Henri Grethen: Wir brauchen neue industrielle Standorte

Luxemburger Wort: Herr Minister, wie sieht die Lage bei den Luxemburger Industriezonen aus?

Henri Grethen: Das hängt davon ab, mit wem Sie sprechen. Da reichen die Antworten von schlecht über zufrieden stellend bis gut. Ich glaube, dass Letzteres zutrifft.

LW: Dabei ist aber Industriezone nicht gleich Industriezone...

Henri Grethen: Es gibt zunächst einmal nationale Zonen für große Industrieunternehmen. Diese befinden sich in Regionen, in denen der Staat bei neuen oder zusätzlichen Investitionen nach europäischen Kriterien eingreifen darf. Solche Zonen haben wir etwa in Lentzweiler/Clerf im Norden, in Echternach und auf Potaschberg im Osten oder in Differdingen, Esch/Alzette, Rodange, Bettemburg und Düdelingen im Süden.

LW: Wie sieht die Finanzierung dieser nationalen Zonen aus?

Henri Grethen: Bei diesen Zonen werden die Grundstücke vom Staat, mit Hilfe der Gemeinden, gekauft. Und der Staat schafft auch die Infrastrukturen.

LW: Und in welcher Form können die Unternehmen dann die Industriezone nutzen?

Henri Grethen: Über ein "droit de superficie" (Erbpachtrecht) erhalten sie das Recht, die Fläche zu nutzen. In der Regel für 30 Jahre mit einer Option auf weitere 20 Jahre. Die Miete ist dabei eher symbolisch. Die Unternehmen müssen sich jedoch auch an den Infrastrukturkosten beteiligen.

LW: Dann gibt es aber auch noch regionale Industriezonen...

Henri Grethen: Die regionalen Industriezonen werden von zwei oder mehr Gemeinden betrieben. In der Regel über interkommunale Syndikate. Die Grundstücke werden vom Staat oder von den Gemeinden gekauft. Und die regionalen Industriezonen werden von Gemeinden und Staat zusammen betrieben.

LW: Für welche Unternehmen sind diese regionalen Industriezonen geeignet?

Henri Grethen: Alle verarbeitenden Unternehmen. Jedoch keine, die lediglich Handel betreiben.

LW: Und wenn eine Gemeinde allein eine Zone schaffen will?

Henri Grethen: Dafür haben wir die lokalen Industriezonen. Solche Zonen werden auf Initiative von nur einer Gemeinde geschaffen. Der Staat beteiligt sich an den Infrastrukturkosten mit 15 Prozent. Die Gemeinde kann die Grundstücke verkaufen oder auch mittels "droit de superificie" vermieten. Auch kommerzielle Aktivitäten sind in einer solchen Zone möglich.

LW: Aber es braucht immer die Initiative der öffentlichen Hand?

Henri Grethen: Nein! Auch Privatpromoteure können eine Industriezone schaffen. Denken Sie nur an Leudelingen oder an die "Cloche d'Or". Die Vielfalt ist also sehr groß. Sowohl was die Bestimmung als auch was die Intervention des Staates angehen.

LW: Und trotzdem soll es Unternehmen geben, die kein Terrain finden ...

Henri Grethen: Das sind dann aber meistens Unternehmen, die in Konkurrenz stehen mit zahlreichen Unternehmen hier in Luxemburg. Unsere Politik der vergangenen Jahre bestand darin, dass wir schon aufgepasst haben, dass das Unternehmen zur Industriezone und die Industriezone zum Unternehmen passt. Und wenn es einer Firma zu eng wird in einer Zone oder die Aktivitäten zu Problemen führen, versuchen wir neue Standorte zu finden. Die Terrains, auf denen diese Firmen sich befinden, müssen dann allerdings auch in die öffentliche Hand übergehen. Auf keinen Fall wollen wir Baulandspekulation auf Kosten der Allgemeinheit zulassen. Die Mission des Staates besteht eher darin, nach unten zu regulieren.

LW: Haben wir eigentlich ausreichend Industriezonen in Luxemburg? Oder fehlen noch Terrains?

