"Weil die Demokratie kein perpetuum mobile ist...". Le ministre des Affaires étrangères et de l'Immigration, Jean Asselborn, au sujet du 50e anniversaire des traités de Rome

d'Wort: Herr Außenminister, das Europa, das die Gründerväter vor 50 Jahren auf den Weg brachten, ist nicht mehr dasselbe, das wir heute kennen. Wie beurteilen Sie den Weg, den Europa in diesen 50 Jahren gegangen ist?

Jean Asselborn: Es stimmt, dass die Gründerväter von damals nicht die Expansion von heute im Sinn hatten, als sie das Projekt Europa begannen. Ausgehend vom Wunsch der Verhinderung eines weiteren Krieges durch die Kontrolle über die deutsche Großindustrie nahm das Projekt nacheinander eine wirtschaftliche und dann auch eine politische Dimension ein. Dank eben dieser politischen Komponente konnte die Gemeinschaft, über die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nice, nicht zuletzt auch unter dem Impuls der geschichtlichen Entwicklung in den 90er Jahren, den Weg gehen, den sie ging. Die wirtschaftliche Vereinigung als Grundmotivation und Urgedanke der Gründerväter hätte allein nicht zu dem Europa von heute führen können. Nun stehen wir vor der Herausforderung einer weiteren politischen Integration, die nicht ohne gleichzeitige Vertiefung denkbar ist.

d'Wort: Aus dem Europa der sechs Gründerstaaten ist das Europa der 27 geworden. Ist sein Erfolg nicht zu seiner größten Bedrohung geworden? Hat es seine Seele verloren?

Jean Asselborn: Man muss bedenken, dass die Gemeinschaft bis zu einem gewissen Moment nicht die Möglichkeit hatte, sich nach Osten zu erweitern. Heute muss man wissen, dass das Europa der 27 anders funktioniert als noch das Europa der 6 oder 15. Es muss sich immer wieder auf das besinnen, was schon 1957 und noch davor galt, nämlich ein Friedensprojekt aufbauen, d.h. den Frieden auch für die nächsten 50 Jahre sichern. Im Jahr 2050 z.B. muss es der EU gelungen sein, die Länder des Balkans aufgenommen zu haben. Seine Seele würde Europa jedoch verlieren, wenn es den Fehler machte, eine Erweiterung anzustreben, ohne über seine Vertiefung nachzudenken. In Großbritannien gibt es Stimmen, die behaupten, eine Vertiefung sei nicht mehr notwendig bzw. nicht mehr möglich. Die Luxemburger Regierung ist vom Gegenteil überzeugt.

d'Wort: Ist eine weitere Vertiefung, in Anbetracht der derzeitigen Situation der EU, denn realistisch?

Jean Asselborn: Natürlich sind wir jetzt bei der Frage des europäischen Grundvertrages. Ich bin überzeugt, dass weit mehr Länder als die 18, die den Vertrag bisher ratifiziert haben, diesen wollen. In der derzeitigen Wahlkampagne in Frankreich ist er ein Thema. Man will dort ganz offensichtlich diesen Stein aus dem Weg räumen. Das ist ebenso positiv wie die Tatsache, dass auch die Niederlande mithelfen wollen, eine Lösung zu finden. Ein Konsens ist mehr denn je möglich, auch wenn man zum jetzigen Zeitpunkt so wenig wie möglich über konkrete Inhalte reden sollte, um es der deutschen Präsidentschaft nicht noch schwerer zu machen. Ich stelle fest, dass der politische Wille überall besteht, jetzt den Weg zu gehen, damit wir spätestens 2009 einen neuen Basisvertrag vorliegen haben. Es muss auch alles unternommen werden, die beiden Länder, die am meisten Probleme bereiten, d.h. England und Polen, für einen Konsens zu gewinnen. Und auch das ist nicht unmöglich. Meinungsumfragen bestätigen eine deutlich gestiegene Akzeptanz der Bevölkerung in dieser Hinsicht, auch in Polen.

d'Wort: Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Gefahren für die Union? In der unterschiedlichen Auffassung seiner Mitglieder zur Rolle und Zielsetzung der Gemeinschaft?

Jean Asselborn: In der Tat gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Zielsetzungen der EU. Das können und dürfen wir nicht verkennen. Was mir vor allem Sorge bereitet ist, dass wir in diesem Zusammenhang hie und da auch mit nationalistischen Tendenzen, und parallel dazu mit dem Phänomen der Intoleranz, zu tun haben. Dem müssen wir mit allen Mitteln entgegen wirken. Ich möchte aber betonen, dass die vorherrschende Auffassung in der EU jene der Integration und des Miteinanders ist.

d'Wort: Die Union versteht sich als Friedensprojekt, das gemeinsamen Werten verpflichtet ist. Steht damit nicht einer endlosen Erweiterung der Gemeinschaft, und letztlich die Perspektive ihrer eigenen Handlungsunfähigkeit, das Tor offen?

