Charles Goerens: "Armut ist keine Fatalität"

Luxemburger Wort: Welches sind die Schwerpunkte der luxemburgischen Entwicklungshilfe?

Charles Goerens: Die Kooperationspolitik, die dem Prinzip der Partnerschaft gehorcht, fußt auf zwei Pfeilern: einerseits die humanitäre Hilfe als kurzfristige Antwort auf Krisen und Katastrophen, andererseits die eigentliche Entwicklungshilfe, als mittel- und langfristige Antwort auf die Sorgen der Armen.

Konkret konzentriert sich das luxemburgische Engagement auf die Felder Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung, Frauenförderung und ländliche Entwicklung.

Bei der medizinischen Betreuung beispielsweise setzen wir uns u. a. mit Frankreich, Italien und Spanien dafür ein, dass den Patienten der Zugang zu Medikamenten gewährt werden soll. In Anbetracht von über 30 Millionen Aidserkrankten auf dem Schwarzen Kontinent kommt es einem Verbrechen gleich, in Gleichgültigkeit zu verharren und diesen Menschen die Tür zur Therapie nicht zu öffnen.

Perspektiven schaffen – Frieden ernten

LW: Im Herbst vergangenen Jahres hat Ihr Ministerium eine groß angelegte Sensibilisierungskampagne gestartet. Wie steht es um die Akzeptanz der Kooperationspolitik?

C. Goerens: Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sinn und Wert der Entwicklungshilfe nur ungenügend verstanden werden. Es muss gelingen, dass sich die Bevölkerung mit unserem Engagement identifiziert. Unser Engagement dient dazu, den Armen dieser Welt Perspektiven aufzuzeichnen. Denn wir dürfen die Armut nicht als Fatalität hinnehmen. Es nützt letztlich aber auch uns selbst, denn die langfristige Dividende dieses Engagements sind Frieden und Sicherheit.

Im Übrigen beläuft sich unser finanzieller Aufwand für 2003 auf 0,84 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist beachtlich. Damit bleiben aber immer noch 99,16 Prozent in Luxemburg.

LW: Der nationale Anteil der Kooperationspolitik ist, wie Sie selbst sagen, beachtlich. Auffallend ist indes, dass sich insbesondere die großen Nationen mit ihrem Engagement schwer tun. Beispiel USA, die lediglich 0,12 Prozent in die Entwicklungshilfe investieren.

C. Goerens: Es handelt sich hier eindeutig um eine Frage der Einstellung. Entwicklungspolitik ist auch eine Mentalitätssache. Auffallend und aufschlussreich zugleich ist der Umstand, dass die Länder, die die meiste Entwicklungshilfe leisten, selbst die niedrigsten Armutsquoten aufweisen. Nationale und internationale Solidarität gehen einher.

Zwar konnte die rückläufige Tendenz der Kooperationshilfe mit der Konferenz von Monterrey gestoppt werden. Bis die Armut jedoch völlig ausgelöscht ist, bleibt noch ein weiter Weg zu beschreiten. Die Mittel hierzu sind allemal vorhanden.

Leistungsträger in der Entwicklungshilfe

LW: Stößt das luxemburgische Engagement nicht bald an seine Grenzen, finanziell wie personell?

C. Goerens: Mit der Ein-Prozent-Marke, die wir im Koalitionsabkommen vereinbart haben, kommen wir dem finanziellen Limit sehr nahe. Dieses Ziel wollen wir in jedem Fall erreichen. Es kann allerdings sein, dass sich der Weg dorthin angesichts der wirtschaftlichen Verlangsamung über eine längere Zeitspanne erstreckt.

Aus diesem Engagement erwächst im Übrigen auch Verantwortung auf internationaler Ebene. Luxemburg hat sich nämlich im Laufe der Jahre eine Position erarbeitet, wo es Impulse in der Kooperation geben kann. Und wo diese Impulse auch erwartet werden.

Was den personellen Aurwand betrifft, so ruht unser Engagement auf vielen Schultern. Dazu zählen neben dem Ministerium und seiner Kooperationsagentur die 78 Nichtregierungsorganisationen, die auf die Kofinanzierung des Staates zählen können. Deren Arbeit und Einsatz verdient großen Respekt.

Hinzu kommen noch die multilateralen Verpflichtungen, zum Beispiel im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation.

LW: Hauptempfänger der luxemburgischen Kooperation sind die so genannten Zielländer. Wie werden diese Staaten ausgewählt?

C. Goerens: Prioritäres Auswahlkriterium ist die Armut. Unsere Zielländer in Afrika, Asien und Mittelamerika gehören laut Vereinten Nationen zu den am wenigsten entwickelten Staaten. Mit derzeit zehn Staaten haben wir unser Optimum erreicht; bei einem weit reichenderen Engagement besteht die Gefahr der Verzettelung, droht die Effizienz auf der Strecke zu bleiben.

LW: Welche Kriterien werden denn appliziert, um die Kooperation zu beurteilen?

C. Goerens: Hier gibt es die technokratische und die politische Methode. Erstere beruht darin zu sehen, ob ein Projekt oder Programm den Vorgaben in puncto Einfluss, Kohärenz und Wirkungsgrad entspricht. In der Regel braucht es zwischen fünf und 15 Jahre, um die Dauerhaftigkeit eines Engagements zu beurteilen.

Die politische Betrachtung spiegelt sich letztlich in den Antworten wider, die man auf bestehende Herausforderungen gibt. Das heißt im Fall der Kooperation, welche Mittel man einsetzt, um den Menschen zu Entfaltung und Entwicklung zu verhelfen.

LW: Zum Beispiel in den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen.

C. Goerens: Da ein autarkes Regime wie Nordkorea nicht die Lösung sein kann, muss man auf den Weg des Austausches gehen. Man darf die Entwicklungsländer aber nicht brutal dem Wettbewerb aussetzen, sondern behutsam ausloten, wieviel Handel sie vertragen.

Hier wird die Politik bei der anstehenden Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation gefordert sein.

Stimme der Kooperation in der EU verstummt

LW: Wie fällt Ihrer persönliche Bilanz nach dreieinhalb Jahren Kooperationsminister aus?

C. Goerens: Die Bilanz ist global gut. Was ich allerdings besonders bedauere, ist die Abschaffung des Rates der europäischen Entwicklungshilfeminister. Dadurch hat die Union einen Teil der Gestaltung ihrer Außenpolitik aufgegeben. Es fehlt nunmehr der Ort, wo sich die EU auf konstruktive und kritische Art mit entwicklungspolitischen Themen auseinandersetzt.

Die griechische Ratspräsidentschaft will sich jedoch dafür einsetzen, dass die Kooperation nicht länger ein Anhängsel der "affaires generales" bleibt und einen informellen Rahmen schaffen.

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