"Überflüssig wie ein Kropf". Le Premier ministre au sujet de la liste de l'OCDE de centres financiers non-coopératifs

Pierre Leyers: Herr Staatsminister, jetzt ist Luxemburg doch noch auf einer Liste, wenn auch auf keiner Schwarzen, so doch auf einer Grauen.

Jean-Claude Juncker: Wir befinden uns auf einer Liste, deren Aufstellung gar nicht nötig gewesen wäre. Es handelt sich um eine faktuelle Liste, die eigentlich nur reproduziert, was Sache ist. Wir haben uns bereit erklärt, den OECD-Standard zu übernehmen, und ihn in Doppelbesteuerungsabkommen einfließen zu lassen. Nur blieb uns nicht genug Zeit, um die zwölf Abkommen auszuhandeln, die scheinbar nötig sind, um auf der "Weißen Liste" zu landen. Die von der OECD veröffentlichte Liste hat keine Relevanz, sie ist so überflüssig wie ein Kropf.

Pierre Leyers: Wie erklären Sie sich, dass dass Jersey, Guernsey und die Isle of Man plötzlich auf einer "Weißen Liste" auftauchen? Gerade diese Kanalinseln stehen doch im Ruf, "Steueroasen" zu sein.

Jean-Claude Juncker: Wie es aussieht, haben sie zwölf Doppelbesteuerungsabkommen nach OECD-Standard ausgehandelt.

Pierre Leyers: Was ist eigentlich so schlimm an einer "Grauen Liste"? Schließlich werden keine Sanktionen gegen Luxemburg verhängt.

Jean-Claude Juncker: Wir stellen die Führung dieser Organisation in Frage. Wir protestieren gegen die Art und Weise, wie die OECD diese Liste aufgestellt hat. Es geschah in völliger Intransparenz, und ohne die notwendigen Informationen an alle Mitgliedsstaaten, also auch an Luxemburg. Ich habe mich ausgiebig mit dem österreichischen Bundeskanzler und mit dem Schweizer Bundespräsident über diesen Punkt unterhalten und kann Ihnen versichern: Die OECD wird noch von uns hören!

Pierre Leyers: Diese Organisation scheint ein Instrument in der Hand einiger großer Staaten zu sein. Haben die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident ihre Versprechen, dafür zu sorgen, dass Luxemburg nicht auf eine Liste kommt, erfüllt?

Jean-Claude Juncker: In dem Maße wie diese Liste nicht schwarz ist, ja.

Pierre Leyers: Wie will Luxemburg bei der OECD protestieren? Aus der Organisation austreten?

Jean-Claude Juncker: Wir planen keine dramatischen Schritte, werden aber sehr deutlich unser Missfallen zeigen.

Pierre Leyers: Die Ausräucherung von Steueroasen war ja nur ein Punkt auf der Agenda des G20. Wie beurteilen Sie das Gesamtergebnis des Gipfeltreffens?

Jean-Claude Juncker: Die Ergebnisse stoßen auf breite Zustimmung der 16 Euro-Finanzminister. In den Beschlüssen zur Verbesserung der Finanzmarktkontrolle, in der Überwachung von Hedgefonds und in der Regulierung von Rating-Agenturen erkennen wir die Handschrift der Eurogruppe und der europäischen Union. Wir sind zufrieden, weil die europäische Position, die wir über Monate hin vorbereitet haben, Eingang in die Beschlüsse des G20 gefunden hat.

Pierre Leyers: Der Beschluss der G20, in absehbarer Zeit weitere Billionen Dollar in die kollabierende Weltwirtschaft zu pumpen, könnte zu einer schwer zu beendenen Verschuldung und zu steigender Inflation führen, befürchten einige Volkswirte.

Jean-Claude Juncker: Wir müssen die Nachfragelücke, die durch den Rückgang der Privatwirtschaft entstand, durch staatliche Interventionen auffüllen. Dafür müssen wir Schulden machen und Defizite verursachen. Sobald die wirtschaftliche Belebung wieder da ist, heißt es, so schnell wie möglich zur Haushalts-Konsolidierung zurückzufinden. Andernfalls besteht das Risiko, dass wir in eine Spiralbewegung aus Inflation und erhöhten Steuern hineingeraten, aus der es nur ganz schwierig ist, wieder heraus zu finden. Daher müssen wir den Monaten und Jahren nach der Krise schon jetzt so viel Aufmerksamkeit schenken wie der Krise selber.

Pierre Leyers: Der G20-Gipfel war kein Schlusspunkt. Wie sehen Sie die nächsten Schritte, die gemacht werden müssen?

Jean-Claude Juncker: Jetzt kommt es darauf an, die Entscheidungen, die getroffen wurden, so zügig und so gründlich wie nur möglich umzusetzen. Ferner ist es nötig, dass sich die Eurogruppe und die EU-Finanzminister intensiver mit den toxischen und illiquiden Aktiva beschäftigen, die die Bilanzen der Banken belasten. Solange wir keine Antwort auf dieses Problem finden, wird es schwer sein, das Vertrauen in die Märkte wieder herzustellen.

Pierre Leyers: Woran liegt es, dass es in der Eurozone noch keine Lösung für diese Probleme gibt?

Jean-Claude Juncker: Nicht nur die Eurozone, sondern auch die Amerikaner und die Engländer hat kein schlüssiges Konzept. Die wesentliche Frage, die sich stellt, ist, wie diese "bad assets" zu bewerten sind. Ferner muss geklärt werden, wer diese Rechnung bezahlen soll: Werden die Aktionäre in die Pflicht genommen, oder muss der Steuerzahler dafür gerade stehen.

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