"Paris und Den Haag müssen sich im EU-Verfassungsstreit bewegen". Le Premier ministre au sujet de l'avenir de l'Europe

Dietmar Ringel: Was passiert mit der EU, wenn es keine Verfassung geben wird?

Jean-Claude Juncker: Ob das, worauf wir uns verständigen werden, Verfassung heißen wird, oder ob wir Grundgesetz oder Grundvertrag in den Arbeitstitel dessen, was wir zu tun haben, aufnehmen werden, steht noch in Frage. Aber es wird ohne jeden Zweifel bei der Erhaltung dessen bleiben, was man jetzt die Substanz der von den Franzosen und Niederländer abgelehnten Verfassung nennen könnte.

Dietmar Ringel: Was ist für Sie die Substanz?

Jean-Claude Juncker: Die Substanz ist die institutionelle Neuaufstellung, wie soll die Europäische Union funktionieren - wichtiger noch: Es wird bei den klaren Festlegungen in Sachen Kompetenzzuordnungen bleiben - was macht die Europäische Union, was machen die Nationalstaaten. Wir werden den europäischen Außenminister haben, wir werden zu einem Mehr an wirtschaftlicher Koordinierung kommen können. All die Aspekte, auf die wir uns verständigt hatten, wird es auch in einem wie immer gearteten Grundgesetz oder Grundvertrag der Europäischen Union geben.

Diejenigen die ratifiziert haben, wie wir Luxemburger beispielsweise am vergangenen 10. Juni per Referendum, sind nicht bereit auf die Substanzgewinne der Verfassung zu verzichten.

Man hat jedes Verständnis für die Schwierigkeiten, in der sich Franzosen und Niederländer befinden. Wir verlangen aber auch, dass beide sich auf die Anderen zubewegen, die ratifiziert haben. Frankreich und die Niederlande müssen auch sagen, wie sie sich vorstellen, dass man aus dieser verzwickten Lage herauskommt. Die deutsche Bundeskanzlerin wird im ersten Halbjahr 2007 sehr eifrig und sehr zielstrebig und zielorientiert an diesen neuen Ausrichtungen arbeiten.

Dietmar Ringel: Zu denen, die in Sachen EU-Entwicklung nicht ganz vorn sind, gehören ja die Briten. Sie haben vor einigen Tagen gesagt, notfalls geht es auch ohne sie. Hat Ihnen Tony Blair gesagt, was er davon hält?

Jean-Claude Juncker: Ja wenn ich das so plump gesagt hätte, hätte er mich wahrscheinlich etwas stringenter auf den Satz angesprochen. Ich habe nur deutlich machen wollen, dass wir in der Europäischen Union die deutsch-französische Führung dauerhaft brauchen, dass wir die Europäische Union mit Deutschen und Franzosen an Bord gegründet haben 1957 - und eben nicht mit den Briten. Meine Absicht ist es nicht, mir die Europäische Zukunft ohne Großbritannien vorzustellen.

Dietmar Ringel: Bis 2008 soll eine Entscheidung fallen, zumindest soll es in diese Richtung gehen. Was trauen Sie den Deutschen in dem halben Jahr ihrer Ratspräsidentschaft zu?

Jean-Claude Juncker: Ich traue den Deutschen viel zu, möchte ihnen aber nicht mit auf den Weg geben, dass sie unbedingt zu Potte kommen können. Weil die Wahlen in Frankreich und den Niederlanden erst im Mai und im Juni nächsten Jahres stattfinden werden, kann es nicht möglich sein, bis Ende Juni über den Berg zu sein. Man darf auch die deutsche Präsidentschaft mit Erwartungen nicht überfrachten. Aber ich bin der Auffassung, dass Frau Merkel, die ja hier in Brüssel einen guten Einstand gehabt hat, doch Konsenselemente in genügender Anzahl zusammenträgt, damit wir hier eine Schnittmenge haben, Ende Juni 2007, mit der sich wird arbeiten lassen bis spätestens Ende 2008.

Dernière mise à jour