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Jean-Claude Juncker au sujet du Conseil européen
Christian F. Trippe: Herr Ministerpräsident, auch nach diesem Gipfeltreffen tritt Europa auf der Stelle. Woran liegt das?
Jean-Claude Juncker: Europa tritt auf der Stelle, aber Europa kommt trotzdem weiter. Die Europäische Union steckt in einer Krise, aber wir haben die Krise hier in Brüssel nicht auf die Spitze getrieben, sondern der Krise eigentlich die ersten Spitzen gebrochen, dadurch, dass hier alle Ministerpräsidenten der Länder, die den Lissabonner Vertrag noch nicht ratifiziert haben, mitgeteilt haben, sie würden dies tun. Es wäre also nicht so, als ob Irland Nachahmer finden würde. Alle werden den Vertrag ratifizieren, und dann müssen wir mit unseren irischen Freunden, bis spätestens Oktober, die Wege klären, die uns aus dieser Krise herausführen.
Christian F. Trippe: Aber, wäre es nicht mutig und richtig gewesen, eine Art Zeitplan zu verabschieden und ganz klar zu sagen, bis dann und dann soll dieser Vertrag von Lissabon, das Reformwerk, unter Dach und Fach sein?
Jean-Claude Juncker: Zielführender und wohl auch mutiger wäre das gewesen. Ob es aber vernünftiger gewesen wäre, wage ich zu bezweifeln. Wir müssen ja sehen, dass die Iren vor knapp einer Woche, in einer demokratischen Urabstimmung, diesem Lissabonner Reformvertrag die rote Karte gezeigt haben. Dann kann es nicht sein, dass man eine Woche später so tut, als wäre dies nicht passiert, und dann einen Zeitplan, auch von inhaltlichen Pflöcken umrahmt, beschließt.
Die Iren würden sich dann sagen, dass Demokratie ein Auslaufmodell ist, sie ist aber kein Auslaufmodell. Man muss mit den Iren, mit dem irischen Volk in eine länger andauernde Debatte eintreten, bevor man weiß, was zu tun ist, um eine Lösung zu finden, die auch irlandkonform ist.
Christian F. Trippe: Hat die irische Regierung Fehler gemacht, in dieser Kampagne, um den Vertrag von Lissabon?
Jean-Claude Juncker: Wenn ich der Meinung wäre, sie hätte welche gemacht, würde ich Ihnen das nicht anvertrauen, weil mir das den sofortigen Besuch des irischen Botschafters oder einen Telefonanruf meines irischen Kollegen einbringen würde.
Nein, ich glaube, es gibt viele Gründe wieso und weshalb das irische Volk, wenn ich dies zwischen Gänsefüsschen so sagen darf, verweigert hat. Es gibt eine innenpolitische Erklärungsebene, die mit europäischen Dingen nichts zu tun hat. Es gibt das Phänomen, was vorauszusehen war, dass dieser Vertrag völlig unleserlich ist – kein einfach oder vereinfachter Vertrag – sondern eine komplizierte Ausgabe der Verfassungssubstanz, die wir im Jahre 2004 verabschiedet hatten, und die von den Franzosen und den Niederländern per Referendum abgelehnt wurde.
Und es gibt, ja, diesen quälenden Dialog zwischen zwei Befindlichkeiten, in all unseren öffentlichen Meinungen. Die Hälfte der Bevölkerung hätte gerne mehr Europa und die andere Hälfte ist eigentlich der Meinung, dass wir eh schon Europa zuviel haben. Und diese beiden Befindlichkeiten können nicht richtig miteinander ins Gespräch kommen. Und die Regierungen schaffen es erkennbar nicht, sie miteinander ins Gespräch zu bringen.
Christian F. Trippe: Es wird ja nicht einfach so gehen, dass man den Iren den Vertrag noch einmal vorlegt und sagt, jetzt stimmt nochmal darüber ab. Eine Form von Zugeständnissen der EU an die Iren müsste es doch wohl geben. Wie könnten die Aussehen?
Jean-Claude Juncker: Ich weiß nicht, wie die aussehen könnten. Ich weiß nur dass man den Iren denselben Vertrag nicht noch einmal aufs Tablett legen und sagen kann, stimmt nochmal ab, ihr habt euch geirrt bei dem ersten Votum. Nein, wir müssen da Erklärungen ergänzen, wir müssen Anschauungsmaterial in vielerlei Zahl zur Verfügung stellen, wir brauchen vielleicht einige typisch-irische Zugänge auf typisch-irische Einwände. Es ist zu früh um das zu sagen. Man wird dies im Oktober feststellen.
Christian F. Trippe: Wagen Sie persönlich eine Prognose, wann es so weit ist, wann Irland ein zweites Mal abstimmt?
Jean-Claude Juncker: Nein, ich mache keine derartigen Prognosen, so, wie ich mir auch selten über Europa Illusionen mache. Ich mache mir keine Illusionen, weil ich nämlich keine Lust habe sie zu verlieren.
Christian F. Trippe: Dies war ja, glaube ich, ein Gipfel der Ernüchterung und der Illusionslosigkeit. Wie stark waren denn im Kreis der Staats- und Regierungschefs die Selbstkritik, vielleicht auch die Selbstzweifel?
