Probleme erkannt, Prioritäten definiert, Politik angepasst. Jean-Claude Juncker au sujet de la politique gouvernementale

d’Wort: Herr Premierminister, was antworten Sie heute jenen Kritikern, die behaupten, die Tripartite sei hinter der Bestandsaufnahme vom Oktober 2005 zurückgeblieben?

Jean-Claude Juncker: Bei meiner Sensibilisierungsrede ging es mir darum, die Aufmerksamkeit auf ein paar fundamentale Problemstellungen zu lenken. Es war nicht mein Ziel, im Namen der Regierung eine Marschrichtung zu diktieren, sondern den Ausgangspunkt zu schaffen für jene notwendigen Weichenstellungen, über die wir anschließend mit den Sozialpartnern verhandelten und in der Abgeordnetenkammer debattierten. Beim Blick auf die Ergebnisse der Tripartite-Runde darf ich feststellen, dass mein Auftritt vor dem Parlament zur Bewusstseinsbildung beigetragen hat. Erstmalig haben wir es geschafft, uns über eine Abbremsung der automatischen Gehälter- und Lohnanpassung zu verständigen. Wir haben ein – wenn auch schwammiges – Übereinkommen zur Einführung des "Statut unique" gefunden. Wir haben klare Prioritäten in der Investitionspolitik definiert und allen Unkenrufen zum Trotz ein Gesamtpaket geschnürt, um den Staatshaushalt in den nächsten drei Jahren wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Mit dem Vorwurf, wir hätten in der Tripartite lediglich die Konsolidierung der Staatsfinanzen erreicht, kann ich im Übrigen sehr gut leben.

d’Wort: Apropos Einheitsstatut. Wann wird es konkret kommen?

Jean-Claude Juncker: Das "Statut unique" stellt eine sehr weit reichende Strukturreform dar. Dementsprechend schwierig und zeitaufwendig gestalten sich die Verhandlungen. Wann es soweit sein wird, lässt sich heute noch nicht sagen. Ich will auch keine zeitliche Drucksituation schaffen. Das Einheitsstatut liegt mir besonders am Herzen, weil ich fest überzeugt bin, dass es nicht länger hinnehmbar ist, dass wir die Bevölkerung in zwei Klassen einteilen. Diese Zweiteilung entspricht einfach nicht meinem Menschenbild. Es wundert mich in dem Kontext, dass die Demokratische Partei, die im Sommer einen gesellschaftspolitischen Vorstoß gewagt hat, zu diesem wichtigen Thema nach wie vor nicht Stellung bezogen hat.

d’Wort: Die CGFP hat gleich nach der Tripartite angekündigt, dass sie keine Null-Runde bei den Gehälterverhandlungen im Öffentlichen Dienst akzeptieren werde...

Jean-Claude Juncker: ... und die Regierung hat angekündigt, dass sie gerne eine Null-Runde hätte. Bei den Verhandlungen dürfen deshalb nicht allein die Lohnelemente im Mittelpunkt stehen.

d’Wort: Sie haben Versäumnisse im Wohnungsbau eingestanden. Werden die angekündigten Maßnahmen greifen?

Jean-Claude Juncker: Wie ich bereits in meiner Rede vom 12. Oktober letzten Jahres betont habe, gibt es beim Wohnungsbau in der Tat Defizite. Der Wohnungsbau ist sowohl aus wirtschaftlicher als auch sozialer Sicht von großer Bedeutung. Die Bemühungen von Wohnungsbauminister Fernand Boden finden deshalb meine volle Unterstützung.

d’Wort: Zuletzt hat die Regierung dem Klima- und Umweltschutz viel Bedeutung beigemessen. Wie wollen Sie die Bürger für diesen kostspieligen Kurs gewinnen?

