Ich verstehe die Aufregung nicht. Die Unterrichtsministerin über die Schulreform

woxx: Frau Brasseur, Sie haben bei Regierungsantritt eine Bildungsoffensive versprochen. Was haben Sie im Rückblick erreicht?

Anne Brasseur: Sehr viel. Zunächst hat sich, glaube ich, die Einstellung zur Schule verändert. Das ist von unschätzbarem Wert, denn sie lässt sich nicht von oben verordnen. Aber auch in der konkreten Schulpraxis verändert sich viel. Nur ein kleines Beispiel: Wir haben vor kurzem das Deutsch-Schulbuch Mila herausgegeben. Anhand einer neuen Lehrmethode lernen die Kinder lesen und schreiben. Die ersten Erfahrungen damit waren sehr positiv. Auf legislativer Ebene haben wir zudem drei große Gesetzesvorhaben initiiert – das Basisschulgesetz, das Primärschulgesetz, das den alten Text von 1912 ablöst und damit fast ein Jahrhundertwerk ist, die Reform der Berufsausbildung und ...

woxx: ... das Gesetz zur Organisation der hiesigen Lyzeen, dessen ausdrückliches Ziel die schulische Autonomie ist. Was soll sie konkret bringen?

Anne Brasseur: Schulen sollen künftig selbst Verantwortung für ihre interne Organisation übernehmen. So können sie sich nicht nur leichter den lokalen und regionalen Gegebenheiten anpassen, sondern auch den Erwartungen der jeweiligen Akteure besser stellen. Im Rahmen der Autonomie können die Schulpartner gemeinschaftlich entscheiden, wie sie die nationalen Vorgaben in puncto Lehrprogramm, Evaluation oder Inhalt in die Praxis umsetzen. Jede Schule bekommt zudem zehn Prozent der Unterrichtsstunden zur freien Verfügung und kann selbst bestimmen, ob es mehr Sport, Kunst oder Tutorate geben soll.

woxx: Sie stärken die Position der Direktion - was die Lehrergewerkschaften wiederum scharf kritisieren. Das angekündigte Partenariat sei kein echtes, sagen sie.

Anne Brasseur: Grundsätzlich kann ich die Kritik nachvollziehen. Aber partnerschaftlich heißt nicht, dass es keine Hierarchie mehr gibt. Ich persönlich glaube nicht an einer aufgefächerten Schulleitung. Da verschwimmt die Verantwortung. Die Person, die letztendlich die Verantwortung trägt, muss auch die Mittel haben, diese umzusetzen. Und das ist eben die Direktion.

woxx: Mit dem Gesetz wird auch der Conseil d'education eingeführt. Dort sitzen alle AkteurInnen der Schale an einem Tisch und beraten so wichtige Fragen wie die Schulcharta oder die pädagogische Ausrichtung. Trotzdem hat der Direktor ein Vetorecht. Wer bestimmt denn nun?

Anne Brasseur: Normalerweise geschieht dies im Einvernehmen. Wenn sich die Schulpartner nicht einig sind, die Lehrer etwas anderes wollen als die Eltern oder die Schüler, dann muss der Direktor Kompromisse suchen. Wenn er aber keinen Konsens findet, muss er dafür sorgen können, dass die Schule trotzdem weiter läuft.

woxx: Die Lehrergewerkschaften befürchten, dass sie in wichtigen Fragen von der Direktion übergängen werden. Sie fordern deshalb ein Informationsrecht.

Anne Brasseur: Die Informationen bekommen sie - auch jetzt schon. Ich verstehe daher die ganze Aufregung nicht. Fragen Sie mal die Direktoren, von denen viele übrigens selbst in der Gewerkschaft sind. Die Zusammenarbeit klappt in den meisten Fällen gut, und auch der Informationsfluss ist gesichert.

woxx: Die Lehrer sagen etwas anderes.

Anne Brasseur: Zurzeit wird der Entwurf in der Parlamentskommission besprochen, es werden noch Ergänzungen eingebracht. Ich kann nicht sagen, wie dieser Punkt letztendlich aussehen wird.

woxx: Auch die Eltern bemängeln, zu kurz gekommen zu sein, und nennen im Prinzip dieselben Punkte wie die LehrerInnen.

Anne Brasseur: Selbstverständlich haben die Eltern das Recht, über wichtige Belange ihrer Kinder informiert zu werden. Bisher hatten die Eltern keinerlei Rechte. Jetzt ist das Lehrpersonal gesetzlich dazu verpflichtet, den Eltern Rede und Antwort zu stehen. Viele Lehrer haben das ohnehin schon gemacht - nur fehlte bisher die Rechtsgrundlage.

woxx: Die Schulleitung wird in Luxemburg vom Großherzog ernannt. Warum hat man nicht die Chance für mehr Demokratie ergriffen und lässt die Direktion auf einer Art Gesamtschulkonferenz wählen - ähnlich wie das in Finnland oder Deutschland geschieht?

Anne Brasseur: Staatsbeamte, die verantwortliche Posten bekleiden, werden nun mal traditionell vom Großherzog ernannt. Das sieht das Gesetz so vor. Zudem meine ich, dass das Ministerium in schwierigen Personalfragen eine Handhabe haben muss. Konferenzen können eine Meinung vertreten, aber sie sollten in dieser Sache nicht entscheiden.

woxx: Ausdrücklich im Entwurf vorgesehen ist die Evaluation des Unterrichts. Heißt das, jetzt werden auch die Leistungen der Lehrerinnen geprüft und nicht nur die der SchülerInnen?

