Vertrauen bewahren. Interview de fin d'année du Premier ministre Jean-Claude Juncker

Revue: Herr Staatsminister, wie haben Sie Weihnachten verbracht?

Jean-Claude Juncker: Gemütlich, mit Freunden im nahen Ausland. Kaviar, Gänseleber und Austern hat es nicht gegeben. Ich liebe bodenständige Küche. Allerdings hat, genau wie im Sommer, ein Krieg dafür gesorgt, dass mich das Tagesgeschäft frühzeitig wieder in Beschlag nimmt.

Revue: Damit ist das Stichwort schon gegeben: Was wird das nächste Jahr bringen? Was erwartet uns?

Jean-Claude Juncker: Innenpolitisch stehen Wahlen an. Das ist eigentlich ein normaler Vorgang der Demokratie und insofern kein erschütterndes Ereignis. Wirtschaftlich müssen wir uns auf eine weitere konjunkturelle Rückentwicklung vorbereiten. Dass uns die amerikanische Finanzkrise zu schaffen machen würde, war schon 2008 voraus zu sehen. Wir wollten es bloß nicht gerne wahr haben.

Revue: Vielleicht weil man sich das Ausmaß der Krise gar nicht so richtig vorstellen konnte?

Jean-Claude Juncker: Das hat uns alle überrascht, genau wie die Schnelligkeit, mit der die Krise über uns hereingebrochen ist, und deren unmittelbare Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Daraus ergeben sich eine Reihe Zwänge für Luxemburg und für Europa.

Revue: Welche?

Jean-Claude Juncker: Wir Luxemburger müssen uns in Bescheidenheit üben. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir wegen der sehr geringen kritischen Masse unserer Wirtschaft überhaupt keinen Einfluss auf die künftige Entwicklung nehmen können. Wir können hierzulande kein Wachstum produzieren. Wie es bei uns weitergeht hängt auf Gedeih und Verderb von dem ab, was in Europa und in der Welt passiert. Spezifisch an der gegenwärtigen Wirtschaftskrise ist, dass sie weltweite Ausmaße angenommen hat. Bislang waren immer nur Teile der Welt von einer Krise betroffen. Entweder Europa, Asien oder Amerika. Diesmal ist die Krise generell. Deshalb müssen auch die Antworten für alle gelten. Bei uns ist das eine europäische Antwort. Die haben wir innerhalb der Eurogruppe auch gefunden.

Revue: Welche Rolle steht Luxemburg zu? Wo liegen für uns die Lösungen?

Jean-Claude Juncker: Luxemburg ist mehr als alle großen Länder von der Weltwirtschaftslage abhängig. Das betrifft unsere Importe genau wie unsere Absatzmärkte. Wir können keine klassische Wachstumspolitik betreiben, weil wir dafür zu klein sind. Das können bei dieser Krise übrigens auch die großen Länder wie Frankreich oder Deutschland nicht mehr im Alleingang. Es braucht eine europäische Position. Politik und Sozialpartner müssen die Verlangsamung überbrücken, die 2009 eintreten wird und die möglicherweise zur Rezession führen wird.

Revue: In Krisenzeiten ist mehr als sonst jeder sich selbst der nächste. Ihr Glaube an die europäische Solidarität zeugt von einem gewissen Optimismus.

Jean-Claude Juncker: Wir reagieren auch luxemburgisch und lassen die Menschen in unserem Land nicht im Regen stehen. Die geplante neunprozentige Steuerreduzierung wird die Kaufkraft steigern. Ursprünglich wollten wir die Steuern nur um sechs Prozent senken, angesichts der aktuellen Lage sind wir einen Schritt weiter gegangen. Darüber hinaus verdoppeln wir den so genannten Heizkostenzuschuss und verwandeln ihn in eine Teuerungszulage. Wir unterstützen die Betriebe, die Arbeitslose beschäftigen mit höheren Vergünstigungen als das, was bislang gesetzlich vorgesehen war. Die Bauspareinlagen werden von der Quellensteuer befreit. Die Mehrwertsteuer auf umweltfreundliche Produkte wird herabgesetzt und das Investitionsbudget aufgestockt.

