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"Eine langfristige Herausforderung." Jean-Louis Schiltz au sujet de la situation en Afghanistan et de la présence de militaires luxembourgeois en Afghanistan
Luxemburger Wort: Herr Minister, der Isaf-Einsatz in Afghanistan gilt als "vergessener Krieg". Nach schweren menschlichen Verlusten - zuletzt bei französischen und deutschen Truppen werden sogar Zweifel an der Berechtigung des Einsatzes der Internationalen Sicherheitstruppe laut.
Jean-Louis Schiltz: Die Isaf unterstützt die Afghanen bei der Herstellung und Wahrung der Sicherheit. Es handelt sich um ein langfristiges Engagement. Es geht um Stabilisierung und Wiederaufbau des Landes und darum, die Bedingungen herzustellen, die es mittelfristig erlauben werden, dass die Afghanen selbst die Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen. Ein wesentlicher Bestandteil dazu ist daher der Aufbau leistungsfähiger Streit- und Polizeikräfte. Die afghanische Armee zählt jetzt etwa 70.000 Streitkräfte und viele Einsätze werden jetzt auch schon von der afghanischen Armee ausgeführt. Der Aufbau der Polizei geht leider langsamer voran.
Luxemburger Wort: Die luxemburgische Präsenz in Afghanistan liegt Ihnen am Herzen?
Jean-Louis Schiltz: Die luxemburgische militärische Präsenz ist Ausdruck der Solidarität mit der afghanischen Bevölkerung und mit unseren Nato-Verbündeten; sie ist auch in unserem eigenen Interesse. Schauen Sie mal: an die 90% der Drogen, die in Europa verkauft werden, werden in Afghanistan angebaut. Terroristen werden in der Region ausgebildet und sie nehmen auch Europa ins Visier. Wir haben also Interesse daran, dass Afghanistan sich stabilisiert. Was wäre die Alternative? Afghanistan ins Mittelalter zurückverbannen - wie dies im Jahr 2000 noch der Fall war - und so den Grundstein für mehr Leid und Unheil in Afghanistan und darüber hinaus in der Region, aber auch in Europa zu legen?
Luxemburger Wort: Aber die durchschlagenden Erfolge sind bisher ausgeblieben.
Jean-Louis Schiltz: Die Berichterstattung konzentriert sich oft auf die Sicherheitslage und die Attentate vor Ort. Einerseits kann ich das verstehen, da die Sicherheit doch vielerorts angespannt ist. Andererseits kommen dabei jedoch die Erfolge, die in den letzten Jahren in der Entwicklung Afghanistans erreicht wurden, leider oft ein wenig zu kurz.
Luxemburger Wort: Sie sprechen von welchen Erfolgen?
Jean-Louis Schiltz: 2001 wurden die Afghanen vom menschenverachtenden Talibanregime befreit. Frauen wurden bis dahin als Menschen zweiter Kategorie ohne Rechte angesehen. Erst vor sieben Jahren haben die Afghanen und die Afghaninnen ihre Freiheit wiedergefunden. Deutliche Fortschritte wurden seitdem im Bildungswesen erreicht. Es gibt jetzt mehr als sechs Millionen Schulkinder, davon ein Drittel Mädchen. Während des Talibanregimes gingen nur eine Million Jungen zur Schule. Seit 2001 hat sich das afghanische Pro-Kopf-Einkommen verdoppelt und deutliche Verbesserungen gibt es auch im Gesundheitswesen. Die Eröffnung von Krankenhäusern und Gesundheitszentren in den Provinzen ermöglicht, dass 83% der Bevölkerung medizinisch versorgt werden können, 2001 waren es nur 8%. Die Infrastrukturen wurden verbessert, es wurden kilometerweise Straßen gebaut. Fortschritte gibt es auch im politischen und institutionellen Bereich: Afghanistan hat eine Verfassung, einen gewählten Präsidenten und ein gewähltes Parlament - 28 % der Abgeordneten sind übrigens Frauen. 2009 werden wieder Präsidentschaftswahlen stattfinden und 2010 wird das Parlament neu gewählt. Auch in der Zusammenarbeit zwischen UN und Isaf sind seit der Ernennung des UN-Sondergesandten Kai Eide im März dieses Jahres Fortschritte erzielt worden.
Luxemburger Wort: Gibt es einen strategischen Einsatzplan für die Zukunft Afghanistans und wenn ja, welchen?
Jean-Louis Schiltz: Wir wissen, dass, vor dem Hintergrund asymmetrischer Anschläge, wir mit rein militärischen Mitteln allein eine dauerhafte Lösung nicht erzielen können. Wir brauchen Militär vor Ort, doch die Lösung wird keine rein militärische sein. Wir brauchen die "Comprehensive approach", wie sie im April auf dem Nato-Gipfel in Bukarest nochmals klar zum Ausdruck gebracht worden ist: "Diplomacy, development, defense". Für mich bedeutet das vor allem eine zentrale Rolle der UN in Afghanistan und ein engeres Zusammenwirken zwischen UN und Isaf. Dies bedeutet, dass wir den UN die nötigen Mittel zur Verfügung stellen, aber auch politische Unterstützung, die wir klar zum Ausdruck bringen müssen. Die Arbeit von internationalen Hilfsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen ist natürlich auch ein wichtiges Element. Vor allem jedoch müssen die Afghanen zunehmend Eigenverantwortung in allen Bereichen übernehmen. Dabei müssen wir sie unterstützen, insbesondere im Kampf gegen die Korruption. Diesen Kampf müssen die Afghanen resoluter und flächendeckend angehen.
