Jean Asselborn au sujet des élections européennes

Jean Asselborn: Dass es trotzdem wichtig ist, dass es Kräfte gibt in Europa, im europäischen Parlament, die auch an die soziale Kultur Europas denken.

Wenn ich heute in den Agenturmeldungen lese, dass in Amerika Präsident Obama jetzt eine Krankenkasse, eine öffentliche Krankenkasse einsetzen will, wobei mehr als 50 Millionen Amerikaner nicht krankenversichert sind, dann müssen wir aufpassen [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Jeder sechste.

Jean Asselborn: Oder jeder sechste, ja. Muss man aufpassen, dass wirklich diese soziale Kultur, auch im europäischen Parlament, wirklich noch getragen wird.

Darum sage ich: mit Extremisten wird Europa, so wie auch Nationalstaaten, und Ihr seid ja gut platziert in Deutschland um das zu verstehen, nicht vorankommen.

Rolf Dieter Krause: Sie sagten gerade etwas was oft gesagt wird, dass das ein Problem der Europawahl sei, dass da keine Regierung daraus hervorgehe.

In der Tat, das ist so und Luxemburg wird selbst entscheiden wen es als Kommissar hierher schickt, genau so tun das alle anderen Länder auch.

Andererseits muss man sagen, der amerikanische Präsident geht auch nicht aus einer Parlamentswahl hervor, trotzdem gibt es eine Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum Kongress, die nicht schlecht ist.

Auch der französische Präsident wird nicht bei der Parlamentswahl gewählt, sondern ist ein mächtiger Mann auch ohne Parlamentswahl, weil er direkt gewählt wird.

Dieses europäische Parlament entscheidet ja nun einmal eine ganze Menge, und zwar Dinge die für uns wichtig sind. Ist es also eine Stimme mit der man einfach so spielen kann?

Jean Asselborn: Nein.

Rolf Dieter Krause: Doch wohl nicht?

Jean Asselborn: Sie haben total Recht.

Ich glaube, es sind ja jetzt viele Entscheidungen in Europa, die in den Ländern angewandt werden, die Direktiven, auf Deutsch weiss ich jetzt nicht wie das genau heisst, die Richtlinien, und auch Reglemente, das wird vom europäischen Parlament in sehr vielen Gebieten ja durch „Codécision“ mitentschieden [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Mitentscheidung.

Jean Asselborn: Durch Mitentscheidungsrecht des europäischen Parlamentes entschieden. Und das Mitentscheidungsrecht ist selbstverständlich grösser geworden, und mit Lissabon wird es noch grösser werden. Darum ist der Einfluss des Parlamentes sehr, sehr wichtig. Aber zu Ihrer Frage zurück.

Wenn jemand Sie fragt als Journalist der Europa kennt, oder mich als aktiver Politiker jetzt, was ist die Regierung von Europa? Dann kommt man, glaube ich, noch immer zur Schlussfolgerung, dass es der Rat ist, und der Rat ist ja zusammengesetzt von Leute die die nationalen Regierungen vertreten. Auch die Zusammensetzung der Kommission ist vor allem abhängig von den Resultaten in den nationalen Staaten, denn die designieren ja die Kommissare.

Aber wir müssen, glaube ich, davon wegkommen, dass nur Referenden eine richtige Debatte über Europa auslösen.

Diese Wahlen zum Europaparlament müssen, glaube ich, sehr viel höher angesetzt werden, sie müssen besser verständlich gemacht werden, was wirklich die Auswirkung dieser Abstimmung ist. Und das bringt man schlecht, glaube ich, noch immer sehr, sehr schlecht fertig in den einzelnen Ländern.

Rolf Dieter Krause: Halt, ich habe gesagt, die Luxemburger sind traditionnell gute Europäer. Was heisst gute Europäer? Sie sind sehr davon überzeugt, dass sie gewinnen in der Europäischen Union.

Das Verhältnis zwischen grossen und kleinen Staaten wird immer wieder thematisiert. Fühlen sich Länder wie Luxemburg wirklich noch bedroht von Ländern wie Deutschland, Frankreich, Grossbritannien?

