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"Ein Gaza im Herzen Europas verhindern". Jean Asselborn au sujet de l'évolution de la situation au Kosovo
d'Wort: Herr Außenminister, es scheint so, dass die politisch Verantwortlichen im Kosovo demnächst, voraussichtlich am 17. dieses Monats, die Unabhängigkeit ihres Landes ausrufen werden. Stehen wir vor einer neuen, schweren Balkankrise?
Jean Asselborn: Die großen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, eine einvernehmliche, gemeinsam zwischen Belgrad und Pristina ausgehandelte Lösung über den künftigen Status des Kosovo zu erreichen waren leider erfolglos. Das bedauere ich aufrichtig, doch ich stimme auch mit Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon überein, dass der Status quo auf lange Sicht nicht die Lösung sein kann. Wir müssen den Menschen im Kosovo eine Perspektive bieten und verhindern, dass sie in Hoffnungslosigkeit versinken. Der Kosovo darf nicht das Gaza Europas werden! Deshalb muss die EU in der Kosovo-Frage, die nur noch in einer eurpäischen Lösung beruhen kann, Verantwortung übernehmen. Ich bin überzeugt, dass unsere Position dazu beitragen wird, eine neue, schwere Balkankrise zu verhindern
D'Wort: Das heißt, die EU-Länder werden einen unabhängigen Kosovo als solchen direkt anerkennen? Und die von mancher Seite erhobenen Bedenken ignorieren?
Jean Asselborn:So kann man das sicher nicht sehen. In der EU haben wir seit langem, in enger Anlehnung auch an die Verhandlungslinie der UN-Positionen, darauf hingearbeitet, dass ein Unabhängigkeitsstatus des Kosovo, sollte er zustande kommen, mit starken internationalen Garantien und Kontrollen verknüpft sein wird und muss. In diesem Sinn wird den Bedenken, auch und insbesondere von serbischer Seite, Rechnung getragen. Das ist für uns ein wichtiger Punkt. Die europäische Lösung für den Kosovo bedingt, dass wir in dieser Hinsicht auch Verantwortung übernehmen, und das tut die EU ja auch durch die von ihr getragene zivile Mission zur Begleitung des Kosovo hin zu einem funktionierenden Rechtsstaat. Wir verfolgen hier eine klare Linie, und ich hoffe und gehe davon aus, dass die Gemeinschaft hinsichtlich der Lösung einer kontrollierten Unabhängigkeit des Kosovo eine breite, solidarische Position vertreten wird.
d'Wort: Wie realistisch sind denn Ihrer Meinung nach die Zukunftschancen einer solchen, doch zumindest noch auf Hypothesen und Unabwägbarkeiten fundierten europäischen Position?
Jean Asselborn: Diese Position ist durchaus realistisch, unter der Voraussetzung, dass wir uns, mit der gleichen Intensität wie in der Frage des Kosovo-Statuts, um eine offene und konstruktive Kooperation mit Serbien bemühen. Um Stabilität auf dem Balkan herbeizuführen ist, zumindest ebenso wichtig wie die Lösung des Kosovo-Statuts, das Mitwirken an einem stabilen Serbien. Solange der Balkan instabil bleibt, wird Europa niemals zur Ruhe kommen und das Friedensprojekt Europa sehr lange sehr teuer zu stehen kommen. Es ist eine Herausforderung, die ich, generell gesehen und vor allem in ihrer historischen Tragweite, noch größer und entscheidender einschätze als die Schaffung des Euro.
d'Wort: Gerade jetzt scheint ja aber die Kooperation mit Serbien ins Stocken geraten zu sein. Nach den (für die EU positiven) Präsidentschaftswahlen hat die europafeindlich eingestellte Regierung Kostunica die Unterzeichnung eines für Donnerstag vorgesehenen Kooperationsabkommens mit der EU ausgesetzt...
Jean Asselborn: Ich bedauere, dass die Unterzeichnung nicht zustande kommen konnte, aber das ist eine Frage serbischer Innenpolitik. Die Unterzeichnung wurde allerdings nur ausgesetzt. Es bleibt, dass wir eine politische Abmachung mit Belgrad gefunden hatten. Es ist dies eine wichtige Vorstufe zu einem möglichen Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen, das wir unsererseits natürlich nur mit Serbien eingehen können, wenn es insbesondere zu einer hundertprozentigen Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag bereit ist. Es liegt nicht zuletzt im Interesse Serbiens und des serbischen Volkes, wenn es zu einer Stabilisierung dieses Staates im Rahmen einer engen Anbindung an die EU kommt. Ich freue mich darüber, dass z.B. in der Frage der Verfolgung und Auslieferung ehemaliger Kriegsverbrecher der neugewählte serbische Präsident Boris Tadic die europäische Position teilt.
d'Wort: Die Voraussetzungen stehen also nicht schlecht, dass wir auf einen stabilen Balkan mit einem unabhängigen Kosovo hinsteuern?
Jean Asselborn: Ich sehe keinen Grund, die Hoffnung aufzugeben. Sicher wird der Weg bis dahin noch sehr lang und extrem schwierig sein. Aber man kann und darf nicht aufhören, darauf fortzuschreiten.