Jean Asselborn: "Wenn man amtsmüde ist, soll man aufhören". Interview de fin d'année du Vice-Premier ministre, ministre des Affaires étrangères

Lëtzebuerger Journal: Herr Asselborn, zum Auftakt die klassische Frage an jeden Luxemburger Außenminister. Wie stark ist das Gewicht eines kleinen Landes wie dem unseren in der Welt und wo oder wie können wir Akzente setzen?

Jean Asselborn: Das ist in der Tat eine Frage, die ich oft auch von ihren Kollegen gestellt bekomme. Hierzu muss man wissen, dass die Außenpolitik eines Landes immer nur so gut ist, wie das Land auf gute Beamte zurückgreifen kann. Und wir haben das große Glück, mit die besten Diplomaten überhaupt zu haben, so dass es nicht viel zur Sache tut, ob gerade ein roter oder ein blauer Außenminister am Ruder ist.

Lëtzebuerger Journal: Das ist ja interessant...

Jean Aselborn: Sie sagen es. Der Außenminister ist dann nur noch eine Lokomotive für seine Beamten, die er motivieren muss. Für ein kleines Land ist es aber genauso unumgänglich, persönliche Beziehungen aufzubauen; ein besonders gutes Verhältnis pflege ich z.B. zu meinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier. Gute Beziehungen sind aber bekanntlich nicht zum Nulltarif zu haben, so dass Luxemburg denn auch bereit ist, auf internationaler Ebene, genannt sei an dieser Stelle nur der Kongo, Verantwortung zu übernehmen. Mit solchen Aktionen wird zudem das Gewicht unseres Landes auf dem internationalen Parkett verstärkt ...

Lëtzebuerger Journal: ... womit wir beim Stichwort "Luxemburger EU-Ratspräsidentschaft" wären.

Jean Asselborn: Die hat mich direkt gepusht. Ich hatte nämlich das Glück, und das habe ich vor einigen Tagen noch mit meiner Vorgängerin, Lydie Polfer, besprochen, quasi direkt nach meinem Amtsantritt den Ratsvorsitz ausüben zu können. Das gab mir die Chance, auf einen Schlag 100 Amtskollegen persönlich kennenlernen zu dürfen.

Lëtzebuerger Journal: Eine weitere klassische Frage. Wie steht es um den EU-Außenminister, um das gemeinsame Sprachrohr der Union?

Jean Asselborn: Ich sage jetzt etwas, was dem Mainstrcam vielleicht nicht gefällt, aber wir haben das Problem einer gemeinsamen EU-Außenpolitik nicht gelöst, wenn wir einen EU-Außenminister haben. Denn auch mit einem solchen Posten muss die Union, die in wenigen Tagen ja 27 Mitglieder zählt, in wichtigen Fragen zu einer gemeinsamen Position finden. Wir, die EU, sind nun einmal kein Volk und kein Land, sondern ein politisches Gebilde, das mit einer Stimme sprechen will - dabei ist diese Stimme aber in 27 aufgeteilt. Hätten wir eine europäische Verfassung, dann würde uns das so manches erleichtern...

Lëtzebuerger Journal: ... womit wir beim Verfassungsvertrag wären. Danke für den gelungenen Übergang.

Jean Asselborn: Gern geschehen (und der Außenminister spricht zehn Minuten zum Verfassungsvertrag). Aus dem aktuellen Schlamassel müssen wir auf jeden Fall herausfinden, und die luxemburgisch-spanische Initiative zur Überwindung der Krise ist hier ein guter Anfang. Die Mission "EU-Verfassung" ist nur zu bewältigen, wenn jedes Land mit anpackt. Der Motor Europas ist nun einmal der Konsens, mit Sturheit kann man in Europa nichts erreichen.

Lëtzebuerger Journal: Gebraucht wird also der politische Wille?

Jean Asselborn: Genau, ohne den geht es nicht, kann es nicht gehen. Wir haben aber noch eine andere "verdammt" wichtige Mission zu erfüllen, und die wird sich schwieriger gestalten als die Einführung des Euro. Ich rede von der Stabilisierung des Balkan. Das ist unsere "verdammte Pflicht"; auch hier ist alles eine Frage des politischen Willens.

Lëtzebuerger Journal: Was meinen Sie? Nehmen wir etwa auch noch die Balkan-Staaten in die Union auf?

