Krise der europäischen Außenpolitik - Elke Durak im Gespräch mit Jean-Claude Juncker

Durak: Welche außenpolitische Rolle fällt denn der Europäischen Union eigentlich in der derzeitigen Kriegssituation zu? Welche Möglichkeiten hat sie, realistisch betrachtet, auf die kriegsführenden Länder und den Verlauf einzuwirken? Darf man überhaupt noch von der EU sprechen angesichts der Zerstrittenheit und der Spaltung? Welche Zukunft hat eigentlich eine eigenständige europäische Außen- und Sicherheitspolitik? Nach dem letzten EU-Gipfel zum Irak-Krieg hat der Ministerpräsident von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, sehr deutlich und direkt von einer umwerfenden Heuchelei gesprochen, mit der die Spaltung übertüncht worden sei. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Juncker!

Juncker: Schönen guten Morgen!

Durak: Wirtschaftlich stark, politisch schwach, wie tief ist die Spaltung der EU?

Juncker: Durch die EU verläuft genau die Trennungslinie, die auch durch die Weltgemeinschaft läuft. Es ist dem Unvermögen der Europäer, sich gemeinsam aufzustellen, zu verdanken, dass wir als EU keinen Einfluss auf die Beseitigung der die Welt durchkreuzende Trennungslinie nehmen können.

Durak: Halten Sie diese Spaltung für überwindbar?

Juncker: Ich glaube nicht, dass sich diese Frage so stellt. Die Frage ist nicht, ob sie überwindbar ist. Die Frage ist, was müssen wir tun, um sie überwinden zu können. Ich bin sehr dezidiert der Auffassung, dass man sich mit diesem Zustand der inneren Spaltung und des Sich-Auseinander-Bewegens nicht abfinden darf. Es gibt weltweit eine große Nachfrage nach mehr Europa. Da dürfen wir als Europäer, die in den letzten Monaten nicht gerade durch eine gehobene Form der Staatskunst geglänzt haben, nicht kleinmütig reagieren. Man wartet in der Welt auf ein geschlossenes, offensiv auftretendes, die Dinge gestalten wollendes Europa. Dieser Nachfrage weltweit müssen wir entsprechen und uns intern so organisieren, dass wir dies auch tun können.

Durak: Möglicherweise ist aber der Traum von einem wirklich einigen Europa mit einer Stimme und Telefonnummer in der Außenpolitik, wie es ja einmal formuliert wurde, nur ein Traum. Wir erleben vielleicht hier nur die Rückkehr auf den Boden der Tatsachen.

Juncker: Mir ist das ziemlich egal, bei wem angerufen werden kann. Mir ist wichtig, dass derjenige, der abhebt, im Namen der Europäer artikulieren kann, was Sache ist. Dies setzt voraus, dass wir uns zumindest mit sich anbahnenden Konflikten und Krisen analytisch und co-aktiv so auseinandersetzen, dass derjenigen, der den Telefonhörer abnimmt, auch weiß, was er sagen muss. Wir haben ja über Jahre gewusst, dass sich der Irak-Konflikt so zuspitzen könnte und würde, wie er es getan hat. Wir haben jetzt in Nordkorea eine ähnlich gelagerte Situation. Wir müssen uns in den Gremien, die es dafür gibt oder die man dafür schaffen muss, so mit den sich anbahnenden Problemen auseinandersetzen, dass wir sie auch gestaltbar machen.

Durak: Möglicherweise hat ja Tony Blair sogar recht mit dem, was er gestern gesagt hat. Er sagte, dass nicht ganz Europa gegen den Krieg sei. Mit den Beitrittsländern gäbe es eine Mehrheit für die britisch-amerikanische Position. Liegt da unsere Zukunft?

Juncker: Nein, es gibt unterschiedliche Einschätzungen zu dem, was getan werden muss. Genau das ist ja das Problem. Die einen sehen die Dinge so, die anderen sehen die Dinge anders. Es kommt darauf an, dass sich die Europäer intern aufeinander zu bewegen, aufgrund gemeinsam zustande gekommener Erkenntnisse und gemeinsam gefasster Beschlüsse. Wir sollten nicht wie ein aufgeregter Hühnerhaufen auf die eingetretene Lage reagieren. Dass es so etwas wie einen Dissens in einer Demokratie gibt, ja sogar geben muss, steht ja außer Frage. Das gilt auch für Friedens- und Kriegsfragen. Aber wir müssen uns dann zusammenraufen und dürfen uns nicht blamieren. Wir sind eine weltweit führende Wirtschaftsmacht, und eine inzwischen sehr geschlossen auftretende Währungsgemeinschaft. Diese Kraft, die wir intern in wesentlichen Domänen klassischer, staatssouverän gebundener Politik entwickelt haben, müssen wir in eine außenpolitische Tatkraft ummünzen.