Jean-Claude Juncker: Erst einmal will ich vorausschicken, dass die Umweltpolitik schon seit vielen Jahren fester Bestandteil der Regierungsarbeit gewesen ist. Was nun die jüngsten Maßnahmen im Klimaschutz anbelangt, stelle ich fest, dass es hier zu Lande eine große Kluft gibt zwischen der Sorge um den Erhalt der Umwelt und den politischen Gestaltungsmöglichkeiten, um dieser Sorge Rechnung zu tragen. Umwelt- und Klimapolitik hat ihren Preis und diesen Preis kann nicht nur die Wirtschaft aufbringen. Auch die Verbraucher selbst sind gefordert, weshalb es beispielsweise ab nächstem Jahr zu einer Umorientierung der Autosteuer kommt. Kioto ist nicht nur eine Stadt in Japan. Kioto muss zu einem Reflex aller Luxemburger werden.

d’Wort: Und wie wollen Sie die budgetären Begleiterscheinungen des Kioto-Abkommens im Griff behalten?

Jean-Claude Juncker: Mit der Anpassung der Autosteuer, der graduellen Anhebung der Kraftstoffpreise und der Finanzierung des Kioto-Fonds geben wir uns den Spielraum, den Herausforderungen des Klimaschutz-Protokolls zu begegnen.

d’Wort: Bleiben wir bei den Finanzen. Mittelfristig sei das Gleichgewicht bei den Staatsfinanzen zwar wieder hergestellt, langfristig müsste das Rentensystem aber einer Reform unterzogen werden, meinen u. a. Standard & Poor's und OECD.

Jean-Claude Juncker: Auch wenn ein wirtschaftlicher Aufschwung zu verzeichnen ist, darf man nicht zum Trugschluss gelangen, dass es keine budgetären Zwänge mehr gibt. Die Strukturprobleme bleiben. Der Sparkurs, den wir eingeleitet haben, muss deshalb ohne Abstriche weitergeführt werden. Deshalb werde ich mich sämtlichen Diskussionen, die darum drehen, bei den Sparmaßnahmen einen Gang zurückzuschalten, versperren. Die Feststellungen von Standard & Poor's und OECD sind übrigens nicht neu. Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass unser Rentensystem in den nächsten 30 Jahren einen Punkt erreichen wird, wo es sich nicht mehr selbst tragen kann. Deshalb muss man die Entwicklung periodisch kritisch überprüfen und die nötigen Reformschritte in die Wege leiten.

Sozialminister Mars Di Bartolomeo führt bereits die entsprechenden Gespräche. Einen Rententisch II brauchen wir nicht.

d’Wort: Das Dossier Arcelor/Mittal hielt Politik und Wirtschaft ein halbes Jahr lang in Atem. Wieviel Einflussnahme hatte die Regierung in dieser Angelegenheit?

Jean-Claude Juncker: Generell will ich feststellen, dass ich jene Zeiten selbst nicht erlebt habe, wo die Politik allein schalten und walten konnte. Heute ist es so, dass der Politik ein partieller Einfluss auf den wirtschaftlichen Gestaltungsprozess bleibt. Ich konnte selbst erleben, dass in wichtigen Bereichen der Wirtschaft nichts Zukunftsträchtiges entstanden ist, wenn die Politik nicht eingewirkt hat. Sie muss jene Nuancen beisteuern, die rein wirtschaftlich handelnden Managern fremd sind.

d’Wort: Bei Arcelor/Mittal...

Jean-Claude Juncker: ... hat die Regierung diese Rolle wahrgenommen. Zum besseren Verständnis genügt ein Rückblick auf meine Stellungnahme im Parlament. Darin wurden jene Bedingungen gestellt, unter denen die Politik dem Zusammenschluss der beiden Stahlriesen zustimmen würde.

Alles darauf folgende Handeln bis hin zur Fusion ist in der Verlängerung dieser Stellungnahme zu sehen.

d’Wort: Zur Parteipolitik. Wo steht die CSV im September 2006?