Revue: Luxemburg hat bereits in der Vergangenheit viel investiert. Was brauchen wir noch und welche Reserven haben wir?

Jean-Claude Juncker: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann und darf Luxemburg nicht zurückrudern. Gefordert ist das Gegenteil. Wir gehen kurzfristig Arbeiten an, die erst längerfristig vorgesehen waren, um kleinen und mittleren Betrieben Beschäftigung und Einkommen zu sichern. Sie sind durch die Heftigkeit der Krise besonders bedroht. Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass sie verschwinden, denn sie werden nachher nicht wieder zu neuem Leben erweckt. Deshalb ist es wichtig, dass der Staat gerade jetzt investiert.

Revue: Welche Arten von Arbeiten sind besonders auf kleine Unternehmen zugeschnitten?

Jean-Claude Juncker: Zum Beispiel Energie sparende Maßnahmen in Privathäusern, die wir stärker fördern und unterstützen werden. Dann werden aber auch öffentliche Gebäude renoviert oder neu aufgebaut. Aus der Krise heraus ist der Plan entstanden, die Schiefergruben in Martelingen zu einem Museum auszubauen. Das Projekt bestand schon lange, seine Umsetzung war bislang nicht vorgesehen. Die Arbeiten werden wahrscheinlich 2010 in Angriff genommen. Wir werden aber auch die Luxemburger Schlösser und Burgen gründlich renovieren. Wir überprüfen, welche Schulen, Straßen, Brücken einer Generalüberholung bedürfen und nehmen für später geplante Sanierungen jetzt schon vor.

Revue: Auf die Gefahr hin, das zum Jahresende gestimmte Staatsbudget aus dem Gleichgewicht zu bringen?

Jean-Claude Juncker: Mit dieser Gefahr kann ich sehr gut leben. Es wird mit Sicherheit zu einem Staatsdefizit kommen. Dieses wird jedoch unter der Marke der drei Prozent des Bruttoinlandproduktes bleiben. Wir können außerdem vieles aus den bestehenden Reserven finanzieren. In gewisser Hinsicht machen wir aus der Not eine Tugend, indem wir unseren Betrieben jetzt Beschäftigung garantieren und dann gut gerüstet sind, wenn die Wirtschaft wieder anläuft. Eine Investition in die Zukunft ist auch der Ausbau der Breitbandübermittlung. Wir können, von unserer bescheidenen Warte aus gesehen, nicht anders reagieren, als wir es jetzt tun. Wir stehen dabei wesentlich besser da als unsere Nachbarländer, die kaum Reserven und deshalb auch wenig Investitionsmöglichkeiten haben. Dennoch haben die Länder der Eurogruppe beschlossen, rund 1,5 Prozent ihres Bruttoinlandproduktes für die Krisenbewältigung und Konjunktur stützende Programme zu mobilisieren. Wenn die europäischen und die amerikanischen Maßnahmen greifen, haben wir hierzulande eine Chance, die Krise zu meistern.

Revue: Sie haben letztes Jahr beim gleichen Interview davor gewarnt, die Investitionsfonds zu überziehen. Die Reserven seien nicht unerschöpflich.

Jean-Claude Juncker: Sie wurden im Laufe des vergangenen Jahres aufgestockt. Wir haben 2007 und 2008 vorsichtig gewaltet und verfügen deshalb über einen gewissen Handlungsspielraum. So falsch waren die Beschlüsse der Tripartite aus dem Jahr 2006, die nicht immer richtig verstanden wurden, also nicht, weil sie uns Rücklagen ermöglicht haben.

Revue: Wie sieht die Zukunft unseres großen Standbeins Bankenplatz aus?

