"Europa darf sich nicht verkrampfen". Jean Asselborn fait le bilan de l'année 2005

Lëtzebuerger Journal: Wie erlebten Sie den Einstieg in den Luxemburger EU-Ratsvorsitz?

Jean Asselborn: Ziemlich genau vor einem Jahr, am 26. Dezember, war der Tsunami. Offiziell hatte die Luxemburger "Présidence" noch nicht begonnnen, dennoch bedeutete die Katastrophe den tatsächlichen Anfang der EU-Ratspräsidentschaft, da habe ich mich persönlich ans Telefon gesetzt und mit allen EU-Außenministern Kontakt aufgenommen. Bereits am 10. Januar hatten wir das Außenministertreffen. Das Hereinbrechen der Naturkatastrophe hat mir die Tragweite der politischen Verantwortung ganz klar offenbart.

Da galt es, den schwer getroffenen Menschen in Asien schnell zu helfen und die Hilfe zwischen EU und USA zu koordinieren. Und jetzt im Nachhinein würde ich sagen, dass wir nur dann wirklich gewinnen können, wenn es uns gelingt zwischen Europäischer Union und den Vereinigten Staaten ein gegenseitiges inhaltliches Vertrauen in wichtigen internationalen Belangen aufzubauen.

Wie sehen Sie die derzeitige Qualität der transatlantischen Beziehungen?

Nach dem Irak-Krieg waren die Beziehungen zwischen Europa und den USA natürlich stark beschädigt, aber die internationale Lage zwingt natürlich beide Seiten dazu, Wege zu einer normalen Zusammenarbeit zu finden. Im Interesse der gemeinsamen Stabilitätspolitik ist dies absolut notwendig; egal ob in Afrika, im Nahen Osten oder im Balkan. Dieses Miteinander wieder zu verstärken war einer meiner Leitfäden.

Die gemeinsame Irak-Konferenz hat zwar keineswegs die Probleme im Irak gelöst, aber es ist gelungen, die internationale Gemeinschaft an einen Tisch zu bekommen. Das war ein wichtiges Zeichen und es ist uns gelungen, die Amerikaner mit ins Boot zu bekommen, was ja vorher nicht der Fall war, nämlich einzusehen, wie man dem Land auf nicht militärische Art helfen kann. Das war – auch nach Auswertung internationaler Stimmen – ein wichtiger Schritt, den wir da geschafft haben.

Wenn man sich nun die Probleme anschaut, die hin und wieder zwischen den USA und Europa auftauchen, kommt man zu dem Schluss: wir haben eine unterschiedliche politische Kultur auf beiden Seiten des Atlantik! Aber wir müssen ein gemeinsames Ziel haben: nämlich Kriege und Konflikte zu verhindern, und die Menschenrechte voran zu bringen.

Die jüngsten Enthüllungen um die so genannten "CIA-Flüge "haben die transatlantischen Beziehungen auf eine neue Probe gestellt. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Wir haben bei den Gesprächen auf NATO-Ebene erkannt, dass wir nicht im Namen des Kampfes gegen den Terror unsere alten Werte über Bord werfen dürfen. Wir müssen eine gemeinsame Definition der Folter finden, es gibt Konventionen, die müssen eingehalten werden.

Die Amerikaner müssen einsehen, dass wir uns die Definition der Menschenrechte nicht nach Bedarf zurechtbiegen dürfen. Natürlich gewinnt man den Krieg gegen den Terror nicht allein mit guten Worten aber die Frage stellt sich: "Wo ist der Tumor des Terrorismus'?" Und in diesem Zusammenhang bin ich wirklich froh, dass es Europa gelungen ist, in der Frage der Entwicklungshilfe den Finanzrahmen festzulegen. Auf dem Gipfel ist es gelungen, den Verteilungsschlüssel für die AKP-Staaten zu stimmen – 22 Milliarden außerhalb der Finanzperspektiven. Das ist ein wichtiges Zeichen für die Amerikaner, zu zeigen, wie man das Elend in der Welt – den eigentlichen Tumor – ohne Waffen bekämpfen kann. Das ist maßgeblich der Arbeit der Luxemburger "Présidence" zu verdanken.

Die US-Außenministerin Condoleezza Rice hat in Europa bekräftigt, dass Folter nicht toleriert werde und die USA sich an die Konventionen halten. Die Demokraten haben Frau Rice beim Wort genommen, was dazu führt, dass derartige Aussagen nun den Handlungsrahmen fest schreiben. Guantanamo ist keine außerirdische Institution. Die mächtigste Demokratie der Welt kann nicht mit zwei Maßstäben arbeiten.

