"Nach 2007 wird nichts mehr so sein wie zuvor". Jean-Claude Juncker au sujet de "Luxembourg et Grande Région, capitale européenne de la culture 2007"

Vesna Andonovic: Sie sind nicht nur ein überzeugter Europäer, sondern auch ein bekennender Verfechter der "Großregion". Auf welcher Notwendigkeit beruht die angestrebte, nähere Zusammenarbeit mit den angrenzenden Gebieten unserer Nachbarländer?

Jean-Claude Juncker: Jean Monnet hat einmal gesagt, dass wenn er erneut das europäische Integrationswerk in Angriff nehmen müsste, er mit der Kultur beginnen würde. Und da man Großregion und europäische Integration nicht voneinander trennen kann, habe ich beim 5. Gipfel der Großregion darauf hingewiesen, dass es nicht genügt, über Wirtschaft, Soziales, Landesplanung oder Verkehrspolitik zu sprechen. Sondern dass wir auch kulturell stärker zueinander finden müssen. Die Voraussetzungen bei den 11 Mio. Bewohnern der Großregion sind sowieso gegeben: sie singen und musizieren gemeinsam, spielen Theater oder widmen sich den bildenden Künsten. Wir sind ein gleicher Schlag von Menschen, die durch eine gemeinsame industrielle und wirtschaftliche Vergangenheit geprägt wurden. Die Menschen der Großregion sind durch Geschichte und Landschaft gleich geformt worden. Deshalb ist die Verdichtung der kulturellen Beziehungen wichtig. Ich bin überzeugt, dass in der "Kultur"-Großregion nach 2007 nichts mehr so sein wird wie zuvor. Wir rücken durch das Kulturjahr näher und haben auch nicht vor, uns danach voneinander zu entfernen.

Vesna Andonovic: Wie kann man im großregionalen Umfeld, in dem es ja keine eigentlichen physischen Grenzen mehr gibt, jene in den Köpfen der Menschen überwinden?

Jean-Claude Juncker: Es gibt keine physischen Grenzen mehr, auch wenn die Menschen der Großregion nicht oft daran denken, welch großer Vorteil dies für sie ist. Da dies jedoch ein relativ rezenter Vorgang ist, bleiben aber noch viele Barrieren in den Köpfen. Einer der Wege diese zu überwinden, ist, sich auf einer kulturellen Ebene zu begegnen. Dort kann man nicht nur feststellen, sondern auch sehen, fühlen und erleben, wie viel Gemeinsames wir eigentlich besitzen. Eine Gemeinsamkeit, die jedoch stets die Eigenart eines jeden respektiert. Das Kulturjahr hilft, ein großregionales "Ambiente" zu schaffen, um die Grenzen in den Köpfen zu reduzieren.

Vesna Andonovic: Die Politik ist hier besonders gefordert. Geben sich die betreffenden regionalen Strukturen die nötigen politischen und finanziellen Mittel, um diese Zusammenarbeit zu verwirklichen?

Jean-Claude Juncker: Global gesehen könnte die Politik in der Großregion aktiver und initiativfreudiger sein. Von Luxemburger Seite besteht eine grundsätzliche Bereitschaft, sich die Großregion auch etwas kosten zu lassen, um diese weiter zu bringen. Ich würde mir ein ähnliches Engagement von allen Partnern wünschen. Manche geben sich viel Mühe, andere muss man schon etwas antreiben.

Vesna Andonovic: Fällt dem Großherzogtum in diesem Prozess, u. a. durch seine Mehrsprachigkeit und zentrale Lage, die natürliche Rolle des "gemeinsamen Nenners" zu?

