"Es gibt Momente, in denen man Optimist sein darf". Le ministre délégué aux Affaires étrangères et à l'Immigration au sujet du sommet de Lisbonne

Tageblatt: Der EU-Außenministerrat versprühte am Montag einen gewissen Optimismus, was eine Einigung auf den EU-Reformvertrag bei dem Gipfeltreffen in Lissabon anbelangt. Ist dieser Optimismus angebracht?

Nicolas Schmit: Warum sollte man in Europa immer ein Pessimist sein? Es gibt Momente, in denen man Optimist sein darf. Umso mehr da wir, nach all den Schwierigkeiten, die wir vor zwei Jahren hatten, dort angekommen sind, wo wir jetzt sind. Es muss einen doch optimistisch stimmen, wenn man sieht, dass Europa mehr Mittel hat, als man ihm zugetraut hat. Man kann die europäischen Bürger auch nicht mit Pessimismus von der Notwendigkeit Europas überzeugen.

Tageblatt: Nun sind aber seit dem letzten Gipfel, neben der Forderung Polens zum Ioannina-Kompromiss, weitere Probleme aufgetaucht: Italien soll mehr Abgeordneten-Sitze im Europäischen Parlament verlieren als andere ...

Nicolas Schmit: Was Ioannina anbelangt, so hoffe ich, werden wir jene Formel finden, damit wir die Ängste, die Polen weiterhin hegt, unter Kontrolle bringen. In der Frage der Abgeordneten-Sitze: Ohne einem Land nahe treten zu wollen, finde ich es relativ übertrieben. Es geht um einen Abgeordneten, vielleicht auch zwei, wenn ich die Differenz betrachte, die dieses Land zu Großbritannien oder Frankreich hat. Ich kann mir jedoch wirklich nicht vorstellen, dass ein Land, das traditionell europäisch war und das Prinzip der degressiven Proportionalität akzeptiert hat, jetzt blockieren würde. Sie haben ja auch versprochen, dies nicht zu tun.

Was mich ein wenig enttäuscht, sind die Rechnungen, die jetzt gemacht werden, indem Bürger eines Landes in europäische und nichteuropäische Bürger aufgeteilt werden. Sicher sind die einen Wähler, die anderen nicht. Doch wenn solche Berechnungen in Europa wieder aufgestellt werden, ist das kein gutes Zeichen.

Tageblatt: Und das Problem der Bulgaren?

Nicolas Schmit: Die Geschichte mit der Schriftweise des Euro [in Kyrillisch, wie es die Bulgaren verlangen, Anm.]: Da wird mit einem sicherlich realen orthographischen Problem ein Abgleiten ins Nationalistische provoziert. Dort liegt eine der Gefahren, auf die wir immer wieder in Europa aufpassen müssen, damit nicht augenscheinlich kleine Probleme plötzlich ein nationalistisches Feuer auslösen.

Tageblatt: Sind keine Überraschungen mehr zu erwarten in Lissabon?

Nicolas Schmit: Ich gehe a priori nicht davon aus, dass noch Überraschungen kommen. Ich habe den Eindruck, dass etwa die Briten relativ glücklich sind. Was einen doch etwas schockiert, wenn man sieht, inwieweit hier ein Land einen speziellen Status erhält. Die Briten sind mit ihren roten Linien in die Verhandlungen gegangen und haben uns vor vollendete Tatsachen gestellt in der Art: wenn ihr einen Reformvertrag haben wollt, müsst ihr diese roten Linien akzeptieren. Andernfalls organisieren wir ein Referendum und dann geht alles den Bach runter.

Hut ab vor der britischen Diplomatie. Jedoch weiß ich nicht, ob das für Europa eine so positive Sache ist. Die Briten haben praktisch alles bekommen, was sie in diesen Verhandlungen verlangt haben.

Tageblatt: Inwieweit wurde den Bedenken des Europäischen Parlaments Rechnung getragen in Sachen Weitergabe persönlicher Daten an Drittstaaten und Ernennung des Hohen Beauftragten für die EU-Außenpolitik?

Nicolas Schmit: Die Weitergabe von Daten an Drittstaaten ist ein allgemeiner Punkt, da es um den Schutz unserer Privatsphäre geht. Im Kampf gegen den Terrorismus stellt sich die Frage, wie die Bürger geschützt werden können, ohne aber die Privatsphäre zu sehr in Frage zu stellen. Es werden bereits seit einiger Zeit die Passagierdaten an die Vereinigten Staaten weitergeleitet. Wir sind aber auch dem Druck der USA ausgeliefert, da sie uns vor die Situation stellen, dass keine Flugzeuge landen dürfen, wenn vorher nicht die Daten über die Passagiere übermittelt wurden. Es wurde jedoch nicht fundamental über diese Frage im Rahmen der Diskussionen über den Vertrag geredet.

Tageblatt: Und die Einbindung des Europäischen Parlaments bei der Ernennung des Hohen Beauftragten?

Nicolas Schmit: Es wurde darüber diskutiert, diese ganzen Ernennungen mit der Kommission in einer zu bündeln. Würde man dies zum 1. Januar 2009 tun, dann müsste ein guter Teil der Kommission neu organisiert werden. Aus diesem Grund und Gründen der politischen Zugehörigkeit, dem Gleichgewicht zwischen kleinen und großen EU-Staaten, nördlich und südlich, westlich und östlich gelegenen Staaten, fanden wir es besser, die Ernennung der Kommission, aber eventuell auch des neuen Postens des Ratspräsidenten, zu bündeln.

