Jean-Claude Juncker: "Verbot der Streubomben wäre logische Verlängerung des Verbots von Landminen"

Luxemburger Wort: Herr Premierminister, Sie haben beschlossen, die Landminen-Aktion von Handicap International zu unterstützen. Was hat Sie dazu bewegt?

Jean-Claude Juncker: Die Notwendigkeit, die Dummheit, die Brutalität und die Rücksichtslosigkeit, die aus der Respektlosigkeit resultiert, zu bekämpfen. Ich habe immer den Standpunkt vertreten, dass Landminen eine besonders grausame Waffe sind, weil sie selektionslos zuschlagen. Das eigentliche Problem aber sind nicht die Waffen: Als Kain Abel getötet hat, hat er das nicht getan, weil er eine Waffe hatte, sondern weil er seinen Bruder gehasst hat. Wichtig ist die Auseinandersetzung mit den Beweggründen, die Leute dazu bringen, Waffen zu benutzen.

Unterstützen Sie die Aktion in Ihrem eigenen Namen oder im Namen der Regierung?

Ich tue das im eigenen Namen und im Namen der Regierung. Es ist eine beschlossene Politik der früheren Regierung und dieser Regierung, im Bereich der Ächtung der Landminen und der Streubomben auf internationaler Ebene alles zu tun, um diese Waffen zu beseitigen.

Im 1997 unterzeichneten Abkommen von Ottawa verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, keine Landminen herzustellen und zu benutzen sowie, ihre Bestände zu zerstören. Wie erklären Sie sich, dass bislang nur 143 Staaten das Abkommen unterzeichnet haben (und weitere neun es unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert haben)? Werden die Interessen der Waffenindustrie und die militärischen Interessen vor den Schutz der Menschenleben gesetzt?

Ich bin zunächst einmal froh, dass 143 Staaten unterschrieben haben. Eine große Mehrheit der internationalen Akteure hat sich damit dem Verbot der Landminen angeschlossen. Dass es eine Reihe von Ländern gibt, in denen die Waffenlobby und die Waffenindustrie über einen nicht unerheblichen Einfluss verfügen, ist nicht abzustreiten. Doch in der Gruppe von Staaten, die das Abkommen noch nicht ratifiziert haben, müssen einige nuancierter betrachtet werden. Im Bereich der EU haben drei Mitgliedstaaten noch nicht unterschrieben: Finnland, Polen und Lettland. Polen und Lettland werden jetzt ratifizieren, Finnland will der Konvention im Jahr 2012 beitreten. In diesen drei Ländern ist nicht davon auszugehen, dass die Waffenlobby ursächlich daran beteiligt ist, dass die Staaten noch nicht ratifiziert haben. Das sind Länder, die aus historischen Gründen ihren Grenzschutz hauptsächlich mit Landminen bestreiten - vor allem Finnland, das über Jahrzehnte mit einem sowjetischen Nachbarn zu tun hatten, der nicht durch besondere Friedfertigkeit aufgefallen ist. Die Finnen brauchen einfach länger Zeit, ihre Landminen zu zerstören. Das ist auch ein sehr teurer Prozess... Als 1997 der Ottawa-Vertrag kam, habe ich mich lange und kontrovers mit dem finnischen Premier Lipponen unterhalten. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Finnland die Landminen nicht nur ächtet, sondern auch zerstört, doch es braucht eben länger Zeit.

Halten Sie es für denkbar, dass Staaten wie die USA, China und Russland das Abkommen mittel- bis langfristig unterzeichnen werden?

In diesem Bereich bin ich ein kleiner Heiliger in einer großen Kirche. Ich weiß nicht, was die Endabsichten dieser drei Staaten sind. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass man auf Dauer den Anspruch auf die moralische Führung der Welt erheben kann, wenn man sich nicht dem Verbot dieser Waffen anschließt und entsprechend handelt. Ich würde mir auch wünschen, dass in den drei Ländern die öffentliche Meinung und die Zivilgesellschaft Druck machen, damit diese Länder der Konvention beitreten. Denn eine solche Ächtung und Bereitschaft zum Verbot der Landminen entsteht nicht nur durch internationalen Druck. Es wäre auch gut, wenn die Zivilgesellschaft, die sich in unserem Teil der Welt für ein Verbot einsetzt, auch die Zivilgesellschaft in diesen Ländern in die Mitverantwortung nehmen würde.

