Multilateralismus: Eine realistische Utopie. Jean Asselborn au sujet du rôle des Nations unies dans la politique internationale

Forum: Herr Asselborn, wie weit liegt Steinfort von New York entfernt?

Jean Asselborn: Das ist nur noch ein Katzensprung. Wir leben in einer vernetzten Welt. Ereignisse die sich in New York abspielen, können das Leben in Steinfort beeinflussen und umgekehrt. Das ist eine Konsequenz unserer globalisierten Welt.

Sie kommen gerade zurück von dem UN-Gipfel anlässlich des 60. Jubiläums der Weltorganisation. Welche Bedeutung kommt der UN heute noch zu?

In der UN treffen Vertreter von Völkern aus der ganzen Welt zusammen, um miteinander zu reden und Probleme zu lösen. Wir brauchen multilaterale Institutionen, in denen Entscheidungen auf gegenseitigem Einverständnis beruhen. Um es salopp auszudrücken: Solange geredet wird, wird nicht geschossen. Insofern ist die UN das wichtigste Instrument, das wir in der internationalen Politik haben.

Hat der Irakkrieg 2003 die UN nicht stark geschwächt?

Im Gegenteil, der Irakkrieg hat gezeigt, wie wichtig es ist, solch ein Forum zur friedlichen Konfliktbeilegung zu haben. Das Völkerrecht muss beachtet werden. Indem einzelne Staaten versuchen, ein Recht des Stärkeren durchzusetzen, erreichen sie alles außer Frieden.

Aber der UN-Sicherheitsrat war im Fall des Irak handlungsunfähig, gelähmt durch die gegenläufigen Interessen der Vetomächte. Sie haben in ihrer ersten Rede vor der UN-Vollversammlung einen effektiven Multilateralismus gefordert. Was muss passieren, damit die UN effektiver wird?

Die UN muss reformiert werden, da sind sich in der Zwischenzeit alle Länder einig. Aber diese Fixierung auf den UN-Sicherheitsrat kann ich nicht nachvollziehen. Viel wichtiger ist es, effiziente Strukturen aufzubauen, um die Völker und ihre Menschenrechte zu schützen. Dazu bedarf es zuerst einer Reform der UN-Charta. Ich finde es schade, dass die UN es bisher nicht geschafft hat klar zu definieren, wann, wo und unter welchen Umständen es erlaubt sein sollte Waffen einzusetzen, um die Menschenrechte zu schützen. Aber auch die UN als Institution muss reformiert werden. Es kann doch nicht sein, dass ein Vertreter eines Landes, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, etwa Präsident der Genfer Menschenrechtskommission ist. All diese Dinge sind wichtiger als die Reform des Weltsicherheitsrates.

Sie waren im Jahr 2003 ein strikter Gegner des Irakkrieges. Wie hätten Sie sich verhalten, wenn die UN entsprechend ihrer neuen Doktrine der "Verantwortung zu Schützen" eine Intervention im Irak angeordnet hätte, um Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden?

Die Frage, ob mit oder ohne UN-Mandat interveniert wird, ist nicht nur ein technisches Detail. Es ist eine Frage des Multilateralismus oder des Unilateralismus, es ist die Frage, ob die internationale Staatengemeinschaft sich einigen kann oder nicht. Und es ist die Frage ob das Völkerrecht eingehalten wird oder nicht.

Bedeutet "Multilateralismus" für Sie konkret, dass die EU sich der Umsetzung von UN-Beschlüssen unterordnen müsste, selbst wenn dies gegen ihre eigenen Interessen verstößt?

Ja sicher, ich kann mir ein international funktionierendes Regelwerk nicht anders vorstellen. An erster Stelle müssen die Menschenrechte stehen. Werden sie hinter wirtschaftliche Interessen gestellt, dann sind die Folgen inakzeptabel. Ob in Darfur, in Myanmar, oder sonst wo auf der Welt. Ich möchte aber klarstellen, dass mir zu allererst daran liegt, dass in der UN alles getan wird, um Gewalt zu verhindern. Das ist die große Aufgabe der UN, alles andere kann nur ein allerletzter Ausweg sein.

Kann man sich in Washington eigentlich noch an Luxemburgs Haltung während des Irakkrieges erinnern?