Henri Grethen: Selbstverständlich fehlen Industriezonen! Wir müssen in den kommenden Jahren neue Zonen erschließen. Ich habe es darum auch sehr begrüßt, dass Staatsminister Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Nation angekündigt hat, dass der Staat beim "Crassier" Ehleringen und Differdingen Grundstücke kaufen will, um neue nationale oder vielleicht sogar regionale Industriezonen zu schaffen.

LW: Wie sehen Sie die Lage in den Zonen in den verschiedenen Regionen des Landes? Wo besteht noch konkret Handlungsbedarf?

Henri Grethen: Im Süden haben wir ganz klar große Möglichkeiten. Im Norden ist Lentzweiler ausgelastet. Wir sind bereit, auf dem Eurofloor-Areal in Wiltz auf den Weg einer nationalen oder interkommunalen Zone zu gehen. Die Gemeinde muss uns nur sagen, was sie will. In Echternach haben wir noch Raum. Eben wird in Ellange-Gare ein neues regionales Gewerbegebiet fertiggestellt. In Düdelingen sind hingegen kaum noch Standorte zu finden. Im "Pole européen de développement" und in Bettemburg ebenso. Wir brauchen also, wie gesagt, ganz klar neue industrielle Standorte! Und zwar ganz besonders im Süden des Landes.

LW: Um die Hauptstadt gibt es eigentlich kaum Zonen?

Henri Grethen: Zumindest keine nationalen Industriezonen. Und diese werden hier auch nicht benötigt. Wir haben auch keinen Raum dafür. Und wissen Sie: Die Distanz zwischen Esch/Alzette und Luxemburg-Stadt beträgt 18 Kilometer.

LW: Wie sieht es eigentlich im Dienstleistungsbereich aus? Besteht hier auch eine Nachfrage?

Henri Grethen: Die besteht auch. Aber diese Unternehmen können Sie auf anderen Standorten unterbringen als große Industrien. Konkret will ich Ihnen sagen, dass wir auf der Industriebrache Belval/West hauptsächlich im Dienstleistungsbereich Standorte anlegen.

Im Rahmen der Initiativen SES befindet sich zudem in Betzdorf ein "Parc des médias et de l'audiovisuel" für Unternehmen der Telekommunikationsbranche in Ausarbeitung.

LW: Wie funktioniert eigentlich konkret die Standortvergabe?

Henri Grethen: Ein Investor kommt nach Luxemburg und sagt uns, dass er z.B. vier Hektar benötigt. Dann machen wir ihm verschiedene Vorschläge. Wir zeigen dem Unternehmer die verschiedenen Industriezonen, die in Frage kommen könnten.

LW: Nach welchen Kriterien?

Henri Grethen: Wenn dieses Unternehmen sagt, dass es z.B. deutschsprachige Arbeitskräfte aus Belgien sucht, dann ist es sehr gut in Lentzweiler aufgehoben. Wenn es eher in Frankreich rekrutieren will, werden wir ihm eher Standorte im Süden vorschlagen. Von Fall zu Fall sind die Kriterien verschieden. Wir zeigen die Möglichkeiten auf. Aber letztendlich muss der Investor entscheiden. Nicht das Wirtschaftsministerium.

LW: Spielen auch die Regionen bei Ihrer Orientierungspolitik eine Rolle?

Henri Grethen: Natürlich versuchen wir, dass ein gewisses Gleichgewicht und auch eine industrielle Diversifizierung zwischen den verschiedenen Regionen des Landes besteht.

LW: Insofern ist Wirtschaftspolitik auf den Industriezonen auch Landesplanungspolitik?

Henri Grethen: Auf jeden Fall. Sogar ein sehr wichtiger Bestandteil der Landesplanung.

LW: Wie holen Sie eigentlich die Unternehmen nach Luxemburg?

