"Für abgestufte EU-Mitgliedschaften". Jean-Claude Juncker au sujet du traité établissant une Constitution pour l'Europe et de l'élargissement de l'UE

Detlef Drewes: Die EU-Verfassung liegt auf Eis, alle warten auf die deutsche Ratspräsidentschaft 2007. Kann das Problem dann gelöst werden?

Jean-Claude Juncker: Von allein wird sich das Problem sicherlich nicht lösen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird außerdem wenig gestalten können, solange die Wahlen in Frankreich und den Niederlanden nicht abgeschlossen sind. Somit bleiben ihr gerade mal sechs Wochen am Ende der Ratspräsidentschaft Zeit. Es wird deshalb gut sein, eine Lösung vorzubereiten, aber das Strickmuster erst ganz zum Schluss zu verraten.

Detlef Drewes: Halten Sie es für realistisch, am gegenwärtigen Verfassungstext festzuhalten?

Jean-Claude Juncker: Das halte ich schon deswegen für realistisch, weil 14 Mitgliedstaaten zugestimmt haben und weitere zwei noch bis zur Sommerpause dazu kommen werden. Dann steht es 16:2. Das kann man nicht einfach übergehen.

Detlef Drewes: Die EU diskutiert darüber, wie weit sie sich noch vergrößern kann. Wo liegen die Grenzen der Gemeinschaft?

Jean-Claude Juncker: Das weiß ich nicht. Aber wenn ich es weiß, werde ich mir die Antwort patentieren lassen…

Detlef Drewes: Dann versuchen wir es doch mal mit der langen Liste der Beitrittskandidaten: Kroatien, Türkei, Serbien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Ukraine…

Jean-Claude Juncker: …Moldawien, Weißrussland, ich kenne die Liste. Aber das ist nicht realistisch. Ich erwarte, dass man die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens jetzt abschließt und dann zügig auch den Beitritt Kroatiens verhandelt. Aber es muss sicherlich genauso deutlich gemacht werden, dass man die anderen Länder des Balkans und die Türkei nicht in einem Atemzug mit aufnehmen kann.

Detlef Drewes: Die EU-Bürger sind erweiterungsmüde…

Jean-Claude Juncker: Ich habe schon 1993 darauf hingewiesen, dass die Erweiterung der EU das unpopulärste Unterfangen der Gemeinschaft werden wird. Das ist eingetreten. Es ist absehbar, dass es so nicht weitergehen kann. Wir brauchen abgestufte Mitgliedschaften, bei denen die politisch-strategischen Ziele einer europäischen Union anders im Vordergrund stehen als die wirtschaftlichen.

Detlef Drewes: Halten Sie ein Kern-Europa, zum Beispiel mit den Ländern der Euro-Gruppe, für einen Weg?

Jean-Claude Juncker: Ich kann mir das vorstellen, aber dazu bräuchte die Euro-Gruppe eine andere Struktur, mehr Kompetenzen für die Wirtschaftspolitik. Denn heute erreichen wir weder die Ziele noch schöpfen wir die Möglichkeiten aus.

Detlef Drewes: Aber statt Gemeinsamkeit herrschen vielerorts protektionistische Interessen vor?

Jean-Claude Juncker: Das sagt man, aber ich bin nicht sicher, ob das stimmt. Denn es gibt Bereiche, in denen ich mir die nationale Hoheit nicht nehmen lassen will. Wenn es im Stahlbereich bei Mittal und Arcelor zu einer grenzüberschreitenden Übernahme kommen soll, kann niemand erwarten, dass der Ministerpräsident eines Landes, das mit Steuermitteln die Stahlindustrie hochgehalten und unterstützt hat, nun plötzlich schweigen soll, weil die Finanzmärkte eine Fusion wollen. Ich bin nicht bereit, mir und damit meiner Bevölkerung den Mund verbieten zu lassen. Das hat mit Protektionismus nichts zu tun, es ist schlicht eine Politik der Verantwortung gegenüber den Menschen eines Landes.

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