Jean-Claude Juncker: Mehr Durcheinander als Miteinander. Le Premier ministre au sujet du projet de Constitution de l'UE

Morgen startet eine neue Verhandlungsrunde. Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf?

Jean-Claude Juncker: Die Schwachstellen liegen vor allem im institutionellen Bereich. Und hier gilt es im Lauf der Regierungskonferenz dafür zu sorgen, dass jeder in Europa weiß, wie der Vorsitz im Europäischen Ministerrat geregelt wird, wie Ministerrat und Europaparlament gemeinsam gesetzgeberisch tätig werden können, welches die genauen Aufgaben und welches der genaue Stellenwert des europäischen Außenministers ist, den ich für unabdingbar wichtig halte.

Wo brauchen wir mehr Europa, wo weniger?

Jean-Claude Juncker: Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik müssen langfristig mit Mehrheit statt mit Einstimmigkeit entschieden werden. Denn während der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und zuletzt vor dem Krieg im Irak hatte die EU mehr europäisches Durcheinander als europäisches Miteinander anzubieten. Auch bei Steuerfragen, die den Binnenmarkt betreffen, brauchen wir Mehrheitsentscheidungen. Wenn Europa aber Dinge wie Heimat oder Tradition zerstören sollte, dann zerstört sich Europa selbst.

Was hat Europa in den letzten Jahrzehnten zusammengehalten?

Jean-Claude Juncker: Das Erfolgsgeheimnis in Europa war jahrzehntelang das Miteinander der großen und der kleinen Staaten. Die EU gerät auf die schiefe Bahn, wenn Deutschland aufhört, der Alliierte der kleinen Staaten zu sein.

Welche Rolle können Regionen wie Bayern in einer erweiterten EU spielen?

Jean-Claude Juncker: Ich bin der Auffassung, dass der europäische Wettbewerb in 20 Jahren nicht zwischen Nationalstaaten, sondern zwischen den europäischen Regionen stattfinden wird. Nur mit einer eigenständigen Identität sind die Regionen wettbewerbsfähig und können der alten und neuen europäischen Konkurrenz begegnen.

Über die Beteiligung der EU-Bürger an der Verfassung wird seit Monaten debattiert. Brauchen wir Volksabstimmungen?

Jean-Claude Juncker: Luxemburg hat entschieden, dass die Europäische Verfassung per Volksentscheid in unser nationales Rechtssystem eingeführt wird. Wir sind der Meinung, dass, wenn es um wesentliche europäische Weichenstellungen geht, dies nicht nur Sache der Regierungen und der Parlamente sein kann, sondern dass die Bürger Europas direkt gefragt werden müssen. Ich habe allerdings Verständnis, dass die Bundesrepublik Deutschland die Frage unter den Erfahrungen der Weimarer Republik etwas nuancierter angeht.

Sollte die europäische Verfassung einen expliziten Gottesbezug enthalten?

Jean-Claude Juncker: Wenn in der Präambel die noch heute gültigen religiösen Werte erwähnt werden, kann ich Gott ohne Mühe zwischen den Zeilen erkennen. Mich ärgert demnach die Aufdringlichkeit derer, die unbedingt verhindern wollen, dass Gott erwähnt wird. Mich ärgert aber auch die Aufdringlichkeit derer, die Gott unbedingt erwähnt sehen wollen. Ich hätte gerne, dass Europa eine Veranstaltung der Toleranz wird.

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