Jean-Claude Juncker: Luxemburg ist das natürliche Zentrum der Großregion, was natürlich nicht bedeutet, dass wir auf die anderen hinunterschauen. Die Geografie und die wirtschaftliche Lage des Landes machen uns einfach zum Zentrum. Ich wünsche mir, dass dieses Kulturjahr auch deutlich macht, dass unser Land nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine kulturelle Berufung hat, die oft nicht gesehen wird. Die Vielfalt und die Vitalität unserer Kulturszene ist nicht bekannt genug in Europa. Deshalb muss das Land, das das Zentrum der Großregion ist, sich kompletter darstellen als dies bislang der Fall war. Dies machen wir mit dem Kulturjahr. Dieser Auftritt ist jedoch so gestaltet, dass die anderen Beteiligten sich nicht auf einen zweiten Platz verwiesen fühlen.

Vesna Andonovic: Wurde das Zusammenführungspotenzial der Kultur bislang genügend ausgenutzt, oder ist dies ein Stein, der erst recht durch das Kulturjahr ins Rollen gebracht werden soll?

Jean-Claude Juncker: Es hat bislang relativ wenig kulturellen Austausch in der Großregion gegeben, jedenfalls ist er weit hinter seinen Möglichkeiten geblieben. Das Kulturjahr ist ein kulturpolitischer Auftrieb für die Großregion. Es wird das Bestreben der Luxemburger Regierung sein, dafür zu sorgen, dass dieser "Zauber" des neuen, gemeinsamen Kulturanfangs auch im Nachhinein erhalten bleibt.

Vesna Andonovic: Werden Regionen immer größere Bedeutung in der europäischen Landschaft gewinnen oder ist diese Konstellation größenbedingt spezifisch für unsere Gegend?

Jean-Claude Juncker: Wir treten immer stärker in eine Logik des regionalen Wettbewerbs in Europa ein. In dreißig Jahren wird es einen größeren Wettbewerb zwischen den Regionen als zwischen den Staaten geben. Wenn wir in diesem sich abzeichnenden Wettbewerb mithalten wollen, muss man sich, wenn man so klein ist wie wir, früh genug aufmachen, gleich gesinnte Verbündete zu suchen, die auch vorhaben, in diesem Konkurrenzkampf zu bestehen. Deshalb ist dieses "sich für andere öffnen" im Zusammenhang mit der Großregion auch eine Akt der wirtschaftlichen Zukunft.

Vesna Andonovic: Wenn man die Geschichte der Großregion betrachtet, kann man feststellen, dass die Wirtschaft eine treibende Kraft im Zusammenführungsprozess war. Soll die Kultur nun diese Rolle übernehmen oder sollen beide Prozesse parallel laufen, um das Ganze zu verstärken?

Jean-Claude Juncker: Wir befinden uns hier nicht in einem Schaulauf zwischen Wirtschaft und Kultur. Die Wirtschaftskraft bleibt ein wichtiger Zusammenarbeitsfaktor in der Großregion und macht auch viele andere Zusammenspiele möglich. Die Kultur ist aber nicht loszutrennen von der Wirtschaftlichkeit des menschlichen Marktes. Kultur stellt in Europa 2,6 Prozent des europäischen Bruttosozialprodukts dar. Sie ist ein beachtlicher wirtschaftlicher Faktor. Deshalb ist es wünschenswert, dass beide am gleichen Strang ziehen, aber immer so, dass sie getrennt bleiben. Kultur darf nicht von wirtschaftlichen Zwängen dominiert und Kriterien der Wirtschaftlichkeit unterworfen werden.

Vesna Andonovic: Zwischen dem alltäglichen Regierungsgeschäft und dem europäischen Politparkett sind Sie ein viel beschäftigter Mensch. Wenn Sie die nötige Zeit haben, sich dem "Gemütsluxus Kultur" zu widmen, welches sind die kulturellen Vorlieben des Privatmannes Jean-Claude Juncker?

Jean-Claude Juncker: Ich habe eine augedehnte Lese-Kultur. Ich lese sehr viel, und zwar Werke aus den verschiedensten literarischen Sparten. Ich empfinde diese Momente als intensiv und begeisternd, denn beim Lesen lernt man vieles. Ich gehe auch öfters zu Konzerten. Aber ich bin nicht jemand, der die Kultur zum "Auftritt" benutzt. Ich genieße Kultur privat, und in meiner Freizeit räume ich ihr einen gebührenden Platz ein.

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