Fernand Boden / "Langzeitperspektive für eine nachhaltige Landwirtschaft?"

LJ.: In landwirtschaftlichen Kreisen stossen die Vorstellungen der EUKommission über eine landwirtschaftliche Reform auf schroffe Ablehnung. Teilen Sie die Sorgen der Bauern und ihrer Verbände?

Fernand Boden: Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik kann es nur sein, sicherzustellen, dass landwirtschaftliche Produkte gesund und unbedenklich sind und in einer Art und Weise hergestellt werden, die im Einklang mit der natürlichen Umwelt steht und Belangen des Tierschutzes Rechnung trägt. Des Weiteren geht es darum, die Entwicklung des ländlichen Raumes zu fördern und den Landwirten das Erwirtschaften eines angemessenen Einkommens zu ermöglichen. Ich denke, über die Ziele sind sich Verbraucher, Landwirte und Politiker weitestgehend einig. Neueste Umfragen haben auch gezeigt, dass die EU-Bürger wieder mehr Vertrauen in die GAP haben, insbesondere was die Sicherheit der Lebensmittel angeht. Unterschiedliche Auffassungen gibt es jedoch, was die Instrumente angeht, mit denen wir diese Ziele noch besser und dauerhaft verwirklichen können. Wir werden die Vorschläge der Kommission eingehend prüfen. Man kann jedoch jetzt schon sagen, dass die Vorschläge in wichtigen Punkten wie Entkopplung und Kürzung der Beihilfen der Mitteilung entsprechen, welche die Kommission im Juli an den Rat vorgelegt hat und sogar noch darüber hinausgehen. Zu diesen Punkten hatte ich, zusammen mit anderen Landwirtschaftsministern, größte Bedenken geäussert. Ausserdem schlägt die Kommission eine weitgehende Reform im Milchbereich vor, die meiner Meinung nach zu erheblichen Einkommenseinbussen führt. Ich teile demnach die Sorgen der Landwirtschaft.

LJ.: Die EU-Kommission beruft sich auf Eurobarometer-Umfragen, denen zufolge die Ziele der GAP einschließlich Lebensmittelsicherheit, Erhaltung der Umwelt und Einkommen der Landwirte bei den Bürgern auf breite Zustimmung stoßen. Als anstößlich und ungeeignet werden die eingesetzten Instrumente empfunden. Man hat den Eindruck, als werde hier – einmal mehr – der Konsument gegen die Landwirtschaft ausgespielt. Was halten Sie davon?

Fernand Boden: Mittel- und langfristig sind die Interessen der Verbraucher und der Landwirte dieselben. Lebensmittelsicherheit, Erhaltung der Umwelt, Produkte aus regionaler Erzeugung, harmonische Entwicklung des ländlichen Raumes sind nicht gegen die Landwirtschaft sondern nur über die Landwirte dauerhaft zu gewährleisten. Wir müssen demnach nach Instrumenten suchen, die auch den Belangen der aktiven Landwirte Rechnung tragen.

LJ.: Kommissar Fischler argumentiert, er wolle die Bauern sozusagen von den Beihufen befreien (Entkopplung), auf nachhaltige Landwirtschaft umorientieren und der Entwicklung des ländlichen Raums eine Priorität einräumen. Die Bauern sehen darin aber eine Bedrohung ihrer Existenz. Geht es der Landwirtschaft an den Kragen?

Fernand Boden: Wie schon gesagt ist die sogenannte Entkopplung ein Kernelement der Vorschläge der Kommission. Es ist aber auch das Element, zu dem im Agrarministerrat eine große Anzahl von Mitgliedstaaten, so auch Luxemburg, grundsätzliche Bedenken angemeldet hat, vor allem auch weil wir ein Festschreiben historischer Vorteile gewisser Landwirte als Ungerechtigkeit ansehen und soziale Spannungen zwischen aktiven und nicht mehr aktiven Landwirten befürchten. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass bei den Reformbestimmungen die aktiven, um eine nachhaltige Landwirtschaft bemühten Landwirte, gefördert und gestärkt werden und nicht die Eigentümer oder Verpachter. Die Stärkung der Politik für die Entwicklung des ländlichen Raumes findet unsere Zustimmung. Sie ermöglicht durch gezielte Programme die multifonktionnelle Rolle der Landwirtschaft und die qualitätsorientierte Produktion von Agrarprodukten zu fördern. Wir treten in diesem Bereich allerdings für den Abbau von administrativen Auflagen und für mehr Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten ein.

LJ.: Die Bauern und ihre Berufsverbände setzen nun auf die Politiker. Was haben sie denn vom Agrarministerrat nächster Woche zu erwarten? Ihr französischer Ministerkollege hat ja bereits seine Ablehnung der Kommissionsvorschläge angekündigt. Welche Haltung werden Sie einnehmen?

Fernand Boden: Im Agrarministerrat am 26-27 Januar wird die Kommission ihre Vorschläge vorstellen und der Rat wird sich ein erstes Mal dazu äussern. Ich werde unsere starken Bedenken zu wesentlichen Elementen der Vorschläge wie Entkopplung, Kürzung der Beihilfen und den Vorschlägen zum Milchbereich in dieser ersten Runde der Verhandlungen darlegen, insbesondere was die Auswirkungen auf das landwirtschaftliche Einkommen betrifft.

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