Jean Asselborn: Das habe ich nicht gesagt. Was ich ausdrücken will, ist, dass wir mit den Füßen auf dem Boden bleiben müssen. Die Union kann nur dann weiter erweitert werden, wenn sie gleichzeitig weiter vertieft wird. In diesem Zusammenhang möchte ich übrigens davor warnen, mit dem Instrument des Referendums herum zu spielen; wir sind nicht die Schweiz.

Lëtzebuerger Journal: Die Luxemburger sind sowieso skeptisch, was die Weiterführung des Erweiterungsprozesses anbelangt...

Jean Asselborn: Als Luxemburger müssen wir politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell an einem starken und funktionierenden Europa interessiert sein. Wir sind nämlich dermaßen von den anderen Ländern abhängig, dass wir nichts, aber auch gar nichts selbst bestimmen können - nicht einmal den Preis der Erbsen, denn die werden auch importiert. Auch setzt ein Großteil dieser Welt "immense" Hoffnungen auf die EU, dies als Alternative zu China, zu Indien, ja zu den Vereinigten Staaten.

Lëtzebuerger Journal: Stichwort USA. Was erwarten Sie sich von der dortigen Änderung der politischen Kräfteverhältnisse...

Jean Asselborn: ... ich hätte mir nach dem Baker-Bericht mehr Erkenntnis und Umdenken erwartet. Das stärkste Land der Welt muss endlich wieder mit den anderen Ländern zusammenarbeiten, anstatt jedem seine Ansichten aufzwingen zu wollen. Die großen Probleme dieser Erde, und von denen gibt es wahrlich genug, können nur gelöst werden, wenn die Vereinigten Staaten und Europa an einem Strang ziehen...

Lëtzebuerger Journal: ... wie etwa bei der Bekämpfung des Terrorismus?

Jean Asselborn: Sie müssen wissen, dass es keine Alternative zu einer Zusammenarbeit zwischen den USA und der EU gibt. Man muss aber auch wissen, dass man zur Bekämpfung des Terrorismus nicht die Menschenrechte verletzten darf, ansonsten die Terroristen schon gewonnen haben. Im Namen der Terrorismusbekämpfung darf nämlich nicht die Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt werden, und das haben wir, die EU, den USA deutlich gemacht. Kein 9/11 oder was auch immer kann ein solches Verhalten rechtfertigen. Die Leute sind schon genug genervt mit den beständig verschärften Kontrollen an den Flughäfen. In Europa hätte es kein Guantanamo gegeben, auch nicht, wenn 9/11 hier stattgefunden hätte. Auch trägt ein solches Verhalten nicht gerade zur Glaubwürdigkeit der USA bei, zumal nicht gegenüber den so genannten Schurkenstaaten.

Lëtzebuerger Journal: Für einen Diplomatiechef ganz schön kritische Worte...

Jean Asselborn: Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Vereinigten Staaten sich doch noch bessern. Amerika muss seine Mentalität ändern und nicht die ganze Welt aus seinem Blickwinkel sehen. Wenn einer Boxchampion der USA ist, dann ist er in den Augen der Amerikaner Boxchampion der ganzen Welt.

Lëtzebuerger Journal: Wechseln wir das Thema. Herr Außenminister, hat man nicht schon berufsbedingt eine gewisse Distanz zur Innenpolitik?

Jean Asselborn: Doch! (lacht) Jetzt mal im Ernst: Wichtige Entscheidungen auf internationaler bzw. europäischer Ebene haben immer auch Auswirkungen auf die Innenpolitik, zumal Luxemburg ja auch Teil der globalisierten Welt ist. Eine schlechte Außenpolitik wirkt sich auch auf die Innenpolitik, und natürlich auch auf die Wirtschaftspolitik aus. Von der EU-Erweiterung, und ich wäre froh, wenn Sie das schreiben würden, hat die Luxemburger Wirtschaft enorm profitiert.

Lëtzebuerger Journal: Haben Sie in diesem Zusammenhang nicht den Eindruck, dass Premier Juncker auf internationalem Parkett allzu sehr den Elefanten im Porzellanladen raus hängen lässt, und Sie die Scherben dann wieder zusammen kehren müssen.

Jean Asselborn (verlegen): Bis jetzt wurde ich noch nicht mit der Aussage eines anderen Regierungsmitglieds, auch nicht vom Premierminister, konfrontiert, die mich in Schwierigkeiten gebracht hätte.

Lëtzebuerger Journal: Eine Frage zur Koalitionshalbzeit; aufweiche Leistungen sind Sie im Rückblick besonders stolz?

