Innenminister Michel Wolter: "Es gibt keinen absoluten Schutz!"

Hochwasserschutz ist auch in Luxemburg wider ein Thema. Was hat sich in den vergangenen Jahren auf diesem Gebiet getan und welche Massnahmen sollen noch ergriffen werden? Télécran fragte bei Innenminister Michel Wolter nach. (Interview: Nathalie Nilles)

Télécran: Herr Wolter, ein Thema bewegt ganz Luxemburg: das Hochwasser an der Sauer. Welche Schutzmaßnahmen sind in den vergangenen Jahren hier ergriffen worden?

Michel Wolter: Lassen Sie uns das Interview nicht mit dem häufigsten Fehler in Sachen Hochwasserschutz beginnen, nämlich zu glauben, dass Hochwasserschutzpolitik sich darin erschöpft, Schutzbauten zu errichten. Ziel unserer Politik ist es, Hochwasserschäden so weit wie möglich zu vermeiden. Dazu müssen Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen ergriffen werden. Nach den Überschwemmungen von 1993 und 1995 wurden solche bereits konsequent eingeleitet.

So hat die Regierung auf reglementarischem Plan nach mehrjähriger Vorbereitung durch ein großherzogliches Reglement vom 2. Januar 2000 das Bauen im Überschwemmungsgebiet größtenteils untersagt und so verhindert, dass neue Häuser im gefährdeten Gebiet errichtet werden. Somit wurde das Schadensrisiko vermindert.

Ein weiteres wichtiges Instrument ist das Vorhersage- und Frühwarnsystem des Zivilschutzes, das nach 1993 aufgebaut wurde und seitdem permanent weiterentwickelt wird.

Was jetzt den technischen Teil betrifft, so sind entlang der Sauer in verschiedenen Ortschaften Maßnahmen durchgeführt worden, insbesondere in Ingeldorf, Diekirch und Bettendorf. In Echternach ist ein erster Teil eines weitreichenden Maßnahmenpakete realisiert worden.

Für alle betroffenen Gemeinden liegt seit dem Jahr 2000 ein Katalog mit 30 verschiedenen möglichen Maßnahmen vor. Der Entscheid, ob und wie und wann was realisiert wird, liegt allerdings bei den Gemeinderäten. Abseits der Sauer wurden weitere bedeutende Schutzmaßnahmen in Mersch, Welscheid, Walferdingen und Steinsei ergriffen.

Télécran: Die neue Hochwasserschutzmauer in Ingeldorf hat ihren Zweck erfüllt. Kann es sein, dass das Wasser, das an Ingeldorf vorbeigeleitet wurde, die Situation in Echternach verschlimmerte?

Wolter: Die Auswirkungen der Mauer auf andere Ortschaften sind gleich null. Die Gemeindebehörden von Erpeldingen durften die Mauer erst bauen, nachdem die Kompensationsmaßnahmen zur Schaffung von neuem Rückhaltevolumen für die Sauer fertiggestellt waren.

Allgemeine Regel der Politik der Regierung ist es, dass der Schutz des Einen nicht zum Nachteil eines Anderen führen darf.

Télécran: In Echternach heißt es, dass man seit Jahren auf die Zustimmung Ihres Ministeriums für den Bau von Überlaufbecken warte. Warum dauert es so lange, um Genehmigungen zu erteilen?

Wolter: Die technische Begutachtung der Projekte der einzelnen Regenüberlauf- und Rückhaltebecken durch die Verwaltung ist wegen der Vielschichtigkeit der Dossiers extrem schwierig. Allerdings nimmt die eigentliche Ausarbeitung der Projekte durch die Gemeinden meist auch mehrere Jahre in Anspruch. Bei Vorhaben dieser Art werden immer mehrere Varianten studiert und dies hauptsächlich wegen der Minimierung der Baukosten, die sich bei besagten Aufgaben in Echternach immerhin auf rund zehn Millionen Euro belaufen.

Télécran: Viele Hochwasser-Betroffene beschwerten sich am 3. Januar, dass nicht schnell genug ausreichend Sandsäcke verfügbar waren. Woran lag's?

Wolter: Diese Beschwerden sind unbegründet: Beim Zivilschutz waren am 2. Januar über 50000 Sandsäcke gelagert, die den Gemeinden zur Verfügung standen. Tatsache ist aber, dass die Gemeinden nur 23 000 Säcke anforderten. Der Zivilschutz kann nur einschreiten, wenn er von einer Gemeinde informiert wird. Dies gilt auch für die Frage der Bereitstellung zusätzlicher Feuerwehrkorps. Auf diesen Gebieten ist sicher noch einiges verbesserungsfähig.