Jean Asselborn: Also, um das einmal sehr, sehr plastisch und krass zu sagen. Wir sind ja Miterbauer der Europäischen Union, damit nicht mehr auf uns geschossen wird.

Luxemburg hat sehr viel gelitten in seiner Geschichte, weil Horden aus Nachbarländer kamen, und vor allem aus einem Land, und haben uns überfallen, haben unsere Freiheit geraubt, und [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Sie können das Land ruhig nennen, das war Deutschland.

Jean Asselborn: Es waren die Nazis, sagen wir so.

Darum waren wir ja, als Luxemburger, einer der ersten die wirklich versucht haben dieses Europa aufzubauen.

Wissen Sie, Luxemburg hat nach dem Zweiten Weltkrieg so viele Opfer gehabt, proportional gesehen, wie Russland. Und viele junge Menschen wurden in die Naziuniform gesteckt, und sie sind in Russland gefallen, oder sie kamen in russische oder andere Gefangenschaft. Das ist eine unheimlich grosse Wunde, die da geschlagen wurde, und darum war Luxemburg immer so aktiv, weil es an seine Zukunft gedacht hat. Es gibt keine luxemburgische Zukunft ohne Europa. So einfach ist das für uns.

Darum bin ich immer der Meinung, wenn Sie die Entwicklung sehen, dass die 6 Länder die Europa gegründet haben, Deutschland gross, Frankreich gross, Italien etwas kleiner, dann die drei Benelux-Länder Holland, Belgien und Luxemburg, dass wir immer bemüht waren, und das hiess ja eben damals auch Gemeinschaft, dass wir eine Gemeinschaft aufgebaut haben. Wir haben nicht das Intergouvernementale, d.h. also das direkte Verhandeln zwischen den Regierungen haben wir nicht an erste Stelle gesetzt, sondern das Gemeinschaftliche an erste Stelle.

Und Europa hat gezeigt, seit dem Anfang, dass gross, mittel und klein zusammen arbeiten kann. Darum würde es sehr, sehr schade sein, es würde wehtun, wenn wir jetzt wieder in eine andere Richtung ziehen würden.

Rolf Dieter Krause: Ich will noch einmal zu meiner Frage zurückkommen. Werden die Kleinen, laufen die Kleinen Gefahr in dieser EU untergebuttert zu werden von den Grossen, oder ist es genau umgekehrt?

Haben sie vielleicht eher als die Grossen begriffen, dass sie klein sind, und dass sie, wenn sie so unsere Art zu leben verteidigen wollen, dass man sich zusammenschliessen muss?

Jean Asselborn: Also, die Grossen sind ja, planetarisch gesehen, auch klein, sogar Deutschland, Frankreich und England [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Neben China jedenfalls.

Jean Asselborn: Ja. Es gibt meines Erachtens, sagen wir einmal, das Kräfteverhältnis das spielt. Also um es klar zu sagen, Berlin, London und Paris sind wichtiger als La Valetta, Tallin und Luxemburg, das ist eine Evidenz, darüber soll man überhaupt nicht diskutieren.

Was schlimm werden könnte ist, wenn die Grossen in der Europäischen Union, ich habe jetzt drei genannt, vielleicht sind es dann noch zwei dazu, oder drei dazu, wenn die den Pfad den man gehen muss, allein entscheiden würden, und alle anderen müssten hinterher watscheln. Da sehe ich zwei Gefahren.

Die erste Gefahr ist die Solidarität. Wenn innerhalb des Vereins Vereine entstehen, kommen Gruppierungen zustande, die dann die Solidarität in der Union brechen. Das ist das erste.

Und das zweite ist noch viel wichtiger. Wir sind hier in Brüsse. Brüssel ist die Hauptstadt der Europäischen Union. Wir müssen schauen, dass dieses Brüssel diese Europäische Union von diesem Ort hier vor allem, aber auch von anderen Orten, wie Luxemburg oder Strassburg selbstverständlich, aber von Brüssel aus zeigt, dass es ein „Player“ sein will auf dem Planeten, dass es fähig ist auch aussenpolitisch, mit den Amerikanern, mit den Russen, mit morgen den Chinesen, und anderen, zu bestimmen was Sache ist, zum Beispiel in Sachen Menschenrechte, oder in Sachen Rechtsstaatlichkeit.

