"Geschlossen und glaubwürdig". Le Premier ministre au sujet du Conseil européen

Luxemburger Wort: Was ist die wichtigste Entscheidung des EU-Gipfels?

Jean-Claude Juncker: Der am Sonntag von den Ländern der Eurozone geschnürte Krisenplan ist von allen 27 übernommen worden. Es wäre eine katastrophale Entwicklung gewesen, wenn einzelne Länder ausgeschert wären.

Luxemburger Wort: Warum ist diese Geschlossenheit so wichtig?

Jean-Claude Juncker: Alle 27 tragen den Plan. Auch in den USA finden die Beschlüsse eifrige Nachahmer. Das verleiht dem Plan eine erhöhte Glaubwürdigkeit.

Luxemburger Wort: Mit welcher Entscheidung sind Sie besonders zufrieden?

Jean-Claude Juncker: Ich bin zufrieden, dass der luxemburgische Vorschlag, einmal pro Monat die Vorsitzenden der nationalen Bankenaufsichtsbehörden zwecks verbessertem Informationsaustausch zusammenkommen zu lassen, berücksichtigt wurde.

Luxemburger Wort: Freut Sie die Schaffung des Vierer-Arbeitsstabs?

Jean-Claude Juncker: Die Entscheidung, eine schnelle Einsatzgruppe zu bilden, ist folgerichtig, und dürfte meinen Arbeitsablauf der vergangenen Wochen nicht grundlegend ändern. Als Eurogruppe-Chef war ich in den vergangenen sechs Wochen Tag und Nacht im Einsatz. In solchen Situationen ist es besser, zu den Akteuren zu gehören, die Entscheidungen vorbereiten, als später über getroffene Entscheidungen in der Zeitung zu lesen.

Luxemburger Wort: Haben die Entscheidungen auf EU-Ebene direkte Auswirkungen auf Luxemburg?

Jean-Claude Juncker: Die Rettung von Fortis und Dexia, das Bestreben, die Einlagen der Kunden der isländischen Bank Kaupthing zu gewährleisten, die Diskussion über Neuregelungen bei der Bankenüberwachung - das sind alles Themen, die Luxemburg direkt betreffen.

Luxemburger Wort: Wie geht es mit dem Klimapaket weiter?

Jean-Claude Juncker: Eine Reihe mittel- und osteuropäischer Länder und Italien haben versucht, Ziele und Zeittafel in Frage zu stellen. Doch diese beiden Elemente sind vom Rat bestätigt worden. Das Klimapaket ist Bestandteil der Ergebnismasse des Gipfels. Die Präsidentschaft muss bei der Lastenverteilung länderspezifische Aspekte berücksichtigen. Das ist auch für Luxemburg bei der Nutzung erneuerbarer Energien von Bedeutung.

Luxemburger Wort: Was soll sich im Weltfinanzsystem ändern?

Jean-Claude Juncker: Die Finanzwelt kann nach der aktuellen Krise nicht mehr dieselbe sein wie im Vorfeld. Wir brauchen mehr Transparenz bei den Finanzprodukten, nachhaltige Arbeitsweisen der Rating-Agenturen und eine verbesserte Bankenaufsicht.

Luxemburger Wort: Eine zentrale europäische Behörde lehnen Sie ab?

Jean-Claude Juncker: Der Informationsfluss muss besser koordiniert werden. Gemeinsame Regeln bedingen nicht unbedingt eine zentrale europäische Behörde. Luxemburg würde lieber selber die Aufsicht für seine in Luxemburg ansässigen Filialen ausüben, statt den Aufsichtsaktivitäten der Länder unterworfen zu sein, in denen die Mutterhäuser der in Luxemburg ansässigen Filialen beheimatet sind.

Luxemburger Wort: Braucht die Finanzwelt nicht mehr Moral?

Jean-Claude Juncker: Ich habe mich regelmäßig gegen den frenetischen Hang zur Deregulierung ausgesprochen. Ich war stets der Auffassung, dass diese Entwicklung gefährlich war. In diesen Zusammenhang habe ich die EU-Staats- und Regierungschefs an die katholische Soziallehre erinnert.

Luxemburger wort: Was fordern Sie konkret? Wir müssen uns mit den USA über die Entschädigungsstrukturen von Finanzmanagern unterhalten. Anreize zu überproportionalen Verdienstmöglichkeiten durch Risiken, die weit über verantwortungsbewusstes Management hinauslaufen, gehören ausradiert.

Luxemburger Wort: Braucht die EU mehr permanente Strukturen?

Jean-Claude Juncker: Eine permanente politische Führung, wie sie der Lissaboner Vertrag vorsieht, ist in Krisenzeiten unverzichtbar. Nur die Eurogruppe hat derzeit einen permanenten Präsidenten. Wenn dieser Vorsitz alle sechs Monate wechseln würde, könnte die Krise nicht konsequent begleitet werden.

Luxemburger Wort: Ist die Finanzmarktkrise ausgestanden?

Jean-Claude Juncker: Ich kann das Ende des Tunnels nicht sehen. Ich probiere vielmehr, den Platz zu finden, wo der Tunnel in den Berg geht.

Luxemburger Wort: Was ist eine "systemische Bank"?

Jean-Claude Juncker: Jedes EU-Land muss entscheiden, welche Banken es vor dem Konkurs zu bewahren gedenkt. Im Parlament habe ich gesagt, dass die Regierung keine Banken fallen lässt, mit denen Luxemburger Bankgeschäfte machen.

Luxemburger Wort: Und Kaupthing?

Die Zentrale ist in Island, die Niederlassung in Luxemburg ist Mutterhaus der belgischen Filialen. Die Kunden, die fürchten, ihre Einlagen zu verlieren, sind in Antwerpen und Brüssel. Hier muss der Solidaritätsgedanke zum Zug kommen. Wir können Menschen, die ihr ganzes Leben lang gespart haben, nicht hängen lassen. Das ist auch wegen des Ansehens des Finanzplatzes Luxemburg wichtig.

Luxemburger Wort: Inwiefern?

Jean-Claude Juncker: Wenn etwa in Belgien der Eindruck entstehen würde, dass die luxemburgische Regierung nur solche Banken unterstützt, die Spareinlagen von Luxemburgern verwalten, würden wir dem Finanzplatz Luxemburg den Todesstoß versetzen.

Luxemburger Wort: Setzt der Ministerrat heute die Pariser Beschlüsse um?

Jean-Claude Juncker: Wir entscheiden heute über die Erweiterung der Einlagensicherung.

Membre du gouvernement

JUNCKER Jean-Claude

Organisation

Ministère d'État

Date de l'événement

16.10.2008

Type(s)

gouv:tags_type_event/interview