Anne Brasseur: Die Evaluation der Schülerleistungen ist vorrangig. Dafür haben wir auf der 5e und 9e standardisierte Tests eingeführt. Was wir ganz bestimmt nicht machen werden, ist eine Hitparade der besten Schulen - und wir machen sie erst recht nicht publik. Das ist ungesund. Man kann eine Schule nicht mit anderen vergleichen.

woxx: Andere Länder können es offensichtlich doch: Finnland zum Beispiel.

Anne Brasseur: Wir sind hier aber nicht in Finnland. Dort müssen die Lehrer 32 Stunden in der Schule anwesend sein. Sie unterrichten größere Klassen, sind schlechter bezahlt - und sind trotzdem gut angesehen. Das ist historisch so gewachsen und ganz anders als hier in Luxemburg. Der Vergleich hinkt daher. Ich will kein Ranking der Schulen, aber die Schulen werden sich einem nationalen Durchschnitt stellen müssen. Wenn sich Anomalien zeigen, geht die rote Alarmleuchte an, und man wird sich Fragen stellen müssen. Dann gibt es vielleicht manchmal Erklärungen, die etwas mit dem Lehrpersonal zu tun haben, etwa wenn eine Lehrerin im Mutterschaftsurlaub ist und es Schwierigkelten mit der Vertretung gibt. Der Fehler liegt dann aber nicht im System, sondern an den konkreten Umständen vor Ort.

woxx: Angesichts Ihres erklärten Ziels, die Qualität des Unterrichts zu verbessern, wäre die verpflichtende Weiterbildung für die Lehrerschaft nicht ein Muss?

Anne Brasseur: Zur Verteidigung der Lehrer muss ich sagen: Viele nutzen das Weiterbildungsangebot. Seitdem wir das Angebot verbessert, es viel mehr auf die Bedürfnisse der Lehrer und der Schule zugeschnitten haben, sind die Teilnehmerzahlen spürbar gestiegen. Der Gesetzentwurf schließt aber gleichwohl nicht aus, dass Lehrer zur Weiterbildung verpflichtend werden können.

woxx: Pisa hat gezeigt: Das luxemburgische Schulsystem bereitet seine Schülerinnen nicht ausreichend vor. Als Hauptgrund für das schlechte Abschneiden werden die besonderen Sprachanforderungen genannt. Trotzdem fehlt es weiterhin an fundierten Analysen zur sprachlichen Kompetenz.

Anne Brasseur: Wir haben eine entsprechende Studie im Grundschulbereich zusammen mit Frankreich und England gemacht. Im Ergebnis waren die Unterschiede nicht zu groß. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass nicht nur der kulturelle Hintergrund die Lernleistungen der Schüler beeinflusst, sondern insbesondere der soziale Hintergrund eine wichtige Rolle spielt. Nicht-luxemburgische Kinder stammen oft aus Familien, in denen Eltern eine geringe Schulbildung haben. Man muss diese beiden Faktoren auseinander halten. Leider können wir im sozioökonomischen Milieu nicht intervenieren, bei der Sprache hingegen schon. Deshalb soll ja auch schon in der Spielschule Luxemburgisch gelehrt werden.

woxx: In Ihrem Basisgesetz zur Schule steht, dass SchülerInnen, die nur Deutsch oder Französisch sprechen, nicht aufs Classique dürfen. Werden damit bestehende Ungleichheiten insbesondere sozial schwacher und ausländischer SchülerInnen nicht erst recht zementiert?

Anne Brasseur: Nein. Wer bei uns ein klassisches Gymnasium besuchen will, muss die Landessprachen beherrschen. Und die sind nun mal Deutsch, Französisch und Luxemburgisch. Kinder, die grundsätzlich diese Voraussetzungen mitbringen, aber in Deutsch zu schwach sind, können in "Allemand pour étrangers"-Klassen ihre Sprachkenntnisse aufbessern. Es wird aber kein Bac bis auf Deutsch oder Französisch geben. Das ist eine politische Entscheidung, an der man nicht rütteln sollte.

woxx: Der Genfer Bildungsexperte Walo Hutmacher hat einmal gesagt, für die Pisa-Verlierer sei es wichtig, sich konkrete Bildangsziele für die Zukunft zu setzen. Wie lauten Ihre?

Anne Brasseur: Schule muss einer großen Mehrheit eine Qualifikation mit auf den Weg geben. Das ist mein Ziel. Damit meine ich nicht nur ein Zeugnis - das ist selbstverständlich auch wichtig -, sondern eine Qualifikation, die es den Jugendlichen ermöglicht, sich als vollwertiges Mitglied in dieser Gesellschaft einzubringen.

woxx: Was heißt "eine große Mehrheit"?

Anne Brasseur: Ich nenne nur ungern Zahlen. Unsere Quote bei Schülern, die die Schule erfolgreich abschließen, liegt bei etwa 80 Prozent. Das ist nicht schlecht, wenn man weiß, dass ohnehin rund zehn Prozent aus mentalen Gründen einen Abschluss nicht schafft. Dann bleiben noch zehn Prozent - und davon hätte ich gerne einen großen Teil qualifiziert, ganz besonders die sozial Schwachen.

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