Wenn diese Solidarität in Brüssel gebrochen wird, und es entsteht mehr Solidarität einzelner Mitgliedstaaten, zum Beispiel mit Washington, was nicht schlecht ist, aber wenn diese Solidarität mit Brüssel gebrochen wird, dann sind wir aussenpolitisch, bleiben wir ein Zwerg, und wir spielen keine Rolle auf dem Planeten.

Darum sage ich, nicht nur als kleines Land, sondern einfach als Europäer, sage ich, dass diese gemeinschaftliche Herangehensweise, diese Solidarität, die politische Solidarität, dass die bestehen bleiben muss. Wenn die gebrochen wird, dann geht der europäische, die Essenz des europäischen Geistes, geht verloren.

Rolf Dieter Krause: Die Szene zwischen grossen und kleinen Ländern hat ja zuletzt noch einmal eine Rolle gespielt, als es um die Bewältigung der Finanzkrise ging, und ich kann es Ihnen nicht ersparen, der deutsche Finanzminister die Steuerparadiese gebrandmarkt hat, und in Luxemburg das Gefühl war, hey wir sind da nicht so ganz fair behandelt worden. Warum eigentlich nicht?

Jean Asselborn: Herr Krause, ich will der Frage nicht ausweichen, aber geben Sie mir nur eine Chance zu sagen, was der europäische Rat beschlossen hatte.

Der europäische Rat hatte beschlossen, solidarisch in London beim G20 aufzutreten. Wir hatten den Schritt gemacht, als Luxemburger, als Belgier, als Österreicher, als Schweizer, drei aus der Europäischen Union, zu sagen, dass wir einverstanden sind mit der OECD, die OECD-Regeln zu akzeptieren. Darum hätte, glaube ich, und davon bin ich überzeugt, nicht diese Listengeschichte herauskommen dürfen [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Diese graue Liste auf der [wird unterbrochen]

Jean Asselborn: Das war diskriminatorisch für unser Land, sowie es diskriminatorisch war für Österreich, und auch für Belgien.

Darum, hier ist eine grosse Frage der Solidarität. Wenn grosse Länder, die selbstverständlich mehr Interessen mit China oder mit Brasilien haben, oder mit irgendeinem anderen Land auf der Welt als mit einem Land wie Luxemburg oder wie Österreich, wenn die Solidarität gebrochen wird, sind das schlechte Zeichen.

Was Peer Steinbrück angeht, wissen Sie, diese Geschichte mit Ouagadougou, ich bin überzeugt, dass er einen Witz machen wollte, aber es war ein schlechter Witz, denn herauskam, dass das erstens rassistisch ist, und zweitens für uns sehr herablassend.

Müntefering hat ja die Bemerkung gemacht mit den Soldaten, dass man früher Soldaten geschickt hätte. Ich habe lange mit ihm geredet, und er hat mir gesagt, es würde ihm Leid tun, wenn Irritationen entstanden sind.

Ich glaube, dass ein Deutscher, vor allem ein Deutscher, sehr, sehr gut aufpassen muss mit welchen Wörtern er über andere Länder urteilt.

Rolf Dieter Krause: Nur ein Deutscher?

Jean Asselborn: Vor allem ein Deutscher, wenn er von Soldaten redet, oder auch, sagen wir einmal, diskriminatorisch vorgeht. Nicht nur Deutsche aber vor allem Deutsche.

Ich weiss von meinem Freund Frank Steinmeier, dass er, er hat das Gespür um zu verstehen welche Verletzungen da geschlagen werden können. Das ist nicht nur für Luxemburg. Ich kann Ihnen sagen in der Schweiz, das könnte ein Schweizer Ihnen besser sagen, ist das auch nicht gut angekommen. Das ist weder gut für Europa, noch gut für Deutschland, noch gut für die kleineren Länder die um Deutschland liegen.