Jean-Claude Juncker: Als größte politische Partei geht die CSV ihren eigenen Weg, ohne der Versuchung erlegen zu sein, dem Zeitgeist nachzulaufen. Vieles in der CSV läuft gut. Ich sehe aber die absolute Notwendigkeit, die Jugendarbeit zu verstärken, weil ich glaube, dass sie vernachlässigt wurde. Wir müssen uns bewusst sein, dass eine Partei, die sich inhaltlich und personell nicht erneuert, für die Zukunft schlecht aufgestellt ist.

d’Wort: Demnach eine Aufgabe für den neuen Generalsekretär?

Jean-Claude Juncker: Ja. Der Nachfolger von Jean-Louis Schütz muss sich dieser Aufgabe annehmen.

d’Wort: Wäre Marco Schank der geeignete Mann?

Jean-Claude Juncker: Sollte Marco Schank gewählt werden, was letztlich vom Nationalkongress im Oktober abhängt, würde ich dies aufgrund seiner Persönlichkeit als eine gute Entscheidung werten.

d’Wort: François Biltgen soll Parteipräsident bleiben?

Jean-Claude Juncker: Mein Wunsch wäre, dass Francois Biltgen den Parteivorsitz behält. Er selbst muss aber diese Entscheidung treffen. Ich werde sie in jedem Fall respektieren.

d’Wort: Werden Sie bei den Landeswahlen 2009 noch einmal als CSV-Spitzenkandidat ins Rennen gehen?

Jean-Claude Juncker: (überlegt sehr lange) Ich kann nicht direkt erkennen, was mich heute zu der Aussage bewegen könnte, nicht mehr als Spitzenkandidat anzutreten.

d’Wort: Wie steht es um die Zusammenarbeit mit der LSAP?

Jean-Claude Juncker: Auf Regierungsebene funktioniert die Zusammenarbeit zwischen CSV und LSAP mustergültig. Die Stimmung im Ministerrat ist gut, auch wenn manchmal kontrovers diskutiert wird. Ich verstehe mich nicht nur als Premierminister der CSV. Ich versuche bei der Regierungsarbeit die Sensibilitäten beider Regierungsparteien gleichberechtigt einfließen zu lassen. Auch gute Ideen der Oppositionsparteien können ihren Niederschlag finden.

d’Wort: Und wie beurteilen Sie die Rolle der Opposition?

Jean-Claude Juncker: Ich glaube nicht, dass es zu meiner vorübergehenden Lebensaufgabe gehört, die Leistungen und Fehlleistungen der drei Oppositionsparteien zu bewerten. Nebenbei bemerkt sehe ich eh nur mehr zwei Oppositionsparteien, die DP und Dei Greng. Die ADR verfügt mittlerweile nicht mehr über Fraktionsstärke, was demnach mit einiger Verspätung auf meine eigentliche Wunschvorstellung eingetreten ist.

d’Wort: Wird es nach der Regierungsumbildung zu Jahresbeginn zu weiteren Veränderungen kommen?

Jean-Claude Juncker: Die Regierungsumbildung war angesichts der Zuspitzung bei den Staatsfinanzen und am Arbeitsmarkt notwendig geworden. Ich wollte Budgetminister Frieden und Arbeitsminister Biltgen entlasten, damit sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, wird es in den nächsten drei Jahren zu keiner weiteren Regierungsumbildung kommen.

d’Wort: Im Vorfeld der Wahlen von 2004 hatten Sie zugegeben, sich nicht in ausreichendem Maß um die Sorgen der kleinen Leute gekümmert zu haben. Inwieweit haben Sie diesen Vorsatz bis dato beherzigen können?

Jean-Claude Juncker: Wenn ich ganz ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ich mich nach wie vor nicht genügend um die individuellen Probleme der Leute kümmern kann, die eigentlich keine Stimme haben. Aus zeitlichen Gründen kann ich den unzähligen Anfragen für ein persönliches Gespräch einfach nicht nachkommen. Und das frustriert mich. Ich tue zwar inzwischen mehr als vorher, aber es reicht immer noch nicht. Daneben werden viele dieser Anfragen an Ombudsman Marc Fischbach weitergeleitet, der mit seiner neu geschaffenen Behörde ausgezeichnete Arbeit verrichtet.

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