Jean-Claude Juncker au sujet du référendum français sur le traité constitutionnel

Marc Glesener: Herr Premierminister, den Fall gesetzt, Frankreich würde tatsächlich Nein zum Verfassungsvertrag sagen, was wären die Folgen für Europa?

Jean-Claude Juncker: Ein Nein der Franzosen wäre ganz klar ein Rückschlag für die vertragliche Weiterbildung Europas. Es besteht das Risiko, dass die Union um Jahre zurückgeworfen wird. Eine Neuverhandlung dieses Vertrags ist unmöglich.

Marc Glesener: Es gibt also keinen Plan B?

Jean-Claude Juncker: Nein. Wenn eines oder mehrere Länder bis zum 1. November 2006 nicht ratifiziert haben, muss sich der Europäische Rat, wie es im Vertrag steht, mit der Sachlage befassen. Ein französisches Nein würde zu einem Entwicklungsstillstand führen, zu einer unsicheren Lage, die über Jahre dauern könnte. Bis zu Verhandlungen über einen neuen Vertrag würde wichtige Zeit verloren gehen. Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil es keine einheitliche, geschlossene Antwort auf das Nein gibt. Dieses setzt sich aus einer ganzen Reihe von Komponenten zusammen, die von Widersprüchen gekennzeichnet sind.

Nun, wenn es einen Plan geben würde, müsste auch einer diesen Plan vorstellen. Das wäre der amtierende Ratspräsident. Doch der kann keinen solchen Plan vorstellen, da es keinen gibt. Es besteht kein Konsens - weder formal noch inhaltlich - darüber, dass direkt nach einem französischen Nein Neuverhandlungen aufzunehmen sind. Dagegen wehren sich besonders die Länder, die den Vertrag bereits ratifiziert haben.

Marc Glesener: Wäre es Ihres Erachtens denn rein theoretisch möglich, Frankreich eine zweite Chance zu geben?

Jean-Claude Juncker: Stellt sich am Ende des Ratifizierungsprozesses heraus, dass eines oder mehrere Länder die Zustimmung verweigert haben und hat sich bis dahin an der Einschätzung, dass nicht neu verhandelt werden kann, nichts geändert, gibt es für den Europäischen Rat zwei mögliche Optionen. Entweder es wird entschieden, den Vertrag nicht in Kraft zu setzen, oder man empfiehlt den Ländern, die Nein gesagt haben, sich dieselbe Frage noch einmal zu stellen. Das hören manche Leute in Frankreich nicht gerne. Aber diese zweite Chance, das ist genau das, was beim Nein der Dänen in Sachen Maastricht und danach beim negativen Nice-Referendum in Irland die Lösung brachte. Die Verträge wurden vom dänischen und irischen Volk in Kraft gesetzt, ohne dass neu verhandelt worden ist. Das ist jedoch ein Szenario, das mit enormen Schwierigkeiten verbunden wäre.

Marc Glesener: Die da wären...

Jean-Claude Juncker: Wir würden in eine Periode großer Einschätzungsunsicherheit gegenüber Europa gelangen. Stellen Sie sich vor, Sie wären ein exportorientiertes Unternehmen in Shanghai, ein US-Investor in Texas oder ein Gewerkschaftsführer in Bolivien. Die Message, die von einem Nein in Frankreich, Luxemburg oder anderswo ausginge, würde sie verunsichern. Es entstünde der Eindruck, die Europäer seien uneins über die eigene Zukunftsgestaltung. Das wiederum wäre mit einem Verlust an Einfluss der EU und damit einhergehend aller Mitgliedstaaten verbunden. Unterm Strich ist das der wirtschaftlichen Entwicklung Europas nicht förderlich. Kaum ein Investor ist bereit, in einem politischen Raum zu investieren, der sich selbst sucht. Grundlage für Investitionen ist Planungssicherheit. Dies ist nicht gegeben in einer EU, die auf dem Nice-Vertrag fußt.

Marc Glesener: Nice ist also keine ordentliche Grundlage für die Union?