Darum, wir müssen jetzt diese Wahlen abwarten, wir haben Wahlen bei uns, es sind Wahlen in Deutschland, und dann muss wieder eine andere Musik spielen. Das ist wichtig, glaube ich. Ich sage noch einmal, nicht nur für Luxemburg, sondern für die Perzeption die wir haben von Europa.

In der Sache, Herr Krause, das ist ja das Schlimmste, sind wir uns ja total einig. Wir haben ja das gemacht, was man von uns verlangt hat. Und ich persönlich, und viele Leute in Luxemburg, sind froh, dass wir mehr Hygiene jetzt in dieses Bankgeheimnis hinein bekommen. Das ist absolut kein Problem für mich, dass wir das gemacht haben.

Wir sind gestossen worden darauf, das stimmt, aber wir haben das sehr schnell akzeptiert. Die Luxemburger sind kluge Leute, sie wissen wann es Zeit ist, und das haben wir verstanden, wir haben das gemacht, darum braucht man nicht mit solchen Kanonen zu schiessen, die eigentlich [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Also ich meine, dass in der Tat sich der deutsche Finanzminister ärgert, dass in anderen Staaten, sozusagen die Steuerhinterziehung, sagen wir einmal, erleichtert wird, dass das zum Geschäftsmodell gehört, dies kann man natürlich verstehen.

Auf der anderen Seite haben Sie gerade gesagt, der europäische Rat, also da wo Angela Merkel sass, Jean-Claude Juncker aus Luxemburg, Ihr Regierungschef, die haben beschlossen, keiner von uns kommt auf eine Liste. Und nun landeten dann plötzlich doch Länder auf der Liste, aber nur Länder die in London nicht dabei waren. Ist da was Tieferes passiert? Ist das ein Vertrauensbruch der da stattgefunden hat?

Jean Asselborn: Wissen Sie, ich habe mich mit eingesetzt für den Herrn Gurria, das ist ein Mexikaner der Generalsekretär, oder Direktor, ich weiss nicht, von der OECD ist. Die OECD war ja überhaupt nicht im Spiel [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: OECD muss man einmal sagen, heisst Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Jean Asselborn: Ja, und Entwicklung, ja. Der Sitz ist in Paris und [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Genau, und um die 24 wichtigsten Industriestaaten zu ermitteln.

Jean Asselborn: Da ist Luxemburg natürlich dabei.

Wir sind also Mitglied, aber wir wurden überhaupt nicht konsultiert. Aber das ist alles nicht schlimm.

Schlimm ist, dass Länder wie China und Brasilien nicht in London auf dem G20 eine Liste erstellt haben lassen, sondern die OECD wurde angewiesen diese Liste noch am selben Tag zu publizieren.

Auf dieser Liste sind über Nacht Channel Islands, Guernsey, Jersey, die waren plötzlich weiss wie Kreide. Diese Liste, wir kamen sehr schnell von der Hölle ins Fegfeuer. Diese Liste wurde ja grau, und alle anderen sind im Himmel jetzt.

Wir haben einen Auftrag bekommen, 12 nicht Besteuerungsabkommen abzuschliessen. Wir sind, wir haben schon 7, glaube ich, abgeschlossen zurzeit. Es ist also möglich das zu tun in sehr kurzer Zeit. Der politische Willen von uns ist da.

Aber wissen Sie, für mich ist das Schlimmste was geschah, auch wenn wir das verkraften werden, das Schlimmste war, dass hier nicht die europäische Solidarität gespielt hat, sondern dass man die nationalen Interessen, vor allem eines grossen Landes, wo ich den Namen jetzt nicht nenne, in der Europäischen Union, mehr zählte als eben diese Solidarität mit dem was beschlossen wurde auf dem europäischen Rat.

Rolf Dieter Krause: Sie haben jetzt die Aufgeregtheiten des Wahlkampfes. Sie haben am Sonntag Wahlen in Luxemburg, wir haben Europawahlen, im Herbst haben wir auch Bundestagswahlen. Dann muss man wieder zusammen arbeiten.

Wie wird sich die europäische Zusammenarbeit entwickeln in den nächsten Jahren?

