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„Das Wichtigste kommt noch". Jean Asselborn au sujet de l'actualité politique nationale et internationale
Lëtzebuerger Journal: Herr Vizepremier, nicht später als gestern kamen Sie von ihrer letzten Reise zurück, die Sie diesmal nach Vietnam führte. Ist die Finanz- und Wirtschaftskrise dort, in Südostasien, genauso spürbar wie in unseren Ländern?
Jean Asselborn: Meines Erachtens ist die Krise in Asien noch nicht so zu spüren wie in Europa. Meine Gesprächspartner in Hanoi wollten aber nichtsdestotrotz von mir wissen, wann meiner Meinung nach mit dem Ende der Krise zu rechnen sei, besteht doch die Gefahr, dass die Krise in Asien mit Verspätung ankommt. Auch ist ein Land wie Vietnam noch immer auf europäische, amerikanische und japanische Hilfsgelder angewiesen, so dass dort die Sorge besteht, die entsprechende Unterstützung könnte Krisen-bedingt eingestellt werden. Die großzügige luxemburgische Kooperationspolitik wird übrigens weltweit gerühmt und ist für unser Land von unschätzbarem Vorteil, wenn nicht sogar eine regelrechte Trumpfkarte.
Lëtzebuerger Journal: Was bereitete Ihnen im nun zu Ende gehenden Jahr international gesehen am meisten Sorgen?
Jean Asselborn (wie aus der Pistole geschossen): Der Nahe Osten. Da sind zum einen die Wahlen in Israel, wo ein Rechtsdrall zu befürchten ist, zum anderen der innerpalästinensische Dialog zwischen Hamas und Fatah, der auf der Stelle tritt. Allerdings gibt es kein einziges arabisches Land, das den Frieden mit Israel nicht will. Der Iran will diesen Frieden nicht und tut konsequent alles in diese Richtung. Mit der israelischen Politik im Gazastreifen bin ich nicht einverstanden; anderthalb Millionen Leute werden hier gewissermaßen in einem offenen Gefängnis festgehalten - das kann und das darf nicht sein. Israel gibt hier ein schlechtes Bild ab, und das habe ich meiner israelischen Amtskollegin auch kürzlich noch im Beisein anderer Nato-Außenminister gesagt.
Aber auch die Hamas tut alles andere, als ein positives Bild abzugeben mit dem Dauerbeschuss von Kassam-Rakaeten von Gaza nach Israel. Israel hat langfristig nur eine Überlebenschance, wenn es auch einen sicheren Palästinenserstaat gibt, und beide Staaten friedlich nebeneinander leben können. Ohne europäische Hilfe ist Palästina indes nicht lebensfähig.
Lëtzebuerger Journal: Anderes Thema: Am 1. Januar übernimmt Tschechien den EU-Ratsvorsitz, und damit ein Land, dessen Präsident, gelinde ausgedrückt, als ausgewiesener Europaskeptiker bekannt ist. Was erwarten Sie sich von einer solchen Präsidentschaft, zumal der so genannte EU-Reformvertrag ja auch noch irgendwie unter Dach und Fach gebracht werden muss.
Jean Asselborn: Präsident Vaclav Klaus hat keine Befugnisse, um die tschechische Außenpolitik zu steuern. Auch hat er jeglichen Kredit verspielt, als er sich selbst als "europäischen Dissidenten" bezeichnet und Europa mit der Sowjetunion verglichen hat. Was nun die Chance nach einer Inkrafttretung des Lissaboner Vertrags anbelangt, so sei darauf hingewiesen, dass dieser Vertrag unsere Probleme nicht löst, wenn nicht gleichzeitig der politische Willen da ist, die Integration der Europäischen Union in der Substanz weiter zu bringen. Der Reformvertrag gibt uns den Rahmen. Auch sollte nicht zu früh über das mögliche irische Referendum - was ich mir für Ende 2009 wünsche - gesprochen werden, wenn nicht erst einmal Polen und Tschechien Farbe bekennen und den Vertrag ratifizieren. Nicht zuletzt dürfte in der kommenden Präsidentschaft auch die Frage eines Raketenschutzschildes für Europa eine Rolle spielen.
Lëtzebuerger Journal: Thema EU-Ratsvorsitz: Haben die Franzosen Europa eine neue Dynamik gebracht?
Jean Asselborn :Präsidentschaften sind immer das, was man daraus macht. Der französische Vorsitz ist mit dem luxemburgischen zu vergleichen, der ja auch schweren Herausforderungen ausgesetzt war und u.a. die Finanzperspektiven, den Stabilitätspakt und die ersten Referenden zu bewältigen hatte. Die Franzosen waren ihrerseits mit der Georgienkrise sowie mit der Finanzkrise befasst. Ich bin der Meinung, dass die Franzosen das "durch die Bank" gut gemanagt haben. Ob Nicolas Sarkozy nun allerdings erfolgreich war, weil er Präsident Europas oder aber weil er Präsident Frankreichs ist, bleibe einmal dahingestellt...
