Dernière modification le
"Sozialgefälle in China birgt mehr Sprengstoff als Menschenrechtslage". Jeannot Krecké au sujet des Jeux olympiques à Pékin, de la situation des droits de l'Homme et des inégalités sociales en Chine
Luxemburger Wort: Herr Minister, Sie sind von Beginn an präsent bei den Spielen und auch weiterhin; in Athen vor vier Jahren besuchten Sie die Spiele nur während einer Woche. Gefällt Ihnen China besser als Griechenland?
Jeannot Krecké: Athen war damals meine erste Amtshandlung, da wurde es Zeit, wieder nach Luxemburg zurückzukehren, um mich einzuarbeiten. Zweitens profitiere ich von meiner Präsenz in Peking, um nach Schanghai zu gehen, auch in Peking treffe ich eine Reihe Leute aus der Wirtschaft, sodass ich beides miteinander kombiniere.
Luxemburger Wort: Sehen wir einmal ab von Liz May, dann hat das, was die Luxemburger Sportler bisher geboten haben, Ihr Gefallen gefunden?
Jeannot Krecké: Das hat mir gut gefallen, an den Gesichtern ist schon die eine oder andere Enttäuschung festzustellen gewesen, weil wir schon etwas traurig waren, wenn wir nur Fünfte geworden sind wie beim Straßenrennen. Der Weg, der in vier Jahren zurückgelegt wurde, ist schon beeindruckend.
Luxemburger Wort: Ein Wort der Einschätzung über die Organisation in Peking?
Jeannot Krecké: Die Chinesen haben hier perfekt organisiert, über den Transport und die Betreuung, das war nicht anders zu erwarten. Sie haben einen kleinen Nachteil, sie sind vielleicht noch nicht flexibel genug, um schnell zu reagieren auf eine Situation, die sich plötzlich ergibt. Da geht es streng nach dem Paragraphen. Alles in allem waren es bisher formidable Spiele.
Luxemburger Wort: Die perfekte Organisation hat in Ihren Augen auch damit zu tun, dass China ein autoritärer Staat ist?
Jeannot Krecké: Das chinesische Volk ist sehr diszipliniert, viel disziplinierter, als wir es in Europa gewohnt sind. Sie sind folgsamer und sind auch an ein solches Regime gewohnt. Damit muss man sich zurechtfinden, in einem solch großen Land und bei einem solch großen Volk hat das nicht nur Nachteile. Ich frage mich, ob man anders ein Land wie dieses überhaupt in den Griff bekommt. Hier herrschen Dimensionen, die wir in Europa uns überhaupt nicht vorstellen können.
Luxemburger Wort: Sie reisen relativ oft nach China, vor allem in Ihrer Funkion als Wirtschaftsminister. Man hat den Eindruck, dass Sie auch gewissermaßen in Sachen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen die Speerspitze der Europäischen Union darstellen.
Jeannot Krecké: Wir haben eine sehr intensive Zusammenarbeit, und zwar schon lange, die wir jetzt noch verstärken konnten, nachdem wir in Schanghai ein weiteres Standbein hatten. Ich werde anschließend auch nach Schanghai weiterreisen, um das nächste Ereignis vorzubereiten, die Weltausstellung 2010.
Luxemburger Wort: Im Vorfeld der Spiele wurde die chinesische Regierung kritisiert, weil die Menschenrechtslage stark zu wünschen übrig lässt. Sprechen Sie diese Themen bei Ihren Treffen mit chinesischen Politikern an oder beschränken Sie sich ausschließlich auf die Wirtschaft?
Jeannot Krecké: Wenn, dann nur am Rande. In den offiziellen Gesprächen muss vorher ein Agenda eingereicht werden zu den Punkten, über die man sprechen will. Bei den Chinesen ist das sehr strikt, wenn man über fünf Punkte sprechen will, dann kann man nicht über einen sechsten sprechen. Sonst ist der Gesprächspartner nicht vorbereitet, er verliert das Gesicht. Das ist absolut zu vermeiden.
Luxemburger Wort: Und wenn Sie den Punkt der Menschenrechte auf die Agenda setzen?
Jeannot Krecké: Ich kann mir nicht vorstellen, als Wirtschaftsminister die Menschenrechte auf die Tagesordnung zu setzen. Was man tut, ist, nachher beim Essen das Gespräch hierauf zu bringen. Es sind eher der Außenminister, der Premier, die solche Themen ansprechen, als der Wirtschaftsminister.
Luxemburger Wort: Haben Sie denn aus privaten Gesprächen den Eindruck, dass sich die chinesische Führung bewusst ist, dass es hier Probleme gibt?
Jeannot Krecké: Sie ist sich vielerlei bewusst und bewusst geworden in letzter Zeit. Die Führung weiß, dass sie die Expansion nicht wie bisher weitertreiben kann, sonst werden die Umweltschäden wohl irreparabel. Die Dirigenten fangen an, einen anderen Weg zu gehen. Sie wissen auch, dass sie bei den Menschenrechten nicht dieselben Standards haben wie wir in Europa, sie sagen aber auch, dass wir Verständnis aufbringen sollen für ihre schwierige Situation, den Zusammenhalt der ethnischen Gruppe zu garantieren. Da liegt für mich das Hauptproblem, weniger in den Menschenrechten, mehr in der Kohäsion dieser Gesellschaft. In den Küstenregionen geht die Entwicklung schnell voran, in den inneren Gebieten viel langsamer, sodass es eine regelrechte Völkerwanderung von schätzungsweise 200 Millionen Personen gibt, die unbedingt in die Küstenregionen wollen. Das ist ein großes Problem, diesen Personen eine Wohnung zu verschaffen, ihnen Arbeit zu geben auf eine würdige Art und Weise. Ein weiteres Problem ist das Gefälle beim Einkommen. Es gibt Gegenden, da wird so viel verdient wie in Luxemburg, in anderen Regionen ist das Niveau das eines Entwicklungslandes. Dieser Unterschied muss ausgemerzt werden, sonst entsteht hier Konfliktstoff, der meiner Meinung nach explosiver ist als die Frage der Menschenrechte. Das soziale Gefälle wird zum größten Problem.
Luxemburger Wort: China ist riesig groß, Luxemburg sehr klein. Können wir Luxemburger Ihrer Meinung nach dennoch von den Chinesen lernen?
Jeannot Krecké: Wir können vieles von den Chinesen lernen. Europa wird noch das Staunen lernen. Wenn die Chinesen lernen, flexibler zu sein und effizienter zu werden, dann werden wir es zu spüren bekommen. Dieses Land hat ein Riesenpotenzial, viele Menschen sind sehr wissensbedürftig, sie wollen viel lernen, sie sind bereit, hart zu arbeiten, sie sind ambitiös. Bei dem Tempo, das die Chinesen fahren, werden wir Schwierigkeiten haben, mitzuhalten. Wir haben zu lernen, wie man sich einsetzt für sein Land, für sein Anliegen, im Sport und anderswo. Man hat den Eindruck, dass die Chinesen ihren Stolz wiedergefunden haben, sie sind sich bewusst, dass sie im Kommen sind.