Jean Asselborn: Also viel wird natürlich davon abhängen, wie wir das mit Lissabon fertig bringen. Lissabon hängt noch in der Schwebe, kein Mensch weiss [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Nehmen wir einmal den schlechten Fall an. Die Iren sagen wieder nein, oder irgendwer sonst, und wir kriegen das nicht. Was passiert dann?

Jean Asselborn: Sie haben mich vorher gefragt, was stellt ein kleines Land sich von Europa vor?

Wissen Sie, ein kleines Land wie Luxemburg hat nur Vorteile, wenn institutionell Europa so aufgestellt wird, dass die Regeln spielen. Die Regeln müssen spielen.

Rolf Dieter Krause: Gilt das nur für kleine Länder?

Jean Asselborn: Gilt auch für grosse, gilt aber viel mehr für kleinere und mittlere Länder, wie für grössere. Das heisst, die Regeln die bestehen, müssen spielen.

Darum bin ich überzeugt, dass mit Lissabon diese Regeln tiefer greifen werden, dass es einfacher werden wird Europa voranzubringen.

In der Substanz hängt alles vom politischen Willen ab. Die europäische Aussenpolitik wird wieder auf Konsens setzen, auch in Zukunft, so wie es jetzt ist. Das heisst ein Land kann unsere Relationen mit Amerika oder mit Russland blockieren. Das ist die Regel, das bleibt, das wird auch höchstwahrscheinlich so lange bleiben wie Europa zwei Länder im Weltsicherheitsrat hat.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Land wie Frankreich, oder wie England, aufgeben wird in der europäischen Aussenpolitik sich einzubetten in eine gemeinsame Position, die sie nicht teilen. Das wird so bleiben.

Darum, wissen Sie die Suche nach dem Konsens ist ja auch der Motor irgendwie Europas. Diese Suche nach dem Konsens, aber ein Konsens der die Solidarität und das Gemeinschaftliche oben hält, das muss wieder vorangetrieben werden.

Ich bin auch überzeugt, dass viel davon abhängen wird wie Europa die Krise bewältigen wird. Von Europa wird ja nicht nur das Soziale oder das Wirtschaftliche verlangt.

In unserer Präsidentschaft 2005 bin ich viel um die Welt gekommen. Von Europa wird vor allem erwartet, dass Europa es fertig bringt, neue Massstäbe zu setzen, überall auf der Welt, in Sachen Menschenrechte und in Sachen Rechtsstaatlichkeit zum Beispiel.

Und von Europa wird erwartet, dass wir das tun, was wir 2005 in New York beschlossen haben, die Armut um die Hälfte zu reduzieren, also die Millennium Goals einzuhalten. Das ist ein grosser Auftrag der Europa auch hat.

Rolf Dieter Krause: Aber ich meine, ein Problem ist, das zeigt sich ja jetzt in diesem Wahlkampf wieder.

Es gelingt ja offensichtlich nicht zu viele Menschen dafür zu interessieren, obwohl es eigentlich um das Schicksal der Menschen geht, was hier in Europa passiert.

So, geht Ihnen das eigentlich in Luxemburg auch so, dass da Ihre Wähler sagen, sag mal was machst Du da eigentlich in Brüssel?

Jean Asselborn: Ich glaube dass, es solche Wähler gibt, die glauben, man baue jetzt einen Zaun um Luxemburg, und dann geht alles wieder gut. Aber das ist ja Blödsinn.

Was wichtig ist in Luxemburg ist, dass wir trotzdem, glaube ich, überdurchschnittlich wissen, dass alles was sich ausserhalb von unseren Grenzen abspielt, sehr, sehr wichtig für unsere Zukunft eigentlich ist.

Und darum, wenn Sie mich so fragen über Europa, sehen Sie was sehr, sehr negativ ist, wenn man sieht in der tschechischen Republik, in Polen, in den östlichen Ländern, dass die Wahlbeteiligung, nicht bei Europawahlen, sondern bei nationalen Wahlen, manchmal unter 40% liegt. Das ist etwas, was ja demokratisch, wenn man das analysiert, sehr, sehr schwer zu verstehen ist [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Ist es nicht idiotisch, dass ausgerechnet die Institutionen der EU, die demokratischste ist, das ist das Europaparlament, dass die gewissermassen jetzt abgestraft wird mit niedriger Wahlbeteiligung dafür, dass die Bürger manchmal das Gefühl haben nicht so [wird unterbrochen]

Jean Asselborn: Wir haben in Luxemburg ein gutes System mit Griechenland und mit Belgien: wir müssen wählen gehen!