Lëtzebuerger Journal: Wie auch immer... Was uns immer wieder auffällt, ist die selektive Auswahl der Entrüstung. Gehen weltweit hunderttausende Menschen auf die Straße, um bspw. gegen die chinesische Tibet-Politik zu demonstrieren, so lässt die Situation im Kongo, wie überhaupt die Situation in Afrika im allgemeinen, die Menschen anscheinend kalt...
Jean Asselborn:...ich kann Ihnen nur sagen, dass in den vergangenen Monaten keine einzige Sitzung der EU-Außenminister stattgefunden hat, ohne dass der Kongo nicht ein Thema gewesen wäre. Ich weiß aber wirklich nicht, wie man die Afrikaner dazu bringen könnte, ihre Probleme selbst schon im Keim zu ersticken; man kann nicht immer nur europäische Soldaten anfordern....
Lëtzebuerger Journal: Kommen wir zur Innenpolitik. Im letzen CSV-Profil hat CSV-Präsident Francois Biltgen, der ja immerhin auch Mitglied dieser Regierung ist, Ihnen im Zusammenhang mit der Verfassungsreform vorgeworfen, in "einem süffisant-ironischen Ton" das Ende der Monarchie erwogen zu haben...
Jean Asselborn: ...Sie müssen nicht weiter fragen, ich antworte Ihnen sofort. An der Spitze der Luxemburger Regierung besteht ein absoluter Konsens in drei Punkten. Erstens: die Abgeordnetenkammer ist der Hauptpfeiler unserer Institutionen ; zweitens: sowohl der Premier als auch der Vizepremier stehen voll hinter der Verfassungsreform ; und drittens: sowohl der Premier als auch meine Wenigkeit sind der Auffassung, dass wir in einer Zeit leben, wo wir uns mit einer gewaltigen Krise auseinanderzusetzen haben, nicht weil dies eine Krise ist, sondern weil dies die Menschen in ihrem täglichen Leben stark beeinträchtigen kann. Deshalb sollten wir auch all unsere Energie auf die Lösung dieser Krise verwenden. Wenn der Großherzog das Euthanasie-Gesetz nach drei Monaten nicht unterschreiben würde, dann wären wir in einer institutionellen Krise - und die sollte unbedingt vermieden werden.
Im übrigen lasse ich mich nicht auf das Niveau vom CSV-Profil herab. Herrn Biltgen will ich allerdings sagen, dass er morgens vielleicht besser eine Tasse Beruhigungstee und abends sogar anderthalb Tassen Beruhigungstee trinken soll. Wenn er schreibt, dass die CSV keine Republik wolle, dann ist dies politisch und strategisch gesehen nicht unbedingt gescheit.
Lëtzebuerger Journal: Kommen wir zum Referendum...
Jean Asselborn: ...der Großherzog selbst ist damit einverstanden, den Artikel 34 unserer Verfassung zu ändern, ja, der diesbezügliche Änderungsvorschlag ist sogar vom großherzoglichen Hof ausgegangen ; der Hofmarschall hat hier eine hochkarätige Arbeit gemacht. Noch einmal: Wir sollten in Luxemburg nicht "spielen", und die seriösen Parteien, die es hierzulande gibt - und hier fallen mir deren vier ein - konzentrieren sich dann auch auf die wirklichen Probleme...
Lëtzebuerger Journal: Das Gefährliche ist ja die Vermischung der Verfassungs- mit der Euthanasiefrage, und in punkto Euthanasie fand in der Abgeordnetenkammer ein klares Votum statt...
Jean Asselborn: Das war ja vorhin meine Aussage. Das Parlament ist der Pfeiler unserer Demokratie; das Parlament muss das letzte Wort haben, und in drei Monaten muss das vom hohen Haus verabschiedete Gesetz in Kraft treten. Wenn dem Willen des Parlaments nicht mehr Rechnung getragen wird, dann ist dieses Land - und daran gibt es keinen Mikromilimeter zu zweifeln - keine Demokratie mehr.
Lëtzebuerger Journal: In Sachen gesellschaftspolitische Reformen besteht hierzulande ja sowieso immer noch ein großer Diskussionsbedarf...