Luxemburger Wort: Die Luxemburger Präsenz in Afghanistan steht also weiterhin?
Jean-Louis Schiltz: Natürlich. Der Einsatz im Afghanistan ist ein wichtiger Auftrag, auf den die Luxemburger Soldaten sich intensiv vorbereiten. Die neun Luxemburger Soldaten sind am internationalen Flughafen von Kabul stationiert, sie sind mit verantwortlich für die Sicherung des Flughafens. Die Luxemburger erfüllen diese schwierige Aufgabe zu meiner vollsten Zufriedenheit, und unsere Partner sprechen sich immer wieder belobigend über die Luxemburger Soldaten aus. Ich halte es für wichtig, in regelmäßigen Abständen die Luxemburger Soldaten vor Ort zu besuchen, um mich persönlich über ihre Arbeit und ihr Wohlbefinden zu informieren.
Luxemburger Wort: Ungeachtet aller Risiken ...?
Jean-Louis Schiltz: Null Risiko gibt es nicht bei Militäreinsätzen. Wir setzen jedoch alles daran, dass unsere Soldaten ihre Mission unter den bestmöglichen Bedingungen wahrnehmen können. Oberstes Gebot ist dabei die Sicherheit der Soldaten, die setzt eine optimale Ausrüstung und eine gute Ausbildung voraus. Zusätzlich zu ihrer Grundausbildung breiten sich die Soldaten während vier Monaten auf ihren Einsatz vor. Hauptbestandteil dieses Trainings sind die militärischen Aufgaben, aber die Vorbereitung beinhaltef auch Elemente, die soziale Begebenheiten in Afghanistan betreffen.
Luxemburger Wort: In anderen Ländern ist die Beteiligung an der Isaf in Kontroversen geraten ...
Jean-Louis Schiltz: Vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse der letzten Wochen ist die Bestürzung in Frankreich und Deutschland nur allzu verständlich. Es ist durchaus legitim, dass über so eine wichtige friedensherstellende Mission wie die der Isaf diskutiert wird. Leider sind Debatten, die eine Fortsetzung des Isaf-Einsatzes in Frage stellen, oft nicht sehr produktiv und mitunter gefährlich. Die Rebellen verfolgen die nationalen Debatten in Europa und gehen dann gezielt vor. Sie sprechen Drohungen aus und üben Anschläge aus. Das ist es, was unsere französischen und deutschen Freunde gegenwärtig erleben. Ich erinnere im Übrigen daran, dass zunehmend auch Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen gezielt getötet werden. Es handelt sich hier um eine klare Einschüchterungsstrategie. Wenn die UN und internationale Hilfsorganisationen aus Sicherheitsgründen eine bestimmte Region verlassen müssen, ist die Bevölkerung der große Verlierer. Die Nato-Truppen müssen sich aber auch um ihre Akzeptanz bei den Menschen in Afghanistan bemühen. Es gilt besser zu vermitteln, dass sie für die Bevölkerung da sind. Der Umstand, dass es immer wieder zivile Opfer gibt, ist nicht nur dramatisch, er hat negative Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis, das wir zwischen den Afghanen und der Isaf brauchen.
Luxemburger Wort: Die militärische und politische Herausforderung Afghanistan wird somit in den nächsten Jahren für die internationale Gemeinschaft nicht kleiner?
Jean-Louis Schiltz: Die Herausforderungen in Afghanistan, sei es Armut, Wiederaufbau im Schul- und Gesundheitswesen, Sicherheit oder auch noch der Kampf gegen die Korruption, werden auch in Zukunft groß bleiben. Daher hat sich die internationale Gemeinschaft auch 2006 in London und wiederum 2008 in Paris vorgenommen, dieses Land langfristig in vielen Schlüssel-Bereichen zu unterstützen: sozio-ökonomischer Wiederaufbau, Förderung der Menschenrechte und Entwicklung von einem Rechtsstaat, "good governance", und natürlich Sicherheit. Dies sind auch die Pfeiler der "Afghanischen nationalen Entwicklungsstrategie", die von der afghanischen Regierung, zusammen mit der UN, umgesetzt wird. Fortschritte in diesen Bereichen werden regelmäßig evaluiert, und im Laufe des Jahres 2011 wird die internationale Gemeinschaft zusammen mit den Verantwortlichen Afghanistans zusammenkommen, um Bilanz zu ziehen. Generell gesehen muss mehr im Bereich der Landwirtschaft getan werden. Leider wurde dieser Bereich bis jetzt ein bisschen vernachlässigt. Hier ist es, wo der Hebel angesetzt werden muss. Wird die Landwirtschaft entwickelt, können erstens die Menschen selbst für ihre Ernährung aufkommen, sich dann eine Existenz aufbauen; dort wo die Landwirtschaft sich entwickelt, können weniger Drogen angebaut werden. Im Endeffekt müssen die Menschen merken, dass etwas passiert. Sie müssen selbst erfahren, dass ihre Lebensbedingungen sich konkret verbessern. Das ist das allerwichtigste.
Zusammen mit meiner deutschen Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul habe ich der französischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, Afghanistan im November als einer der Schwerpunkte auf der Tagesordnung der Sitzung der EU-Entwicklungshilfeminister aufzunehmen. Ich gehe davon aus, dass dies geschehen wird, viele Minister haben inzwischen gesagt, dass sie unseren Vorschlag mittragen würden. Es ist mir wichtig, eine gezielte Koordinierung der EU-Hilfe anzustreben und unsere Bemühungen in Absprache und in Einklang mit der UN umzusetzen.