Jean-Claude Juncker: Er ist resistenter als andere Finanzstandorte in Europa. Ich kann jedoch nicht ausschließen, dass er im nächsten Jahr weiter in Mitleidenschaft gezogen wird.

Revue: 2009 ist ein Wahljahr, das haben Sie zu Beginn unseres Gespräches bereits angedeutet. Was steht für die gegenwärtige Regierungsmannschaft bis dahin noch an?

Jean-Claude Juncker: Wir haben im letzten Jahr viel gesetzgeberische Arbeit geleistet, die unsere Gesellschaft weiterbringen wird. Vom Gesetz über die doppelte Staatsbürgerschaft erwarte ich mir einen Integrationsschub. Das veränderte Wahlgesetz, das getrennte Kandidaturen bei den Europa- und Nationalwahlen vorsieht, wird den Wahlprozess transparenter gestalten. Der Wohnungspakt wird die gemeinsamen Anstrengungen von Staat und Gemeinden auf diesem Gebiet fördern. Für 2009 steht noch die Schulreform an, die ich gerne vor den Wahlen über die parlamentarischen Hürden bringen würde.

Revue: Sie sind seit 1982 im Regierungsgeschäft. Sie erzielen bei den Umfragen Traumresultate. Ist der Wahlkampf noch immer spannend? Oder haben Sie mittlerweile andere Ziele?

Jean-Claude Juncker: Ich habe in den vergangenen 26 Jahren politisch noch nie so intensiv gelebt und gearbeitet wie in den letzten vier Monaten. Wir haben zwei Banken in extremis gerettet, wir haben unseren Staatshaushalt in letzter Minute dahingehend geändert, dass wir mehr Steuererleichterungen gewähren als ursprünglich vorgesehen. Der Krieg in Georgien im August hat deutlich gemacht, wie schnell Konfliktsituationen den Weg in den europäischen Alltag finden, wenn man nicht höllisch aufpasst. Wir haben kurzfristig eine institutionelle Krise verhindern können, die wir zu diesem Zeitpunkt nicht gebraucht hätten. Fünf Jahre lang so intensiv zu arbeiten wie jetzt, weiterhin so viel überlegen, entscheiden, verhandeln, in Bewegung setzen, würde ich nicht schaffen.

Revue: Politmüdigkeit?

Jean-Claude Juncker: Ich bin bei den nächsten Wahlen selbstverständlich wieder dabei. Allerdings ändert sich im Laufe der Jahre die Herangehensweise an die politische Herausforderung. Als junger Politiker freut man sich über ein gutes Wahlresultat, sieht es als Bestätigung der politischen Arbeit. Dieses Gefühl ändert sich mit der Zeit, es wird ersetzt durch die Zufriedenheit, das Richtige getan und Fehler vermieden zu haben. Anders gesagt: Die Euphorie über die Wahlergebnisse vergeht, nicht aber die Suche nach der größtmöglichen Zustimmung. Darüber hinaus genieße ich den unmittelbaren Kontakt mit den Menschen in Luxemburg, die mich auf der Straße ansprechen, die mir schreiben, mir ein direktes Feedback meiner politischen Arbeit geben. Ich erlebe Komplimente, genau wie Kritik. Es ist ein täglicher Vertrauensbeweis. Das kennen meine Kollegen im Ausland nicht.

Revue: Dieses Gespräch erscheint kurz ehe die Luxemburger auf dem Salon Vakanz ihre Reisen vorbereiten. Davon können auch Sie ein Liedchen singen.

Jean-Claude Juncker: Meine Reisen sind immer sehr kurz. Wenn ich Präsident Sarkozy besuche, dann dauert das fünf Stunden. Ich bin demnach morgens und ab dem späten Nachmittag wieder hier in meinem Büro anzutreffen. Auf der Liste der reisefreudigen Minister stehe ich bloß an achter Stelle...

Membre du gouvernement

JUNCKER Jean-Claude

Organisation

Ministère d'État

Date de l'événement

06.01.2009

Type(s)

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