Wo wir vom internationalen Druck reden, was kann denn auf internationaler Ebene getan werden, um das vollständige Verbot von Landminen voranzutreiben? Und was kann die Luxemburger Regierung dafür tun?

Man muss bei allen Gelegenheiten, bei allen internationalen Konferenzen, Generalversammlungen der UNO, bei regionalen Treffen wie z. B. die ASEM-Konferenz, für ein Verbot der Landminen plädieren. Nicht jene, die Landminen verbieten wollen, und die dabei sind, sie zu zerstören, müssen sich rechtfertigen. Es müssen sich diejenigen rechtfertigen, die dem Abkommen von Ottawa nicht beitreten wollen. Man darf sie ganz einfach nicht in Ruhe lassen und immer wieder dafür plädieren - nicht argumentieren, denn die Argumente liegen auf der Hand.

Die gleichen menschlichen Tragödien und wirtschaftlichen Schäden wie Minen richten Streubomben an, die oft zu Hunderten in einer großen Bombe enthalten sind, zu fünf bis 30 Prozent beim Impakt nicht explodieren und dann wie Minen wirken. Wie realistisch ist ein vollständiges Verbot dieser Bomben und wird Luxemburg, wie Charles Goerens es angekündigt hatte, sich auch dafür einsetzen?

Ob es realistisch ist, weiß ich nicht, aber wünschenswert ist es auf jeden Fall. Ich kann keine Bewertungsnuance erkennen, wenn es darum geht, Landminen und Streubomben zu verurteilen und zu verbieten. Sie haben dieselben verheerenden Wirkungen und beide machen keinen Unterschied zwischen Zivilpersonen und militärischen Truppenverbänden. Deshalb wäre das Verbot der Streubomben eine logische Verlängerung des Verbotes der Landminen. Die Luxemburger Regierung setzt sich auf internationaler Ebene auch für das Verbot dieser Bomben ein.

Sie haben gesagt, dass Minen und Streubomben nicht zwischen Soldaten und Zivilpersonen unterscheiden. Ist dieser Umstand nicht ein Verstoß gegen das internationale Recht? Und wenn ja, gibt es Möglichkeiten, dagegen vorzugehen?

Es gibt keine für jeden verbindliche internationale Rechtsnorm, die diese Waffen verbieten würde - man muss ja dem Abkommen beigetreten sein, um sich aufzuerlegen, die Waffen zu beseitigen. Es ist aber ein Verstoß gegen das internationale Gebot der Menschlichkeit. Es ist eigentlich ein Drama, dass man Konventionen abschließen muss, um Selbstverständliches zu tun.

Die Folgen der Landminen und Streubomben sind furchtbare Verstümmelungen und oft der Tod der Opfer. Was tut Luxemburg, um den Opfern zu helfen?

Es genügt nicht, ein Verbot der Waffen in Konventionen einzuschreiben, man muss sich auch dauerhaft mit dem Schicksal jener Menschen befassen, die Opfer dieser Waffen sind. Diesen Menschen werden viele Lebensmöglichkeiten geraubt. Das ist eine Aufforderung, die medizinische und psychologische Begleitung der Opfer dieser furchtbaren Waffen zu ermöglichen. Luxemburg beteiligt sich finanziell am Fonds für die Opfer von Landminen, an den Vemichtungsprogrammen der Minen sowie an den medizinischen und psychologischen Begleitprogrammen. Luxemburg gibt dafür von 1999 bis 2006 rund acht Millionen Euro aus.

Vom 29. November bis zum 3. Dezember 2004 soll bei der Konferenz von Nairobi eine Zwischenbilanz über das Abkommen von Ottawa gezogen werden. Welche Erwartungen knüpfen Sie an diese Konferenz?

Die Zwischenbilanz ist nicht nur negativ: Seit das Abkommen von Ottawa in Kraft ist, wurden 31,4 Millionen Landminen zerstört. Ich wünsche mir, dass das Programm auf eine beschleunigte Art und Weise fortgesetzt wird und dass der Druck bestehen bleibt. Ich hoffe nicht, dass die Fristen verlängert werden. Ich wäre auch froh, wenn man sich in Nairobi damit beschäftigen würde, wie man die Streubomben in den Anwendungsbereich der Konvention von Ottawa integrieren könnte.

Herr Premierminister, vielen Dank für das Gespräch.

Dernière mise à jour