Jean-Claude Juncker: "Die Saat ist aufgegangen"

Für Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker ist die in der vergangenen Woche auf dem Gipfel in Athen besiegelte Osterweiterung der EU mehr als die vielfach beschworene historische Wiedervereinigung des Kontinents. "Die Aufnahme der neuen Mitglieder ist auch ein Gebot der Vernunft", sagte Juncker im Gespräch mit WELT am SONNTAG.

Ohne den Grundsatzbeschluss zur Erweiterung wäre "Mittel- und Osteuropa ein Ort der politischen und wirtschaftlichen Instabilität, und das hätte auf den ganzen Kontinent ausgestrahlt", so Juncker.

Der luxemburgische Regierungschef ist zusammen mit Jacques Chirac einer der wenigen noch aktiven europäischen Politiker, die Mitte der 90er-Jahre die Weichenstellung für die Aufnahme der ost- und mitteleuropäischen Staaten sowie der Inseln Zypern und Malta betrieben haben. Darum war die Vertragsunterzeichnung in Athen für Juncker eine persönliche Genugtuung: "Die Saat ist aufgegangen."

Die Entscheidung über die Ausdehnung der EU nach Osten und Südosten vergleicht Juncker mit der von Maastricht. "Wann immer die Europäer von großen Plänen angetrieben werden und diese mit einem festen Kalender versehen, übertreffen sie sich und beeindrucken die anderen. Das war mit dem Euro so, und das ist jetzt mit der Erweiterung so." Und: "Wir sind gut, wenn wir gut sein wollen."

Gleichzeitig aber sieht der Regierungschef des kleinsten EU-Landes mit dem Anwachsen der EU von heute 15 auf 25 Mitgliedstaaten gewaltige Veränderungen auf sie zukommen. "Die Union wird nicht mehr die gleiche sein wie heute, und sie wird auch nicht mehr so funktionieren können", prophezeit Juncker.

Die europäischen Institutionen müssten mit der Erweiterung gestärkt werden. "Es muss in Europas Mitte einen Dreh- und Angelpunkt geben, von dem die Initiativen für Europa ausgehen."

Mit Sorge betrachtet der luxemburgische Premier in diesem Zusammenhang "die Tendenz in der EU zur Gruppen- und Fraktionsbildung". Dass sich einzelne EU-Länder aus unterschiedlichen Interessen zusammenfinden, "ist im Endeffekt nichts anderes als das Ergebnis mangelhafter Integrationstiefe in der EU". Ohne den von ihm gewünschten Dreh- und Angelpunkt werde es immer wieder zu solchen Fraktions- und Koalitionsbildungen kommen.

Dass er selbst als Sprecher einer großen Koalition von 16 kleinen Ländern aktiv an solch einer Gruppenbildung beteiligt ist, rechtfertigt Juncker mit dem Hinweis, er habe sich "dagegen gewehrt, dass man diesen komplizierten europäischen Kontinent jetzt mit einem zu einfachen Regelungssystem überzieht". Traditionell plädieren die kleinen Länder für eine starke EU-Kommission als Gegengewicht zum Rat der EU-Regierungen.

Nur eine starke Kommission, so das Kalkül nicht nur in Luxemburg, kann gewährleisten, dass in der EU die kleinen Länder nicht von den großen dominiert werden. Eines der Erfolgsrezepte der EU sei die Gleichheit der Mitgliedsländer, hatte Juncker schon auf dem Gipfel-Treffen in Athen in der vergangenen Woche erklärt. Darum hat er sich als Sprecher der 16 Länder gegen den Versuch ausgesprochen, die mühsam austarierte Machtbalance zwischen den verschiedenen europäischen Institutionen zu verschieben. Ein hauptamtlicher EU-Präsident, wie es EU-Konventspräsident Valéry Giscard d'Estaing vorschwebt, der die Interessen der EU-Regierungen vertritt, stößt deswegen bei Juncker und den 16 kleinen Ländern auf Ablehnung.

"Wir müssen die Gemeinschaftsmethode stärken und das Intergouvernementale so weit wie möglich aus den europäischen Entscheidungsprozessen verbannen", sagt Juncker. Andernfalls "droht sehr schnell wieder eine bessere europäische Freihandelszone".

Die unterschiedlichen Auffassungen, wie Europa weiterentwickelt werden soll, hat Junckers Parteifreund, der deutsche Europa-Abgeordnete Elmar Brok, auf die Formel gebracht, die EU habe die Wahl zwischen Monnet oder Metternich. Juncker ist eindeutig Befürworter der Methode des europäischen Gründervaters Monnet, mit einem starken Kommissionspräsidenten und mehr Rechten für das europäische Parlament. Große Länder wie Großbritannien oder Frankreich wollen dagegen die Rolle der Regierungen stärken und unterstützen Giscards Vorstellungen eines EU-Präsidenten - die Methode Metternich.

Auch wenn die Vorstellungen zwischen kleinen und großen Ländern derzeit noch weit auseinander liegen, glaubt Juncker an einen Kompromiss. "Wie bei allen kontrovers geführten europäischen Diskussionen wird niemand komplett Recht behalten. Jeder muss sich auf den anderen zubewegen."

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