Das Parlament wird nur bei der Nominierung des Präsidenten der Kommission eingebunden. Da gibt es spezielle Regeln. Das Parlament hat sich aber das Recht genommen, die einzelnen Kommissare anzuhören, was wir beim letzten Mal erlebt haben, als ein italienischer Kommissar bei den Parlamentariern nicht ankam. Diese Anhörung wird ebenfalls für den wichtigen Kommissar des Hohen Beauftragten gelten, der ja Mitglied der Kommission und deren Vizepräsident ist.

Tageblatt: Was ist vom ursprünglichen Vorhaben, den Vertragstext zu vereinfachen, verständlicher zu machen, noch übrig geblieben?

Nicolas Schmit: Wir sind eigentlich in Laeken davon ausgegangen, alles verständlicher zu machen. Daraus entstand der Verfassungsvertrag, der in zwei Ländern nicht ankam. Der neue Vertrag ist auf den ersten Blick, ich betone auf den ersten Blick, so wie er jetzt vorliegt, schwer zu lesen, ganz schwer zu lesen. Ich würde fast sagen unlesbar. Den Vertrag aber sollte man dann lesen, wenn er in einer koordinierten Fassung vorliegt. Dann, glaube ich, wird er lesbarer sein als die vorigen Verträge.

Auf der anderen Seite gibt es eine große Vereinfachung, d.h. es gibt nur noch eine juristische Person in Form der Union. Wir haben zwar noch zwei Verträge, aber das ist mehr eine optische Präsentation als eine fundamentale. Vorher hatten wir zwei Verträge, eine Gemeinschaft und eine Union, drei Pfeiler ... Das ist nun verschwunden.

Tageblatt: Schaffen die EU-Staats- und Regierungschefs mit der zunehmenden Gewährung von Opt-outs und Ausnahmeregelungen nicht zunehmend ein Europa à la carte?

Nicolas Schmit: Das ist eine Gefahr oder eine Möglichkeit, besonders in einem Bereich, der ganz wichtig ist und mit der Zusammenarbeit im Justiz-, Polizei- und Strafwesen zu tun hat. Man muss aber hier relativieren, da es in diesem Bereich bereits Opt-outs gibt. Wir haben ein generelles Opt-out von Großbritannien und Irland beim Schengen-Raum. Wir haben ein Opt-out von Dänemark, was die Zusammenarbeit im Strafrechtsbereich anbelangt, und das bereits seit Maastricht.

Was jetzt geschieht und besonders Großbritannien betrifft, ist, dass diese Ausnahmeregelungen noch verstärkt werden. Es besteht die Gefahr, dass sich in wesentlichen Bereichen die Abstände vergrößern und sich im großen EU-Raum Unterschiede zwischen verschiedenen Rechtsräumen auftun, die zunehmend auseinanderdriften. Ich meine, das ist keine gute Entwicklung.

Tageblatt: Wird man Beitrittskandidaten künftig Opt-outs, etwa auf der Charta der Grundrechte, verweigern können?

Nicolas Schmit: Ich glaube, das Opt-out für Großbritannien auf der Charta ist ohne Zweifel absolut bedauernswert und ehrlich gesagt etwas unverständlich. Es ist ebenfalls bedauernswert, dass sich Polen dem zum Teil angeschlossen hat. Die Sozialrechte in der Charta sind zwar für sie in Ordnung, jedoch nicht die gesellschaftspolitischen Elemente. Wenn Europa jedoch etwas Gemeinsames hat, trotz aller Divergenzen, dann ist es der Unterbau, der aus den fundamentalen Menschenrechten besteht.

Mit künftigen Mitgliedstaaten sollte man relativ strikt vorgehen, auch wenn man sich die Frage stellen kann, ob dies fair ist oder nicht. Ich würde aber sagen, wer der EU beitritt, der kennt den Sockel der Union und sollte diesen akzeptieren. Es gibt auch kein Opt-out mehr auf dem Euro und zukünftige EU-Mitglieder bekommen grundsätzlich kein Opt-out, was die Charta anbelangt.

Tageblatt: Sollte eine Frist für die Ratifizierung des Reformvertrages gesetzt werden?

Nicolas Schmit: Es gibt eine indikative Frist für das Inkrafttreten des Vertrages: den 1. Januar 2009. Es ist zu hoffen, dass der Ratifizierungsprozess in den verschiedenen Ländern so schnell wie möglich abläuft. Es sollte politisch dazu ermutigt werden, nach der Unterzeichnung den Prozess sofort zu beginnen und so zügig wie möglich voran zu bringen, damit eine möglichst große Zahl von Ländern den Text im ersten Halbjahr ratifiziert hat. Die Länder lassen sich jedoch kaum dazu zwingen, da es sich um nationale, verfassungsrechtliche Prozeduren handelt.

Tageblatt: Gibt es auch dieses Mal keinen Plan B, wenn in einem oder mehreren Ländern die Ratifizierungen scheitern sollten?

Nicoals Schmit: Es gab vorher keinen Plan B und es gibt ganz sicher auch jetzt keinen, wenn es in einem Land nicht klappen sollte. Wir müssen davon ausgehen, dass dieser zweite Versuch der richtige ist. Ich wage nicht, an die politischen Konsequenzen zu denken, wenn es hier eine weitere Panne geben sollte. Daher sollten wir alles tun, damit der Ratifizierungsprozess positiv über die Bühne geht.

Das bedeutet aber auch, mit den Bürgern über den Vertrag zu diskutieren. Diese Pflicht wird nicht dadurch aufgehoben, dass es zu einer Ratifizierung durch das Parlament kommt.

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