Henri Grethen: Die Palette ist sehr vielfältig: Unsere Büros des "Board of economic development" in New York, in San Francisco, in Tokio oder in Seoul machen eine hervorragende Arbeit. Gleiches gilt für unsere Botschaften in der ganzen Welt, die ja beständig für den Wirtschaftsstandort Luxemburg werben. Wir haben ein sehr effizientes Netz von Honorarkonsuln. Schließlich gibt es noch die bekannten Promotionsreisen des "Board of economic development" mit dem Erbgroßherzog. Und auch auf Staatsbesuchen versuchen wir immer auch, Luxemburg wirtschaftlich zu vermarkten. Unsere Politik ist also proaktiv und wird von der Business-Gemeinschaft getragen.

LW: Aber es spricht sich doch auch herum, dass der Standort Luxemburg interessant ist. Oder?

Henri Grethen: Die "Bouche à oreille"-Werbung der Unternehmen, die bereits hier sind, funktioniert sehr gut. Wenn Sie ein Unternehmen nach Luxemburg holen, ziehen so auch oft Zulieferfirmen nach. Wir arbeiten zudem mit Consultingbüros zusammen, die uns informieren, wenn ein Unternehmen nach Luxemburg kommen will.

LW: Was braucht eigentlich eine Industriezone, um attraktiv zu sein?

Henri Grethen: Sie braucht Anschlüsse an sämtliche Infrastrukturen: Straßen, Bahn, Gas, Wasser, Elektrizität, Telekommunikation, Kläranlagen, öffentlichen Transport und, und, und. Auch muss sie in einer förderbaren Region liegen. Nicht jeder Standort ist also für eine Industriezone geeignet.

LW: Die Industriezonen sind demnach ein wichtiger Teil Ihrer Wirtschaftspolitik?

Henri Grethen: Industriezonen sind ein sehr wichtiges Element unserer Wirtschaftspolitik. Wenn Sie keine Standorte haben, kommen keine Unternehmen!

LW: Welche Rolle spielt dabei das Wirtschaftsministerium?

Henri Grethen: Oft geht von uns die Initiative auf Basis der vorhandenen Gesetze aus. Und dann stellen wir auch den Unternehmen die Grundstücke zur Verfügung.

LW: Aber Sie müssen auch Unternehmen absagen?

Henri Grethen: Ja. Bei vielen Anfragen ist auch keine nationale Initiative vonnöten. Aber das ist immer sehr schwierig zu erklären. Der Staat hat ja auch nicht die Aufgabe, allen Unternehmen staatliche Standorte zur Verfügung zu stellen. Manchmal ist auch Privatinitiative gefordert.

LW: Wie würden Sie allgemein die Lage auf den Industriezonen beschreiben. Ziehen Sie eine positive Bilanz der vergangenen vier Jahre?

Henri Grethen: Die Tendenz ist so positiv, wie in den vergangenen Jahren. Es gab keinen Einbruch.

LW: Aber Sie spüren schon auch die schwierige Wirtschaftslage?

Henri Grethen: Natürlich ist es nicht mehr so einfach, wie in den siebziger Jahren. Es gibt heute sehr strenge Kontrollen aus Brüssel. Damals konnten z. B. wesentlich höhere Subsidien an Unternehmen verteilt werden. Wir können heute nur noch höchstens zehn Prozent netto subventionieren. In anderen europäischen Gegenden können Sie noch über 30 Prozent subventionieren. Für uns ist dieser Zustand nicht immer sehr einfach.

LW: Ist es trotzdem einfach, den Standort Luxemburg zu verkaufen?

Henri Grethen: Es war noch nie einfach, den Standort Luxemburg zu verkaufen. Luxemburg hat viele Vorteile: seine zentrale Lage in Europa, die Mehrsprachigkeit, die wirtschaftliche Neutralität, das steuerliche Umfeld, die niedrigen Lohnnebenkosten, die hohe Produktivität. Luxemburg hat aber auch Nachteile: die relativ hohen Löhne oder auch ein Arbeitsmarkt, der Spannungen ausgesetzt ist. Mit diesen Vor- und Nachteilen müssen wir umgehen. Das tun wir auch. Und gar nicht mal schlecht!

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