Jean-Claude Juncker: Der Nice-Vertrag reicht nicht aus für die Zukunftsgestaltung der EU. Dieser Vertrag trägt den aktuellen Gegebenheiten in Europa und darüber hinaus in der ganzen Welt nur ungenügend Rechnung. Nice war gut für Luxemburg, aber nicht gut für Europa. Der Verfassungsvertrag ist gut für Luxemburg, gut für Europa, also auch besser für Luxemburg.

Marc Glesener: Sie haben die negativen Referenden Irland und Dänemark als Beispiele angeführt. Frankreich ist im Gegensatz zu diesen beiden Staaten ein Großer in der Union. Hätte ein Nein im Hexagon nicht eine ganz andere Dimension?

Jean-Claude Juncker: Eins vorweg. Das jeweilige Nein hat den Einfluss und die Position von Iren und Dänen in Europa nicht gestärkt. Ein Szenario ist keinem kleinen Land zu empfehlen.

Marc Glesener: Eben, aber Frankreich ist ja aus europäischer Sicht eine Großmacht?

Jean-Claude Juncker: Ich war und bin immer noch ein Gegner einer Kategorisierung der EU-Staaten in groß und klein. Aber sehen Sie, Frankreich ist ein EG-Gründerstaat. Im Falle eines Nein hätte das historisch und perspektivisch eine ganz andere Bedeutung.

Marc Glesener: Reden wir über Luxemburg. Die Meinungsforscher der ILReS sehen die Zustimmung für den Vertrag schwinden. Wie erklären Sie sich das?

Jean-Claude Juncker: Es mag anmaßend klingen, aber ich rechne schon seit einem Jahr mit einer solchen Entwicklung. Das habe ich übrigens mehrmals zum Ausdruck gebracht; bei politischen Gesprächen, aber auch bei Treffen mit Journalisten. Wer mit den Leuten redet, weiß, wo sie der Schuh drückt, er weiß, dass es Ängste und Sorgen gibt. In den Augen vieler hat sich der Erweiterungsprozess in einem zu schnellen Tempo vollzogen. Ich denke, man muss jetzt intensiver mit den Leuten ins Gespräch kommen. Dies ist allerdings angesichts der Präsidialgeschäfte, die das Land in der Union zu erledigen hat, nicht einfach. Dennoch, wir müssen den Leuten das gemeinsame Projekt erklären. Dabei muss eine zentrale Frage gestellt werden. Wo stünde Europa jetzt, wenn in den vergangenen 15 Jahren wichtige Entscheidungen nicht getroffen worden wären?

Marc Glesener: Und wo stünden wir?

Jean-Claude Juncker: Zum Beispiel würde es die Wirtschafts- und Währungsunion, sprich den Euro nicht geben. Die ohnehin morose Konjunkturlage hätte sich dann europaweit in eine Rezession gewandelt, aus der es keinen Ausweg gäbe. Es wäre aufgrund internationaler Gegebenheiten - Irak-Krieg, Balkan-Krise, Entwicklung der Öpreise, um nur diese zu nennen - unweigerlich zu einem großen ökonomischen und währungspolitischen Durcheinander gekommen. Ohne die Erweiterung nach dem Fall der Berliner Mauer, ohne die Aufnahme der neuen Demokratien in Ost- und Mitteleuropa wäre das europäische Haus destabilisiert worden. Dieses Haus war an der Berliner Mauer angebaut. Der Kommunismus samt Planwirtschaft ist verschwunden, die Menschen bekamen endlich die Freiheit zurück, die wir seit Jahrzehnten kannten. Hätte man die neuen Demokratien sich selbst überlassen, würden wir auf einem Kontinent der Unordnung leben. Die Reaktion, die die europäische Politik angesichts des Wandels in Osteuropa formulierte, war alternativlos.

Marc Glesener: Sie ziehen Parallelen zwischen EU-Erweiterung und der Wiedervereinigung Deutschlands. Auch dort sah man Probleme kommen. Doch politische Alternativen gab es keine.

Jean-Claude Juncker: Wenn die Geschichte sich in Bewegung setzt, kann man die Verhältnisse nicht durch nichtssagende Notizen in den Randspalten der Geschichtsbücher ändern. Aber erlauben Sie mir ein Wort zur EU-Erweiterung.