Jean Asselborn: Wir müssen wissen, was wir unter Friedensprojekt verstehen. Es geht nicht nur darum, neue Kriege zwischen historischen Kontrahenten zu verhindern, sondern auch in Zukunft Frieden, Stabilität und Wohlstand zu sichern. Dafür müssen wir uns immer wieder engagieren, weil der europäische Integrationsprozess stets mit Energie versorgt werden muss, weil die Demokratie auch kein perpetuum mobile ist. Was die Erweiterung betrifft, möchte ich betonen, dass in dieser Perspektive die Balkanstaaten sowie die Türkei angesprochen sind. Alles was darüber hinausgeht, möchte ich in die Nachbarschaftspolitik der EU einreihen, nicht aber in die Erweiterungsthematik. Es betrifft z.B. die Länder der früheren Sowjetunion bis nach Zentralasiens, sowie von Nordafrika bis in den Mittleren Osten. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Geschichte immer in Bewegung ist. Wir können ihr keinen Stillstand verordnen. In einer unmittelbaren Phase sollten wir uns jedoch darauf beschränken, die EU-Perspektive der Balkanländer zu verwirklichen bzw. unsere Beziehungen zu einer europäischen Türkei zu klären.

d'Wort: Die Diskussion um die Raketenpläne der USA auf dem europäischen Kontinent werfen im Endeffekt auch die Frage einer autonomen Rolle der Union auf ihrem eigenen Territorium auf. Wird das Projekt einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU nicht stets an der Unfähigkeit einiger Mitgliedsländer zur politischen Emanzipation und Distanz gegenüber Washington scheitern?

Jean Asselborn: Man darf nicht vergessen, dass jedes der heutigen 27 EU-Länder eine eigene Geschichte und auch von dieser Geschichte geprägte Beziehungen zu den USA hat. Zugleich kann die EU ihr eigenes Schicksal nicht in die Hand nehmen, indem es gegen die USA oder gegen Russland vorginge. Es kann nur in einer gemeinsamen, globalen Partnerschaft mit Washington und Moskau geschehen. Auch ist die tiefverwurzelte Allianz mit den USA eine für Europa stets präsente Konstante, die wir nie vergessen dürfen. Um eine stabile EU-Außen- und -Sicherheitspolitik zu gewährleisten, müssen wir es fertig bringen, über die Partikularinteressen hinaus eine solidarische und integrative Form der politischen Zusammenarbeit zu erreichen, ohne uns auseinander zu dividieren und ohne uns gegen andere zu stellen. In der Raketenfrage heißt das, eine gemeinsame Lösung anzustreben, die jede mögliche Inzidenz auf Drittländer nur im Rahmen einer breiten Diskussion berücksichtigt.

d'Wort: Herr Asselborn, was wäre Luxemburg heute ohne Europa?

Jean Asselborn: Wenn Europa keine Zukunft hätte, dann gäbe es auch keine Zukunft für Luxemburg. Das liegt auf der Hand. Die Interessen Europas sind identisch mit denen unseres Landes. Das muss man so deutlich sagen, und auch immer wieder in Erinnerung rufen. Luxemburg hat keine Interessen, die weiter oder tiefer gehen könnten als jene Europas.

d'Wort: Und was wäre Europa ohne Luxemburg ...?

Jean Asselborn: Natürlich müssen wir bescheiden bleiben. Eine Tatsache ist es, dass unser Einfluss in Europa überproportional groß im Vergleich zu unserer geographischen Größe ist. Insofern ist es reizvoll, aber immer wieder auch eine große Herausforderung, an diesem Europa mitzuwirken. Natürlich würde die EU auch ohne Luxemburg funktionieren, aber sicher anders. Unsere Beitrag wird hoch geschätzt, das wird mir immer wieder bestätigt.

d'Wort: Das europäische Projekt beruht in besonderer Weise auch auf dem Prinzip der Gleichheit ihrer Mitglieder. Wie können Sie als Außenminister eines kleinen Partnerlandes Ihre Vorstellungen in die großen weltpolitischen Orientationen der EU einbringen?

Jean Asselborn: Auch in diesem Punkt bleibt Bescheidenheit das oberste Gebot. Als Außenminister Luxemburgs muss man wissen, dass man nicht eine europäische Großmacht repräsentiert, man darf aber auch nicht mit Komplexen auftreten. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass es in Europa weniger darauf ankommt, wer spricht, als vielmehr, was gesagt wird. Die Substanz des Gesagten gibt den Ausschlag. Insofern spüre ich oft, dass den Luxemburger Positionen mehr als nur Interesse und Wohlwollen entgegen gebracht wird. Weil man uns glaubt, dass wir dem Geist der europäischen Idee in überzeugter und ehrlicher Weise verpflichtet sind.

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