen wir den Qualitätsstandard.

Bei den Berufskammem gibt es, denke ich, einen natürlichen Kontroihnechanismus. Die Qualität wird durch den Erfolg der Kurse und die Zufriedenheit der Mitglieder kontrolliert.

Die privaten Anbieter müssen ein Niederlassungsrecht vom Mittelstandsministerium haben. Um dies zu bekommen, müssen sie einer Reihe von Kriterien entsprechen. Auch können die Betriebe nur dann eine staatliche Unterstützung beantragen, wenn sie mit einem Anbieter mit offiziellem Niederlassungsrecht zusammenarbeiten.

Die Wirtschaftsflaute als Chance für die Weiterbildung?

LW: Wie wird sich die Konjunkturflaute auswirken? Wird sie ein Hindernis oder eine Chance für die berufliche Weiterbildung sein?

Anne Brasseur: Ich sehe hier eine Chance für die Weiterbildung. Als wir einen wirklich schwerwiegenden Mangel an Arbeitskräften in allen Berufssparten hatten, wurde auch auf Arbeitnehmer zurückgegriffen, die nicht ausreichend qualifiziert waren für die Aufgaben, die sie übernehmen sollten. Das Risiko war groß, dass sie schnell überfordert waren und die Qualität der Arbeit zu wünschen übrig ließ. Dies ist aber nicht im Interesse der Wirtschaft.

Die Zeit des nachlassenden Wirtschaftswachstums sollte als Chance für eine solide Ausbildung und Weiterentwicklung genutzt werden. Dies gilt für beide Seiten, sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer.

Die Arbeitgeber wären gut beraten, ihre Mitarbeiter nicht durch ein Mehr an Arbeit so zu belasten, dass diese nichts mehr in punkto Fortbildung tun können. Weiterbildung käme nicht nur der beruflichen Qualifizierung und der Qualität des Betriebes zugute, sondern würde auch die Kornmunikation im Betrieb und den "esprit d'entreprise" stärken. Last but not least: Fortbil.dungkarm nicht nur wegen des Weilerltffltnmens im Beruf betrieben werden, sondern auch, weil Lernen und Neues entdecken schlicht und einfach Spaß macht.

LW: Frau Brasseur, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Membre du gouvernement

BRASSEUR Anne

Date de l'événement

10.01.2003

Type(s)

gouv:tags_type_event/interview