Ganz gut sogar, und sogar jeder einzelne in der Regierung. Die transatlantische Brücke war beschädigt. Wir mussten sie ja erst wieder aurbauen.

Wie positioniert sich Luxemburg heute gegenüber den USA?

Unter der Luxemburger Präsidentschaft erging der informelle Auftrag an uns, den transatlantischen Dialog wieder aufzunehmen. Präsident Bush besuchte ja während dieser Zeit Brüssel und wir waren in Washington zu Gesprächen. Einer großen Nation wie Deutschland oder Frankreich wäre die Vermittlung viel schwerer gefallen, da hatten wir einen Vorteil. Nimmt man die Beziehungen zwischen Luxemburg und Amerika jetzt aber aus dem europäischen Kontext heraus, so müssen wir bescheiden bleiben. Wir sind und bleiben ein kleines Land. Nur Europa macht uns groß.

Während der Luxemburger Präsidentschaft gab es aber auch Spannungen zwischen der EU und den USA wegen des Waffenembargos gegen China. Unter niederländischer Präsidentschaft wurde beschlossen, auf eine Aufhebung des Embargos hinzuarbeiten. Ist es also nur noch eine Frage der Zeit, bis es aufgehoben wird?

Zur Zeit ist das Waffenembargo gegenüber China kein Thema mehr in der EU. Unter der Luxemburger Präsidentschaft war der Druck hingegen enorm. Als Condoleezza Rice hier in Senningen war, war dies eines unserer Hauptthemen während des Treffens der EU-Troika mit den USA. In der Öffentlichkeit wurde das Problem jedoch meistens verzerrt dargestellt. Das Waffenembargo gegen China ist nicht isoliert zu betrachten. Parallel dazu liefen innerhalb der EU die Verhandlungen über einen sogenannten Code of Conduct für Waffenlieferungen aus der EU. Damit sollten allgemeine Kriterien festgelegt werden, um Waffenexporte zu regeln. Wir brauchen keine Sonderregelung für China. China hat für mich ein unheimliches Potenzial, kann die Welt bereichern und wird sie auch bereichern. Das Land jedoch so zu behandeln wie den Sudan, Eritrea oder Simbabwe bringt uns überhaupt nichts. Darum ist meine Meinung, dass wir diesen Code of Conduct ganz klar ausarbeiten müssen und so versuchen sollten, das Problem in den Griff zu bekommen.

In der Frage des Waffenembargos gab es ja zeitweise Unstimmigkeiten in unserer Regierung. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass das Projekt Europa von einigen Politikern als Gegenpol zu den USA gesehen wird?

Ich kann mich erinnern, dass ein amerikanischer Außenminister über das Wort "multilateral" gelacht hat. Wenn der amerikanische Präsident vor der UN spricht, dann spricht er über Amerika und sagt was Amerika unternehmen wird, sei dies beim Thema Aids, UN-Reform oder Zölle. Während ein europäischer Politiker, der vor die UN Vollversammlung tritt, prinzipiell über Europa in der Welt spricht. Multipolar heißt für mich, dass nicht alle Instrumente in der Hand eines Einzelnen liegen. Multilateral bedeutet, dass wir alle an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Es müssen Synergien und Komplementarität entstehen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass Staaten überhaupt miteinander reden. Damit Multilateralismus funktioniert, müssen verschiedene gleichstarke Partner bestehen. Multipolarität und Multilateralismus, das Eine geht nicht ohne das Andere.

Viele Beobachter haben dem UN-Gipfel vorgeworfen, dass das Thema Terrorismus andere Themen wie Armut oder ökologische Krisen verdrängte. Wenn Sie die drei Gefahren einordnen müssten, welche erscheint Ihnen die bedeutendste?

Terrorismus ist keine Schimäre sondern ein real existierendes Phänomen, das besteht, wir können es nicht wegreden. Ich glaube bei keinem anderen Thema waren wir uns hier in der EU so einig und haben solche Fortschritte gemacht, wie bei der Bekämpfung des Terrorismus mit legalen Mitteln. Trotzdem würde ich Armut an erste Stelle der Weltprobleme setzen, dann die ökologischen Gefahren für unseren Planeten und dann erst den Terrorismus.

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