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"Permanent blockieren funktioniert nicht". Jean Asselborn au sujet de la Suisse et de l'influence des petits États dans l'Union européenne
Neue Züricher Zeitung: Herr Vizepremierminister, das irische Stimmvolk hat den Vertrag von Lissabon abgelehnt. Kann die Schweiz, die 2004 ihr "strategisches EU-Beitritts-Ziel" widerrufen hat, jetzt aufatmen?
Jean Asselborn: Wenn die EU besser funktioniert, ist das auch zum Vorteil der Schweiz. Jede grosse Debatte in der Europäischen Union hat auch Rückwirkungen auf die Schweiz. Nehmen Sie die EU-Erweiterung, zuletzt um Bulgarien und Rumänien, das ist auch hier in der Schweiz ein Thema.
Neue Züricher Zeitung: Wird der Lissabonner Vertrag in irgendeiner Form doch noch unterzeichnet, käme die Schweiz dann nicht noch mehr unter Druck?
Jean Asselborn: Wenn "Lissabon" einen Druck ausüben sollte, dann wäre es ein Integrationsdruck. Ob das gut oder schlecht ist, hängt vom Standpunkt ab - davon, ob die Schweiz einmal Mitglied der Europäischen Union werden will. Im Moment, so scheint mir, will sie das eher nicht. Wenn der achtjährige Reformprozess nicht abgeschlossen werden könnte, wäre das aber für Europa fatal.
Neue Züricher Zeitung: Schweizer Bundesräte bezeichnen Luxemburg gerne als ihren Verbündeten in Brüssel. Aber im Streit um die Unternehmensbesteuerung trägt Luxemburg die Politik der EU-Kommission mit.
Jean Asselborn: Die Schweizer Kantone sollen gewisse Unternehmen begünstigen. Hier findet ein Dialog zwischen der EU und der Schweiz statt.
Neue Züricher Zeitung: Die Unternehmensbesteuerung in Luxemburg war früher der schweizerischen ähnlich. Konnten Sie sich nicht gegen eine Anpassung wehren?
Jean Asselborn: Jedes Land in der EU hat eine Stimme - wobei die Stimmen der grossen Staaten etwas gewichtiger sind. Man kann einmal etwas blockieren, aber dann muss dieses Veto sitzen. Permanent blockieren funktioniert nicht. Schliesslich haben wir verschiedene Änderungen an unserem Holding-Gesetz vorgenommen.
Neue Züricher Zeitung: Was raten Sie der Schweiz, wo eine Arbeitsgruppe bis im Herbst Vorschläge für eine Steuerreform präsentiert?
Jean Asselborn: Ich bin überzeugt, dass die Schweiz imstande ist, eine eigenständige und vernünftige Finanzpolitik zu betreiben und im Dialog mit der EU etwas Positives zu machen. Mehr kann ich nicht sagen. Das würde professoral klingen und Wasser auf die Mühle jener lenken, die behaupten, die EU wolle den Beitritt der Schweiz erzwingen.
Neue Züricher Zeitung: Letztlich zielt die Aussenpolitik der EU gegenüber der Schweiz doch auch auf eine stärkere Integration und Anpassung der Schweiz ab.
Jean Asselborn: Die Schweiz läuft doch in der EU gar nicht unter Aussenpolitik.
Neue Züricher Zeitung: Worunter dann?
Jean Asselborn: Auch nicht unter Innenpolitik, obwohl die Schweiz in vielen Bereichen in die Europäische Union eingebunden ist. Die Schweiz steht dazwischen.
Neue Züricher Zeitung: Beim Bankgeheimnis ziehen Luxemburg und die Schweiz am gleichen Strick. Können sich die beiden kleinen Staaten à la longue gegen EU-Mitglieder wie Deutschland und Frankreich durchsetzen, die den vollen Informationsaustausch wollen?
Jean Asselborn: Hier sind die Schweiz und Luxemburg Verbündete, ganz klar. 2003 wurde mit der Zinsbesteuerung ein Prozess eingeleitet, der jetzt nicht einfach abgebrochen werden kann. Der Satz von 15 Prozent wird am 1. Juli auf 20 Prozent erhöht und im Jahr 2011 auf 35 Prozent. Eine Revision der Richtlinie wäre im Prinzip erst 2013 möglich. Im nächsten Herbst erscheint ein Zwischenbericht über die Zinsbesteuerung und die Amtshilfe im Vergleich. Dagegen haben wir nichts. Aber wir wehren uns dagegen, ein Gesetz jetzt abzuändern, bevor man seine volle Wirkung überhaupt beurteilen kann.
Neue Züricher Zeitung: Wird es die Zinsbesteuerung nach 2013 noch geben?
Jean Asselborn: Wir sollten den Weg, den wir 2003 eingeschlagen haben, weitergehen. Und wir müssen klarmachen, dass man sich an Orten wie Macau, Singapur oder Hongkong ins Fäustchen lacht, wenn die europäischen Finanzplätze geschädigt werden.
Neue Züricher Zeitung: Von einem Mitglied der Lëtzebuerger Sozialistesch Arbechterpartei würde man ein etwas anderes Plädoyer erwarten. In der Schweiz wollen die Sozialdemokraten das Bankgeheimnis abschaffen.
Jean Asselborn; Es gibt Ausnahmen, Bundesrätin Calmy-Rey zum Beispiel. Meine Partei hat das Bankgeheimnis nie in Frage gestellt. Wir wollen kein schmutziges Geld, aber am Prinzip haben wir nie gerüttelt. Übrigens hat auch keine andere im Parlament vertretene Partei in Luxemburg je daran gerüttelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten bei uns noch 30.000 Menschen in den Stahlwerken. Heute sind es etwa gleich viele im Bankensektor.
Neue Züricher Zeitung: Was würde bei einer von Brüssel verordneten Abschaffung des Bankgeheimnisses geschehen?
Jean Asselborn: Die Wirkung wäre verheerend, vor allem wenn es sofort geschähe. Aber anders als in den siebziger Jahren, wo der Finanzplatz nur auf dem Bankgeheimnis aufbaute, gibt es heute andere tragende Säulen. Die Fonds-Industrie zum Beispiel und das in Luxemburg konzentrierte Fachwissen. Aber in Sachen Abschaffung des Bankgeheimnisses gilt die Regel der Einstimmigkeit. Auch in Zukunft ist es nicht realistisch, von einer Abschaffung zu reden.
Neue Züricher Zeitung: Kann ein kleiner Staat in einer EU mit 27 Mitgliedern überhaupt noch seine Interessen verteidigen?
Jean Asselborn: Nehmein wir das Beispiel Litauen: Dieses Land hat ein Mandat für Verhandlungen mit Russland blockiert, bis es angepasst wurde. Anderseits ist es sehr schwierig, als Mitgliedland mit 500.000 Einwohnern im Fall von Luxemburg gegen die ganze EU anzutreten. Luxemburg hat als Gründerstaat immer auf die Karte Integration gesetzt: ohne ein geeintes Europa kein Luxemburg. Das hat sich ausgezahlt. Wir haben nur selten, etwa im Fall des Finanzplatzes, unsere eigenen, spezifischen Interessen in den Vordergrund gerückt.