Durak: Sie haben ja den Brüsseler Gipfel, den ich angesprochen hatte, deutlich beschrieben. Ist Ihnen so etwas schon einmal passiert? Es heißt ja auch immer, vielleicht ein wenig uncharmant, aber dann doch wichtig, dass Sie der dienstälteste Regierungschef innerhalb der EU sind.

Juncker: Wenn man der Dienstälteste wird, ist das kein direktes Verdienst, sondern ein biologisch gewachsener Zustand.

Durak: Sie haben aber eine Menge erlebt.

Juncker: Ja, das ist richtig. Aber so etwas Frustrierendes habe ich noch nicht erlebt. Wir sitzen in Brüssel zusammen und wissen, dass wir uns eigentlich im tiefen Streit befinden. Wir reden dann aber nicht über den Streit und über die strittigen Punkte, sondern über die Welt am Tag danach. Wir reden darüber, dass man die Welt am Tag danach vorbereiten muss. Da bin ich nun wirklich dafür, aber eine Krise bewältigt man nicht durch schweigendes Anstarren. Man muss über die Dinge reden. Irgendwann kommt der Tag, vielleicht ist es auch noch zu früh, wo Sie ein kritisches, vor allem autokritisches Debriefing der zustande gekommenen Schwachstellen machen müssen.

Durak: Ist dann dieser Mini-Verteidigungsgipfel, den es Ende April in Brüssel zwischen Frankreich, Deutschland, Belgien und auch Luxemburg geben wird, eine logische Konsequenz aus dem Desaster?

Juncker: Ja, das ist eine logische Konsequenz aus dem Desaster. Dieses Sich-Besinnen auf notwendige außenpolitische, sicherheits- und verteidigungspolitische Anstrengungen hätte aber auch ohne die Irak-Krise stattfinden müssen. Dass das jetzt eine besondere Bedeutung bekommt, steht außer Frage. Luxemburg ist aber bei diesem Treffen nicht dabei, weil wir auf militärisch-strategische Dinge besonderen Einfluss nehmen könnten und eine besondere Kraft einbringen können. Aber es handelt sich hier um ein politisches Unterfangen. Diejenigen, die der Auffassung sind, dass die europäischen Dinge jetzt nicht im Stillstand verharren dürfen, dass sie nicht zum Erliegen können dürfen, sondern es weitergehen muss. Wir müssen, nachdem wir das Thema Währungsunion abgehandelt haben, jetzt in einem diffizilen Feld mit politischer Arbeit und Zusammenwirkung versuchen, eine Vorreiterrolle, zumindest was die Denkansätze anbelangt, zu übernehmen.

Durak: Aber spalten Sie dann nicht Europa, Stichwort Kerneuropa?

Juncker: Ich bin nicht der Meinung, dass wir uns notwendigerweise auf dem Weg zu einem Kerneuropa befinden. Wenn es denn so wäre, dann wäre mir ein Kerneuropa immer noch lieber als ein Europa der hohlen Nuss.

Durak: Was ist das Ziel dieses Gipfel und der Initiative ganz konkret?

Juncker: Es geht dabei nicht um Fraktionierung? Es geht darum, dass sich einige Staaten mit der Frage beschäftigen, wie gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik aussehen könnte. Es geht darum, dafür zu werben, dass nicht jede nationale Armee sämtliche Einrichtungen braucht, sondern es geht um die Zusammenlegung verschiedener militärischer Funktionen und um Effizienzsteigerung. Es geht darum, darüber nachzudenken, wie wichtige gemeinsame Kommandostrukturen aussehen können. Es geht darum, wie man sich eine gemeinsame europäische Rüstungspolitik vorstellen könnte. Es geht um Fragen pragmatischer Art. Diese Fragen muss irgendjemand anpacken. Vier von sechs Gründungsmitglieder der EU machen sich auf den Weg, eine Art Vorreiterrolle zu spielen, ohne sich den Vorwurf der Fraktionierung einhandeln zu müssen. Das halte ich für eine ernsthaft gezogene Konsequenz aus dem Dissens vergangener Tage.

Durak: Vielen Dank, Herr Juncker!

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