Jean Asselborn: ...wenn Sie wollen, komme ich noch einmal auf das Thema Euthanasie zurück. In unserer Gesellschaft gibt es viele Leute, die alleine sterben, weil sie einsam sind, weil keiner mehr nach ihnen schaut. Hier geht es ja darum, Leute, die sich in einer ausweglosen Situation befinden, zu erlösen. Und wenn das durch ein Gesetz enkadriert werden kann, dann ist dies doch human. Ich kann nicht verstehen, auch nicht von kirchlicher Seite aus, dass hier gesagt wird, dies sei ein Gesetz gegen das Leben. Es sei denn, man glaube an Dogmen, und diese Dogmen sind dann einfach nur Dogmen, weil es Dogmen sind. Warum soll einer unnötig leiden müssen, wenn alle Hoffnung entschwunden ist. Und wenn von Missbrauch - auch so ein Schlagwon geredet wird, dann sei daran erinnert, dass es in den meisten Ländern, wo ein Missbrauch stattfinden soll, keine derartige Gesetzgebung gibt. Missbräuche werden ja gerade eingeschränkt, und nicht vergrö-ßert, weil jetzt Kontrollmechanismen eingebaut werden. Schliesslich ist zu unterstreichen, dass Sterbehilfe dem Arzt nicht aufgezwungen und der Kranke in keiner Situation dazu gezwungen werden kann.
Lëtzebuerger Journal: Was halten Sie denn in diesem Zusammenhang von der Einmischung der Kirche?
Jean Asselborn: Der Vatikan hat verstanden, dass die Luxemburger Regierung absolut nicht damit einverstanden sein kann, wenn von kirchlicher Seite unangebrachte Kommentare über unsere Institutionen kommen würden. In der öffentlichen Stellungnahme des Papstes wurde dann auch nichts gesagt, was sich gegen diese richten würde.
Lëtzebuerger Journal: In einem unserer letzten Gespräche hatten Sie bedauert, dass die sozialistische Partei hierzulande seit über hundert Jähren nie den Premier gestellt hat und diese Ungerechtigkeit sich im 21. Jahrhundert ändern müsse. Wären Sie fit genug, diese Herausforderung anzunehmen?
Jean Asselborn: Ich stehe zu meinen Worten (lacht). Für mich gibt es derzeit aber andere Probleme, als sich jetzt schon voll auf den Wahlkampf zu konzentrieren. Dieser fängt nach Ostern an...
Lëtzebuerger Journal: Aber der Arbeitsminister, der sich ja von Amts wegen gerade um die zunehmende Arbeitslosigkeit kümmern müsste, findet scheinbar jetzt schon Zeit und Muße, sich wahlkämpferisch zu betätigen...
Jean Asselborn: Hierzu habe ich mich schon geäußert. Allerdings kann ich den CSV-Präsidenten nicht in seiner Dynamik bremsen, sich zu äußern. Ein Wahlkampf ist darüber hinaus ja nichts Negatives. Ich habe übrigens einen heiligen Respekt vor der Opposition, und ich glaube - mit einer Ausnahme, aber das kommentiere ich nicht - dass wir es in Luxemburg mit einer Opposition zu tun haben, die ihre Arbeit gut macht. Was nun die von Ihnen angesprochenen gesellschaftspolitischen Themen anbelangt, so wurde mit der Sterbehilfe ein wichtiger Akzent gesetzt, genauso wichtig wie in den 70er Jahren mit der Abschaffung der Todesstrafe und der Liberalisierung der Abtreibung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das unserem Land geschadet hat, im Gegenteil...
Lëtzebuerger Journal: Wie steht es mit der Umsetzung des Koalitionsabkommens...
Jean Asselborn: Das Wichtigste kommt noch, und das ist die Schulreform. Auch sollte nicht vergessen werden, dass sich die Kranken- und Pensionskassen in Luxemburg im Gleichgewicht befinden. An der Attraktivität unseres Landes muss aber weitergearbeitet werden; die Welt bleibt nicht stehen. Erwähnt werden sollten auch die Umwelt-, Klima- und Transportpolitik...
Lëtzebuerger Journal: Kommt es zu einer Neuauflage von Schwarz-Rot?
Jean Asselborn: Das muss der Wähler entscheiden. Auch habe ich das Gefühl, dass das, was noch bis Ostern kommen wird, den Wahlkampf entscheiden kann. Ich gehe diese Wahlen mit einer gewissen Gelassenheit an ; als Juniorpartner wurde die LSAP auf jeden Fall schon lange nicht mehr bezeichnet. Auch ist die LSAP keine Partei, die einen Chef hat, der zwei Meter über allem thront und den anderen sagt, was sie zu tun haben. Wir werden zusammen und geschlossen die Wahlen angehen...
Lëtzebuerger Journal:Wir haben verstanden. Danke für das Interview.