Jean Asselborn: Diese Regierung hatte die "verdammte Pflicht", sich nicht mit der "Mammerent" selbst zu blockieren, sondern dafür zu sorgen, die Staatsfinanzen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Es wäre ein kapitaler Fehler gewesen, hätte die Regierung die Augen geschlossen und weiter so getan, als ob nichts geschehen sei. Besonders stolz bin ich diesbezüglich auch, dass diese ganze Übung abgelaufen ist, ohne dass es zu Sozialabbau gekommen ist. Unabdingbar für den sozialen Frieden ist im übrigen die Tripartitc...

Lëtzebuerger Journal: ...an deren Beschlüsse sich ja scheinbar keiner so richtig hält...

Jean Asselborn: In der Tripartitc wurde gute Arbeit geleistet.

Lëtzebuerger Journal: Nun denn. Sie sind - im Gegensatz zum Premier, wo in letzter Zeit dieser Eindruck aufkommt - nicht amtsmüde?

Jean Asselborn: Es gibt aus meiner Sicht kein Anzeichen, dass der Premier amtsmüde ist. Wenn man amtsmüde ist, soll man aufhören. Ich habe schon so manche Etappe in meinem Leben mitgemacht, aber wenn man auf dem Außenministerstuhl sitzt, dann darf man nicht an sowas denken, auch wenn der Job nicht immer die reinste Freude ist. Trotzdem: ohne Motivation soll man "einpacken".

Lëtzebuerger Journal: Auf dem letzten CSV-Kongress hat Jean-Claude Juncker angekündigt, seine Partei noch einmal als Spitzenkandidat anführen zu wollen. Wie sieht es mit Ihnen aus?

Jean Asselborn (sichtbar nachdenklich): Der Premier macht, was er für richtig hält. Ich hingegen würde sagen, und das, ohne auf Widerspruch in meiner Partei zu stossen, dass ich bei den nächsten Wahlen als Vizepremier antreten werde.

Lëtzebuerger Journal: Welche Arbeit hat Sie mehr befriedigt, die des Parteivorsitzenden oder die des Vizepremiers einer großherzoglichen Regierung?

Jean Asselborn: Das sind zwei verschiedene Sachen, ich war ja auch schon Bürgermeister und Fraktionschef. In meinem Beruf - und Politik ist ein Beruf - habe ich gelernt, dass das Amt des Bürgermeisters mir am meisten gebracht hat. Hier war ich ganz nahe an den Leuten, mit denen ich auf Tuchfühlung gehen konnte. In all den Jahren habe ich aber auch gelernt, eine gewisse Distanz zu sich selbst zu entwickeln, vor allem aber, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Wichtig ist auch, sich einer Debatte zu stellen, auch in der eigenen Partei und ungeachtet des Ausgangs. Außenpolitik ist ebenfalls harte Arbeit, nicht zuletzt muss man ja hier das Bild Luxemburgs in der Welt darstellen.

Lëtzebuerger Journal: Laut einer rezenten Umfrage über die Beliebtheit der Spitzenpolitiker haben Sie vier Punkte dazu gewonnen, derweil der Premierminister die gleiche Punktzahl einbüssen musste.

Jean Asselborn: Ich gebe nicht allzu viel auf Umfragen, freue mich aber zugleich, dass die Luxemburger Außenpolitik geschätzt wird.

Lëtzebuerger Journal: Sind Sie nicht neidisch, dass Sie, im Gegensatz zu Premier Juncker, nicht mit internationalen Ehrungen überhäuft weden? Nicht einmal den Karls- oder den Elsie-Kühn-Leitz-Preis bekamen Sie.

Jean Asselborn: Neid ist der schlimmste Feind im gesellschaftlichen Zusammenleben, auch in der Politik.

Lëtzebuerger Journal: Ein Wort noch zum Innenleben Ihrer Partei...

Jean Asselborn: Als Partei können wir nur stärker werden, wenn wir eine gemeinsame Linie vertreten. Wir schwächen uns nur selbst, wenn wir in der heutigen Medienwelt gegeneinander antreten. Wir haben zwar 13 Prozent weniger als die CSV aber wir haben nicht 13 Prozent weniger Verantwortung.

Lëtzebuerger Journal: Eine letzte Frage, wären Sie bereit, Jean-Claude Juncker als Premierminister abzulösen?

Jean Asselborn (lächelt): Seit 104 Jahren hat die sozialistische Partei nie den Premier gestellt. Diese Ungerechtigkeit wird im 21. Jahrhundert beseitigt werden.

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