"Die Polen sollten ihr Verhalten jetzt proeuropäisch ausrichten." Le ministre des Affaires étrangères et de l'Immigration, Jean Asselborn, au sujet des résultats du Conseil européen des 21 et 22 juin 2007 et de l'élargissement de l'UE

Die Welt: Herr Minister, werden die Querelen mit der polnischen Regierung bei den Verhandlungen über den neuen EU-Vertrag Ihrer Meinung nach Folgen haben?

Jean Asselborn: Ich hoffe, dass dies nur eine Episode war. Ich war vor drei Wochen in Polen und habe dort unsere Botschaft eröffnet. Ich habe gespürt, gehört und gefühlt, dass bestimmte polnische Verantwortliche alles tun würden, um einen Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft beim "Reformvertrag" zu verbauen. Dass der polnische Premierminister nach dem Brüsseler EU-Gipfel dann auch noch das Deutschland von heute mit dem Deutschland der Dreißigerjahre verglichen hat, geht zu weit. Damit wird im Grunde genommen gezeigt, dass man nicht dem gleichen Klub angehören will.

Die Welt: Sollte die EU Warschau jetzt sanktionieren?

Jean Asselborn: Isolationspolitik, auch innereuropäisch gesehen, hat niemals viel gebracht, nirgendwo auf der Welt. Polen gehört zur EU, ja die EU braucht Polen. Wir müssen uns jetzt mit den politisch Verantwortlichen in Warschau zusammensetzen und ihnen sagen, dass sie ihr Verhalten proeuropäisch ausrichten sollten. Im Übrigen denkt das polnische Volk viel positiver, vor allem die jungen Menschen sind begeistert von Europa und dessen politischer Integration.

Die Welt: Die britische Regierung hat mit den zahlreichen Ausnahmeregelungen und den Fußnoten zur nationalen Souveränität in der Außenpolitik bei den Verhandlungen zum neuen EU-Vertrag noch viel mehr erreicht als Warschau. Gibt es jetzt ein "Europa à la carte"?

Jean Asselborn: "À la carte" ist ein sanftes Wort, wir haben jetzt faktisch schon ein Europa mit zwei Geschwindigkeiten. Und diese zwei Geschwindigkeiten sind nicht von denjenigen entschieden worden, die Europa weiterbringen wollen, sondern von denen, die bewusst nicht mit der EU Schritt gehalten haben. Großbritannien ist nicht Mitglied der Euro-Zone und des Schengen-Raums, jetzt gibt es für London auch noch Sonderrechte, von der Grundrechte-Charta und den gemeinsamen Vereinbarungen zur Justizpolitik abzuweichen.

Die Welt: Wie soll das weitergehen?

Jean Asselborn: Großbritannien bereitet der EU manchmal sehr große Probleme, jedenfalls größere als jene, die die EU Großbritannien macht. Die neue britische Regierung muss sich überlegen, was es für Großbritannien in der Essenz bedeutet, Mitglied der Europäischen Union zu sein. Es kann nicht sein, dass Großbritannien in der EU nur mitmacht, wenn man sich davon einen Vorteil verspricht. Immer wenn angeblich Nachteile drohen, wird die gemeinsame Verantwortung für Europa durch britische Sonderrechte ausgehebelt. So kann Europa auf Dauer nicht funktionieren.

Die Welt: In vielen Mitgliedsländern bewegt die Menschen eine Frage: Wo liegen die Grenzen der EU?

Jean Asselborn: Europa ist ein Friedensprojekt. Wir haben mit sechs Staaten angefangen und haben jetzt 27 Mitglieder. Die Erweiterung war eine Aufgabe, die die Geschichte uns erteilt hat. Sie ist und bleibt die Antwort auf Diktaturen und undemokratische Systeme. Und da ist noch eine Aufgabe der Geschichte, die wir erfüllen müssen: die Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Das kann zehn oder 15 Jahre dauern, aber es ist unsere verdammte Pflicht, diese Länder aufzunehmen - im Namen des Friedensprojekts Europa. Wenn es auf dem Balkan wieder zu einem blutigen Konflikt kommt, hat Europa versagt. Die Balkanstaaten liegen nicht in Russland oder China, sondern sie gehören zu uns.

Die Welt: Gilt das auch für die Türkei?

Jean Asselborn: Warum denn nicht? Die EU hat die Reformen und Menschenrechte in der Türkei durch die Beitrittsperspektive enorm vorangetrieben: Außerdem hat die EU dort strategische Interessen.

Die Welt: Wer so denkt, muss auch die Ukraine und Georgien aufnehmen.

Jean Asselborn: Sie dürfen die Geschichte nicht vergewaltigen. Wir diskutieren seit 40 Jahren mit der Türkei, wir haben Hoffnungen gemacht und Hoffnungen wieder zerstört. 2005 hat die Union beschlossen, Beitrittsverhandlungen zu starten. Wir haben unser Wort gegeben, ernsthafte Verhandlungen mit der Türkei über eine Mitgliedschaft aufzunehmen, das zählt doch. Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft liegt hundertprozentig richtig, wenn sie dies am Anfang ihrer Präsidentschaft in Erinnerung ruft. Auf der anderen Seite darf sich die EU aber auch nicht übernehmen. Für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und die Mittelmeerländer gibt es eine Nachbarschaftspolitik mit Aktionsplänen und finanzieller Unterstützung. Das ist ein guter Weg.

Die Welt Glauben Sie, dass die Türkei der EU beitreten wird?

Jean Asselborn: Ich wünsche es mir. Aber ich weiß nicht, ob es gelingen wird. Es ist ohne Zweifel von größtem Interesse für die EU, wenn die Türkei des 21. Jahrhunderts europäisch denkt und handelt.

Die Welt Sollten die Gespräche mit Ankara beschleunigt werden?

Jean Asselborn: Die EU sollte nichts unternehmen, das die Verhandlungen mutwillig bremst - natürlich unter der Bedingung, dass die Türkei die Auflagen und Spielregeln befolgt.

Die Welt: Der Konflikt in den Palästinensergebieten droht zu eskalieren. Sollte die EU die gemäßigten Kräfte in der Hamas unterstützen?

Jean Asselborn: Die EU sollte alle palästinensischen Kräfte, auch innerhalb der Hamas, unterstützen, die das Existenzrecht Israels in den Grenzen von 1967 anerkennen, die auf Gewalt verzichten und den Friedensprozess wieder ankurbeln wollen. Niemand darf daran interessiert sein, dass der von der Hamas dominierte Gazastreifen zu einem Terrornest wird. Es brüht und gärt dort. Die EU muss die humanitäre Hilfe im Gazastreifen fortsetzen, wir dürfen die 1,4 Millionen Menschen nicht ihrem Schicksal überlassen. Damit auch ausreichend humanitäre Hilfe im Gazastreifen ankommt, muss Israel aber unbedingt noch mehr Grenzübergänge öffnen. Zwei Grenzübergänge wie bisher genügen nicht. Und als Zeichen des guten Willens sollte Israel auch noch mehr als 250 palästinensische Gefangene freilassen. Immerhin sitzen noch 9000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen. Dies könnte die Voraussetzungen für politische Friedensgespräche deutlich verbessern. Ohne Lösung im Israel-Palästina-Konflikt wird es keine Chance geben, eine dauerhafte, zusammenhängende und globale Stabilität mit allen islamischen Ländern anzusteuern.

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