Und ich weiss nicht, ob es das schlechteste ist, denn wenn jeder wählen gehen muss, haben die Extremisten und die Falschspieler viel weniger um anzupacken, viel weniger um sich zu entwickeln als wenn jeder Mensch in einem Land seine Wahlpflicht erfüllen muss. Und wir haben damit eine sehr gute Erfahrung gemacht, und es wäre vielleicht zu überlegen, ob das nicht eine Lösung wäre.

Rolf Dieter Krause: Es wäre zumindest eine Bürgerpflicht. Was wird passieren wenn man nicht wählen geht?

Jean Asselborn: In Luxemburg? Also man bekommt nicht, man wird nicht gehängt dafür. Man kann eine Strafe bekommen. Aber was macht die [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Kriegt man eine Strafe?

Jean Asselborn: Ja, man bekommt eine Strafe. Aber, nichts desto trotz die Menschen wissen, dass sie wählen gehen müssen, und sogar bis zum Alter von, ich glaube jetzt haben wir bis 72 oder 75 Jahre. Die Briefwahl ist aufgemacht worden für viele Menschen die nicht wählen können, oder nicht da sind. Das haben wir aufgemacht in den letzten Jahren. Aber das ist schon eine gute Sache. Damit lösen wir das Problem.(ënnerbrach)

Rolf Dieter Krause: Und wenn einer gar nicht wählen will, was macht er dann?

Jean Asselborn: Wenn er gar nicht wählen will, hat er zwei Möglichkeiten. Er geht nicht, und er lässt es darauf ankommen, oder er ja, das sage ich lieber nicht [wird unterbrochen]

Rolf Dieter Krause: Er kann auch durchstreichen, oder die Belgier machen manchmal Beschimpfungen auf die Wahlzettel

Jean Asselborn: Wir haben die Votes blanc, also die weissen Zettel, und dann haben wir Zettel die ungültig sind. Manchmal wird, ja, wird darauf geschrieben.

Rolf Dieter Krause: Aber zumindest kann man nicht einfach ein Strandgänger sein, es ist mir egal, sondern man muss sich entscheiden ob man wählen will, wen man wählen will, und auch wenn man gar nichts wählen will [wird unterbrochen]

Jean Asselborn: Ganz richtig.

Rolf Dieter Krause: Man muss eine Entscheidung treffen.

Jean Asselborn: Man muss eine Entscheidung treffen. Und das, glaube ich, ist trotzdem, aus unserer Erfahrung, national und auch für das Europaparlament, das Richtige.

Wissen Sie, wir haben nur 6 Abgeordnete im europäischen Parlament, es sind 750 glaube ich, aber Luxemburg ist ja bekannt, sagen wir einmal, überproportional manchmal Einfluss zu haben, wenn man das in Beziehung setzt zu seiner Grösse, oder zu seiner Einwohnerzahl. Das kommt ja auch daher, dass wir, die Erfahrung die wir gemacht haben nach dem Zweiten Weltkrieg, dass wir uns komplett investiert haben in Europa, und ich hoffe, dass noch mehr Länder diesem Beispiel folgen.

Rolf Dieter Krause: Sie haben eine grosse Koalition wie wir, was werden wir nach der Wahl in Luxemburg haben?

Jean Asselborn: Das hängt alles vom Wähler ab. Bei uns macht man nie eine Aussage über Koalitionen vor der Wahl.

Rolf Dieter Krause: Der Ministerpräsident heisst entweder Jean-Claude Juncker oder Jean Asselborn.

Jean Asselborn: Nein, nein, das ist an den Luxemburgern zu entscheiden.

Rolf Dieter Krause: Okay, ich danke für das Gespräch.

Membre du gouvernement

ASSELBORN Jean

Date de l'événement

04.06.2009

Type(s)

gouv:tags_type_event/interview