Jean-Claude Juncker: Ja, die waren schon ausgeprägt, weil wir ja einfach sehen müssen dass man einfacher durchs Leben kommt wenn man Blindflüge macht; dass wir von Volksabstimmung zu Volksabstimmung immer wieder scheitern. Es hat zwei Referenden, den Verfassungsvertrag betreffend, mit positivem Ausgang gegeben, in Spanien und in Luxemburg. Und dann eben Frankreich, die Niederlande und jetzt Irland mit negativem Ausgang – und das hat Gründe.
An vielen Unpässlichkeiten, die den Menschen an der Europäischen Union auffallen, sind die Regierungschefs und die Regierungen selbst schuld. Wenn wir die ganze Woche über Europa schlecht reden; wenn wir dauernd so tun, wenn wir zu Hause Entscheidungen verteidigen müssen, als ob uns dies von Brüssel aus aufgezwungen wurde; wenn wir also Europa die ganze Woche nicht so beschreiben, wie es wirklich ist – und es ist so, dass Europaparlament und Ministerrat die Entscheidungen treffen – dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen der Europäischen Union den Rücken kehren.
Ich bin auch der Meinung, dass wir es einfach nicht mehr hinkriegen, als europäische Politiker, die Menschen noch träumen zu lassen. Wir schaffen es auch nicht, dass wir als Europäer stolz auf Europa sind. Wir haben es geschafft, ohne Gewaltanwendung, mit friedlichen Mitteln, in Europa europäische Geschichte und europäische Geographie sich miteinander versöhnen zu lassen.
All dies sind Leistungen, für die wir im Rest der Welt bewundert werden. Nur die Europäer schauen weg, wenn es europäische Erfolge zu bewundern gilt. Und wir Politiker schaffen es nicht, auf diese Erfolge hinzuweisen.
Christian F. Trippe: Wir haben über Irland geredet, wir haben übers Grosse Ganze gesprochen, ich möchte jetzt gerne noch einen Blick auf Tschechien werfen, offensichtlich der nächste Wackelkandidat, wenn es um die Ratifizierung dieses Vertrages geht. Wie beurteilen Sie die Lage dort?
Jean-Claude Juncker: Also, der tschechische Premierminister hat hier zum Ausdruck gebracht, dass er alles machen und tun würde, was in seiner Macht steht, um diesen Vertrag, den Lissabonner Reformvertrag, zu ratifizieren. Auf dieses Wort des tschechischen Kollegen verlasse ich mich.
Ich hoffe, dass er es schafft in seiner Partei so um Zustimmung zu werben, dass ihm diese Zustimmung auch zufliegt. Dann wird Tschechien mit Sicherheit nicht der Wackelkandidat sein, als den Sie ihn etwas voreilig und überprofilaktisch jetzt schon gezeichnet haben.
Man muss ja auch sehen, dass Tschechien am 1. Januar 2009 die Präsidentschaft der Europäischen Union übernimmt. Wer hier als Sitzungspräsident antritt mit einem toten Vertragswerk in der Tasche, der wird keinen Erfolg haben – und Tschechien hat Erfolg verdient. Wir sind ja froh, und stolz auch, dass Tschechien inzwischen zur europäischen Familie gehört, weil die Tschechei immer ein europäisches Land war, nur der Lauf der Geschichte hat es über 50 Jahre von uns entfernt.
Christian F. Trippe: Was wäre, wenn auch die Tschechen Nein sagen? Dann wäre er tot, der Vertrag von Lissabon?
Jean-Claude Juncker: Also, er würde ein zweites irisches Nein nicht überstehen. Er würde auch ein zweites Nein eines anderen Landes wahrscheinlich nicht überstehen. Käme es dazu, dann haben wir keine andere Wahl, als dass wir mit verschiedenen Geschwindigkeiten in die europäische Zukunft starten. Es gibt viele, die gerne in Europa Gemeinsames unternehmen und die sich nicht gerne von anderen daran hindern lassen genau dies zu tun, was nach ihrem Geschmack wäre.
Christian F. Trippe: Herr Juncker, mit dem Reformvertrag von Lissabon sollten ja auch neue europäische Spitzenjobs geschaffen und besetzt werden, das kommt nun, wenn überhaupt, später. Zum Schluss müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, würden Sie gerne europäischer Ratspräsident werden?
Jean-Claude Juncker: Ja, die Iren haben die Frage für eine lange Zeit beantwortet. Es wird diesen EU-Präsidentenposten nicht geben, insofern entfernt sich eine derartige Vorstellung von meinem Bildschirm.
Christian F. Trippe: Wenn die Iren nächstes Jahr ja sagen, könnte 2010 das...
Jean-Claude Juncker: Wenn der Esel eine Katze wäre, dann würde er den Baum rauflaufen können.
Christian F. Trippe: Jean-Claude Juncker, Ministerpräsident von Luxemburg, vielen Dank für Ihre Antworten auf DW-TV.
Jean-Claude Juncker: Dankeschön.