Welche anderen außenpolitischen Prioritäten haben sie 2005 gesetzt?

Ich war zu Beginn meiner Amtszeit als Ratspräsident im Nahen Osten und habe da die klare Erkenntnis gewonnen, dass die Welt nicht zur Ruhe kommt – weder in Sachen Terrorismus, noch in Energiefragen oder in der Sicherheitspolitik – solange wir es nicht geschafft haben, Israel und die Palästinenser wieder gemeinsam auf den Weg der "road map" gebracht haben. Hier zu helfen, war eine meiner größten Herausforderungen. Die Palästinenser haben durch die Wahlen gezeigt, dass sie ein großes Volk sind. Jetzt – ein Jahr später, stehen wieder Wahlen an und es sieht nicht alles wirklich gut aus. So ist die Autonomiebehörde nicht mehr in der Lage das Sicherheitspersonal zu bezahlen. Europa muss also wieder mit Geld aushelfen aber das kann natürlich nicht ewig so weiter gehen. Aufgrund der Fatah-Spaltung könnte es also sein, dass Hamas gewinnt. Aber auf israelischer Seite stehen die Chance gut für eine friedenswillige Koalition. Wie das aber aussieht, wenn Hamas gewinnt...? Eine weitere Priorität war, sich der Frage zu stellen, wie Europa mit der Globalisierung umgeht. Globalisierung heißt: wir können im 21. Jahrhundert nicht mehr das tun, was wir im 20. Jahrhundert als Ideal angesehen haben. Europa besteht nicht mehr aus 12 oder 15 Staaten, sondern aus 25, bald aus 27. Das ist eine Realität, die man nicht umschiffen kann. Die Geschichte hat uns die Größe Europas vorgegeben und wir können nun nicht einfach sagen: bis dahin, und nicht weiter. Deswegen ist der Balkan eine ganz natürliche Priorität. In verschiedenen Ländern – in Kroatien und Mazedonien – sind wir auf dem richtigen Weg, aber wir müssen uns auch um Serbien-Montenegro und den Kosovo kümmern. Es ist ganz einfach: entweder wir europäisieren den Balkan oder wir balkanisieren Europa.

Vor einem Jahr haben Sie klar zum Ausdruck gebracht, dass die Türkei einen Platz in Europa haben muss. Wie stehen Sie heute zu der Aussage?

Die Türkei bleibt eine Herausforderung für Europa. Und Europa muss an einer europäischen Türkei interessiert sein. Alles andere ist nicht im Sinne Europas. Die Türkei hat geostrategische Bedeutung, ist wirtschaftlich äußerst interessant und auch die Kultur kann Europa bereichern. Aber die Türkei muss lernen, dass sie der Union beitreten will und dass nicht die EU der Türkei beitritt. Die Türkei muss sich anstrengen, besonders im Minderheitenschutz. Dennoch dürfen wir uns ihr nicht verschließen.

Wie sehen Sie die nächste Zukunft?

Nun, man könnte bei all den Problemen -Nahost, Iran – eigentlich sagen: "Das wird ja nie was". Aber man muss Optimist bleiben, sogar in Bezug auf Iran. Wir dürfen uns nicht hinreißen lassen. Ahmadinedschad repräsentiert mit seinen Aussagen nicht das iranische Volk, das ja im November in der UNO eine Resolution mitgetragen hat, in der der Holocaust als etwas dargestellt wird, dass man nicht leugnen darf. Ich würde also meinen, dass man auch mit Iran neue diplomatische Wege finden muss. Da brauchen wir eine ganz große Solidarität der Staatengemeinschaft. In Bezug auf den Balkan würde ich sagen, man sollte den UN-Sondergesandten Ahtisaari arbeiten lassen und nicht alles im Vorfeld zu zerreden.

Europa darf sich nicht verkrampfen, Lissabon-Prozess, Stabilitätspakt, Finanzperspektiven müssen mit Leben erfüllt werden. Wir müssen Europa die Mittel geben, die es braucht. In diesem Zusammenhang möchte ich noch meinen Hut vor dem Kompromissvorschlag der Frau Merkel und der Kompromissbereitschaft des Herrn Blair ziehen.

Dieser wird von seiner Presse zwar zerrissen, aber man wird sehen, dass er all diejenigen Lügen strafen wird, die nur bis zu ihrer eigenen Nase sehen. Es war das Richtige, die innereuropäischen Brücken nicht abzubrechen.

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