Marc Glesener: Aber bitte schön.

Jean-Claude Juncker: Also, ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, wie sehr vor allern auch die luxemburgische Wirtschaft von der Öffnung neuer Märkte im östlichen und zentralen Teil Europas profitieren konnte. Es wird auch oft vergessen, dass marode Atommeiler aus Sowjetzeiten in dem neuen Teil Europas geschlossen wurden oder demnächst werden. Das war ein handfeste Bedrohung für uns. Also, man muss einfach wissen, was man will, das Europa aus dem Jahr 1985, oder das von heute, Anno 2005. Entweder Millionen Menschen ohne Freiheiten, wirtschaftliches Durcheinander, die Bedrohung des Kalten Krieges und eine schwache Rolle auf der Weltbühne oder aber eine friedliche Atmosphäre, eine gemeinsame Währung und Sicherheit. Was wollen wir? Die Bedrohung von früher? Die Unordnung, die wir hätten haben können? Oder die Stabilität, die wir heute haben? Das sind die entscheidenden Fragen.

Marc Glesener: Ein Wort noch zur negativen Grundeinstellung gegenüber Europa, die in der Bevölkerung deutlich spürbar ist. Ist diese Stimmung nicht hausgemacht? Immer wieder wurde Brüssel in der Politik verantwortlich für unpopuläre Schritte gemacht. Das zeigt nun Wirkung.

Jean-Claude Juncker: Mir persönlich wurde nie vorgeworfen, Anti-Europa-Snmmung anzustacheln. Das Gegenteil war der Fall. Ich wurde quasi beschuldigt, zu europafreundlich zu sein. Dabei bin ich kein Europa-Euphoriker. Nur für Luxemburg gibt es keine Alternative zur europäischen Integration.

Marc Glesener: Das sehen etliche Leute anders, wenn man den Meinungsforschern Glauben schenkt.

Jean-Claude Juncker: Die Reformen, die Brüssel angeregt hat, zum Beispiel im Hinblick auf die Wirtschafts- und Währungsunion waren Reformen, die auch ohne Impulsgebung aus Brüssel in den Nationalstaaten hätten durchgeführt werden müssen. Nun aber zu Luxemburg und zum Verfassungsvertrag. Dieser Vertrag ist eine Grundlage für ein stärkeres und sozialeres Europa. Ein Europa, in dem die soziale Marktwirtschaft anerkannt wird. Ein Europa, das dank einer klaren Kompetenzfestschreibung die Nationalstaaten vor eigenmächtigem Handeln der Union schützt. Der Einzelne wird nicht zuletzt aufgrund der Grundrechtecharta gegen die Willkür der Institutionen abgesichert. Brüssel kann in Zukunft nicht eigenmächtig handeln. Nicht in Steuerfragen, nicht in anderen für unser Land wesentlichen Politikfeldern.

Marc Glesener: Das leuchtet ein. Weniger klar ist, warum unbedingt ein Referendum über den Vertrag entscheiden soll. Ist solch ein Vertragswerk nicht zu kompliziert, um es einem Ja-oder-Nein-Test zu unterwerfen?

Jean-Claude Juncker: Die Frage ist eigentlich einfach: Wollen die Luxemburger, dass die europäische Integration weitergeführt wird oder nicht. Und genau diese Frage stellten diejenigen sich, die den Verfassungsvertrag unterzeichneten. Wir beantworteten sie mit Ja, auch mit festem Blick für die Interessen Lxemburgs. Jetzt ist es an den Bürgern, ihre Meinung zu sagen.

Marc Glesener: Und was tut Jean-Claude Juncker, wenn die Luxemburger Nein sagen?

Jean-Claude Juncker: Also diese Frage habe ich schon beantwortet. Dabei möchte ich eins klarstellen: Bei dem Referendum geht es nicht um die Person Juncker. Es geht um Europa. Es geht darum, ob wir die Position Europas in der Welt stärken wollen. Es geht um einen Vertrag, der gut ist für die EU und gut ist für Luxemburg.

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