Jean-Claude Juncker: Saar-Lor-Lux soll zur Modellregion werden

SR: Herr Juncker, wenn man einen Strich unter den 7. Saar-Lor-Lux-Gipfel zieht, könnte man zu dem Schluss kommen, es hat mal wieder viele Absichtserklärungen gegeben, aber nur wenig konkrete Beschlüsse. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Jean-Claude Juncker: Ich habe überhaupt nicht die Absicht, mich an dieser penetranten, fast peinlichen Larmoyanz der deutschen Presse zu beteiligen. Seit es den Gipfel gibt, wird mir in jedem Interview bedeutet, dass das ja eigentlich alles keinen Wert hat. Es ist das aber nicht so. In den anschließenden Pressekonferenzen bringen wir zum Ausdruck, was wir uns für die kommende Zeit vorgenommen haben. Wir bilanzieren kaum, was wir in der zurückliegenden Berichtsperiode alles verwirklicht haben. Es passiert in der Großregion jeden Tag etwas.

SR: Es tut sich also was, nur die Menschen bemerken zu wenig davon.

Jean-Claude Juncker: Sagen wir so: Es ist eine Region, die unterwegs ist. Die sich für meinen Geschmack zu langsam bewegt, aber immerhin in Bewegung ist. Aber die Vorstellung, dass dauernd in der Zirkuskuppel neue Nummern geboten werden, ist aberwitzig. Nein, wir arbeiten sehr konkret an vielen Projekten. Es gibt viele Fortschritte zu vermelden. Mag sein, dass das alles viel zu langsam geht, aber es passiert was.

SR: Es gibt nun ein neues Zukunftsbild. Danach soll die Großregion ein Gesicht bekommen, in Form eines Generalsekretärs, dazu fünf Agenturen für die wichtigsten Themenfelder der Politik. Wie groß schätzen Sie denn die Chance ein, dass dieses Zukunftsbild auch tatsächlich umgesetzt wird?

Jean-Claude Juncker: Es war unabdingbar notwendig, dass sich eine Experten-Kommission unter Vorsitz meines Amtsvorgängers Jacques Santer zusammengesetzt hat, um mal in einer etwas vertieften Form über Wachsen und Werden der Großregion in den nächsten 20 Jahren nachzudenken. Diese tiefschürfende Arbeit ist jetzt geleistet worden und daraus wird ersichtlich, dass wir, beispielsweise was die Institutionen der Großregion anbelangt, weitere Schritte unternehmen müssen. Dass wir beispielsweise den so genannten Gipfel der Großregion mit der Regionalkommission - die es seit 1980 gibt - zusammenlegen wollen, ist absolut notwendig. Dann brauchen wir einen Generalsekretär, der sich aber wahrscheinlich Koordinator nennen wird, damit hier nicht ein bürokratisches Monster entsteht.

Also wir brauchen eine Verschlankung des institutionellen Gefüges der Großregion und dies werden wir jetzt sehr konsequent in Angriff nehmen.

SR: Einen neuen Namen allerdings wird es nicht geben. 3.000 Vorschläge wurden im Rahmen eines Wettbewerbs gemacht, und dann gehen Sie im Vorfeld des Gipfels hin und wischen das Ganze mit einem Satz vom Tisch, indem Sie sagen: Mit mir nicht, ich gebe keinen Cent dafür. Kann man das so machen ?

Jean-Claude Juncker: Ich weiß nicht, wen Sie da zitieren. Mich jedenfalls nicht. Wir haben uns diese 3.000 Vorschläge angeschaut und keiner dieser Vorschläge ist auf die einhellige Zustimmung der Gipfelteilnehmer gestoßen. Das hat wesentlich damit zu tun, dass fünf Teilregionen aus vier Ländern zusammengebracht werden müssen, in denen mindestens drei Sprachen gesprochen werden. Was an deutschen Vorschlägen auf den Tisch kam, mag im deutschsprachigen Raum noch einleuchtend wirken und auch Identitätsstiftend sein, dies ist in französischer Übersetzung dann aber den Menschen häufig nicht zumutbar und umgekehrt. Und deshalb sind wir der Meinung gewesen, dass wir vorerst mit dem Titel „Großregion“ weiter machen sollten. In allen Parlamenten - mit Ausnahme vielleicht des Saarländischen Landtags - wird immer, sobald über unseren Raum gesprochen wird, auf eine sehr normale selbstverständliche Art und Weise von der Großregion gesprochen, sodass sich diese Vokabel doch langsam aber sicher in den allgemeinen Sprachgebrauch einschleicht.

SR: Sie sitzen mit am Tisch der Staats- und Regierungschefs. Es wird eine neue Regierungskonferenz zur künftigen EU-Verfassung geben. Könnten auch Sie noch einen zusätzlichen Beitrag leisten, um die interregionale Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg zu erleichtern?

Jean-Claude Juncker: Ich weiß nicht, ob die Europäische Union in diesem Fall verfassungsgebend sein kann. Wichtig ist, dass in der neuen Verfassung der regionalen Dimension in vollem Umfang Rechnung getragen wird, dass das Prinzip der Subsidiarität wirklich gedanklich und später auch praktisch totale Anwendung findet. Die Europäische Union soll nur das tun, was Staaten oder Regionen nicht besser tun können und es gibt vieles, was auf regionaler Ebene besser angesiedelt ist, als auf der europäischen.

Dass im übrigen eine Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission ‚mir nichts dir nichts‘ die Bahnstrecke zwischen Brüssel, Luxemburg, Metz und Straßburg einfach von der Karte wischt, zeigt, dass man in Brüssel den besonderen Reiz des Interregionalen noch nicht völlig erfasst hat.

SR: Blicken wir weit voraus in das Jahr 2020, so ist das neue Leitbild überschrieben. Was glauben Sie, wie die Großregion dann dastehen wird?

Jean-Claude Juncker: Also über derartige Langzeitvorhaben schließe ich selten Wetten ab. Mir geht es darum, dass vernünftige Vorschläge, besonders was die Straffung der Kompetenzen anbelangt, jetzt zügig umgesetzt werden und dass wir spätestens im Jahre 2010 bilanzieren sollten, was wir in den letzten acht Jahren zu Stande gebracht haben.

SR: Noch eine Frage zur neuen EU-Verfassung: Trotz Ihrer Kritik in den letzten Wochen, die luxemburgische Regierung hat sich dafür ausgesprochen, die künftige Verfassung, damit sie eine Bürgerverfassung wird, den Menschen zur Abstimmung vorzulegen. Sind Sie dafür, dass das überall in Europa geschieht, also auch in Deutschland?

Jean-Claude Juncker: Also ich hab Mühe genug, ein solches Referendum im Luxemburg durchzuführen. Ich muss mir da nicht auch noch den Kopf meiner Kollegen in anderen Ländern zerbrechen. Allerdings bin ich schon der Auffassung, wenn dies ins nationale Ambiente passt, dass man die neue Verfassung mit der breitest möglichen Zustimmung der europäischen Völker ratifizieren sollte. Man kann Europa nicht auf Dauer an den Menschen vorbei bauen und deshalb sind wir zu der Auffassung gelangt, dass wir die Luxemburger auch fragen sollten, ob sie mit dem, was da vorgeschlagen wird - für die nächsten vier, fünf Jahrzehnte - auch einverstanden sind.

SR: Herr Juncker, vielen Dank für das Gespräch.

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