"Ohne ein zweites Referendum geht es nicht". Jean Asselborn au sujet des conséquences pour l'Union européenne du Non irlandais

Berliner Zeitung: Herr Asselborn, werden die EU-Staatschefs heute in Brüssel einen Ausweg aus der Krise finden?

Jean Asselborn: Auf dem Gipfel muss Irland sich erklären, und alle europäischen Staaten, die den Vertrag von Lissabon bislang nicht ratifiziert haben, müssen die Ratifizierung vor dem Jahresende zusichern. Andere Länder dürfen sich nicht hinter Irland verstecken. Wir wissen ja, dass es Staaten gibt, die noch etliche Probleme haben. Ich glaube nicht, dass Irland im Stande ist, heute eine fertige Lösung auf den Tisch zu legen. Wir sollten uns eine Frist bis Oktober geben und versuchen, bis dahin zusammen mit den Iren eine Lösung zu haben.

Berliner Zeitung: Unterstellen wir mal, dass bis zum Oktober die 26 anderen EU-Staaten alle den Vertrag von Lissabon ratifiziert haben. Welche Optionen hätte die Union dann?

Jean Asselborn: Dann könnten wir uns auf die Frage konzentrieren: Warum ist das schief gelaufen in Irland? Ich weiß nicht, wie die Sache dort ohne zweites Referendum zu drehen wäre. Bei einer zweiten Abstimmung hieße die Frage dann, wie können wir sie so vorbereiten, dass sie zu gewinnen ist. Mein irischer Kollege sagt uns, dass die Kampagne für das Nein vor allem auf die Angst der Leute zielte. Irland würde seine Neutralität verlieren, das Land könnte bei wichtigen Steuerfragen überstimmt werden, und der Regierung könnten beim Thema Abtreibung unerwünschte Vorschriften gemacht werden. Als Minister eines ebenfalls kleinen Landes, für das Steuerfragen von großer Bedeutung sind, weiß ich, wie sensibel diese Fragen sind. Ich weiß aber auch, dass die anderen Staaten Sicherheiten geben können, die Sorgen mindern.

Berliner Zeitung: Und solche Sicherheiten sollte auch Irland erhalten?

Jean Asselborn: Ja, die Europäische Union könnte der irischen Bevölkerung Garantien geben und zeigen, dass deren Bedenken unbegründet sind. Mehr noch: die Union muss klarmachen, dass sie einen effizienten Schutzschild gegen die Gefahren der Globalisierung bildet. Aber machen wir uns nichts vor, das wird nicht einfach werden.

Berliner Zeitung: Europa bürgerfreundlicher zu machen - wird das heute beim Gipfel ein Thema der Staats-und Regierungschefs sein?

Jean Asselborn: Wir werden uns fragen müssen, wie es möglich war, dass in Irland eine Stimmung, die bis zwei Wochen vor der Abstimmung positiv war, in so kurzer Zeit kippen konnte. Hier stoßen wir auf ein Problem. Die Angst der Menschen vor steigenden Öl- und Lebensmittelpreisen sowie vor der Krise auf den internationalen Finanzmärkten ist sehr groß. Und Europa, das müssen wir einsehen, gilt bei den Leuten nicht als das Instrument, um diese Probleme zu lösen. Und hier schließt sich jetzt ein verhängnisvoller Kreis: Europa wird dazu immer weniger in der Lage sein, wenn es nicht so gestaltet wird, dass es auf die Probleme der Menschen reagieren kann.