Télécran: Die Renaturierung der Alzette soll unter anderem Überschwemmungen verhindern. Nun wird dieses Projekt insbesondere von den Bauern kritisiert, die dadurch Land verlieren beziehungsweise schon verloren haben. Wie viel Schutz kann die Renaturierung bieten?

Wolter: Die großen Talauen der Alzette zwischen Schifflingen und Hesperingen, darunter der Roeserbann, stellen zusammen eines der drei großen natürlichen Retentionsgebiete des Landes dar. Der Roeserbann stellt in diesem Sinn bereits heute eine Schutzmaßnahme für alle flussabwärts gelegenen Ortschaften dar. Die Renaturierung der Alzette, obwohl in erster Linie eine ökologische Maßnahme, führt zu einer Optimierung der Hochwasserschutzfunktion und hilft die Flächen langfristig zu sichern und vor negativen Einwirkungen zu schützen.

Den Anliegen der Bauern muss allerdings eine besondere Aufmerksamkeit gelten. Für Innenund Ackerbauministerium sind Lösungen inakzeptabel, die sich negativ auf die Einkommenssituation der betroffenen Betriebe auswirken.

Télécran: Die Moselanwohner sind besonders oft betroffen. Nach den großen Überschwemmungen in den 90ern wurden im ganzen Land immer wieder Schutzmaßnahmen gefordert. Was wurde bislang konkret unternommen?

Wolter: Derzeit läuft eine aufwendige Untersuchung über mögliche Schutzmaßnahmen für die Moselortschaften in Zusammenarbeit mit unseren Moselgemeinden und Vertretern aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Wir erwarten die Ergebnisse für den Herbst 2003.

Anschließend gilt es, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden, die für sie optimalen Maßnahmen auszuwählen und zu verwirklichen. Aber auch hier gilt: es gibt keinen absoluten Schutz.

Télécran: Wann wurde das Wasserwirtschaftsamt eingeführt und was sind seine Aufgaben im Bereich Hochwasserschutz?

Wolter: Nach 1999 wurde das Wasserwirtschaftsamt etappenweise aufgebaut. Diese Phase ist seit 2002 abgeschlossen. Das Kadergesetz ist im Parlament hinterlegt und wird derzeit vom Staatsrat begutachtet. Eine der wesentlichen Aufgaben der Wasserwirtschaftsverwaltung ist der integrierte Hochwasserschutz, das heißt die Verwirklichung von ökologisch, ökonomisch und regional abgestimmten Maßnahmen, die das Hochwasserrisiko kostenwirksam senken.

Télécran: Was will der Staat kurzfristig unternehmen, um einer Situation wie der am 3. Januar vorzubeugen?

Wolter: Wir werden den 1995 von der Regierung eingeschlagenen Kurs konsequent weiterverfolgen. Hochwasserschutzpolitik gründet auf Ausdauer und Beharrlichkeit, nicht auf kurzfristigem Aktionismus.

Télécran: Spielen die Kosten in Sachen Schutzmaßnahmen noch eine Rolle angesichts der großen Schäden, die durch Hochwasser verursacht werden?

Wolter: Kosten spielen immer eine Rolle, auch in Sachen Hochwasserschutz. Der Staat unterstutzt ausschließlich Maßnahmen, in denen die Kosten/Nutzenrelation gegeben ist. Dies bedeutet, dass die Maßnahme nicht teurer sein darf als die Summe der Schäden, die sie während ihrer Lebensdauer verhindert.

Télécran: Warum gibt es noch keine Homepage im Internet, auf der man zu jeder Zeit Informationen über die Wasserstände in Luxemburg abrufen kann?

Wolter: Demnächst wird eine solche Internetseite dem Publikum zur Verfügung stehen. Seit einiger Zeit bereits sind die automatischen Pegel aber für jeden Bürger über Telefon abrufbar.

Télécran: Mit Informationen wie "um 10 Uhr wird die ,Cote de vigilance' erreicht" können viele Luxemburger nichts anfangen? Warum ist es bei Hochwasser nicht einfach möglich, zu erfahren, wann das Wasser wo über die Ufer tritt?

Wolter: Die Information, die sich hinter dem Begriff "Cote de vigilance" verbirgt, wendet sich in erster Linie an die Rettungseinheiten. Ab dem Zeitpunkt werden die Pegel in kurzen Zeitabständen überwacht und die Gemeinden vorinformiert. Die Weitergabe der Information an den Bürger scheint uns aber noch verbesserungsfähig.

Allerdings wird es nie möglich sein, mit allerletzter Sicherheit den genauen Zeitpunkt und die genaue Höhe der zu erwartenden Überschwemmung für jeden einzelnen Betroffenen vorherzusagen.

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