"Die Kommission leidet dramatisch an Profillosigkeit", Nicolas Schmit au sujet du référendum en Irlande sur le traité de Lisbonne, de la présidence de la Commission européenne et de la dernière réunion du Conseil européen

Tageblatt: Über was werden die Iren im Oktober abstimmen. Nur über den Lissabon-Vertrag?

Nicolas Schmit: Ich meine, dass im Prinzip nur über den Lissabon-Vertrag abgestimmt wird. Ein Referendum ist jedoch auch mit einer Atmosphäre verbunden. Beim ersten Votum herrschte in Irland eine wirtschaftliche Euphorie. Die ist jedoch verschwunden. Irland ist eines jener europäischen Länder, die am meisten von der Wirtschaftskrise betroffen sind. Da geschieht jetzt auch eine Rückbesinnung auf die Wichtigkeit einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union und der Eurogruppe, und den Schutz, den die EU bietet. Daher sieht es so aus, als ob die Iren dieses Mal bereit seien, den Vertrag gutzuheißen.

Tageblatt: Was Dublin an Rechtsgarantien von den anderen 26 EU-Staaten verlangte wurde doch vorher nicht infrage gestellt. Was haben die Iren nun davon?

Nicolas Schmit: Ich meine, diese Rechtsgarantien sind eher eine psychologische Sache, um zu verstehen, warum die Iren das erste Mal Nein gesagt haben. Es sind zudem Garantien, die sie zum Teil zumindest bereits einmal erhielten, nach ihrem Nein zum Nizza-Vertrag. Da sind aber auch gesellschaftspolitische Aspekte, auf denen die Iren bestehen wie etwa die Abtreibungsfrage. Obwohl der Vertrag hier nichts Fundamentales ändert. Da jedoch mit diesen Themen die Nein-Kampagne geführt wurde, ist es wichtig, dies für die Iren klarzustellen.

Tageblatt: Wenn das zweite Referendum in Irland bereits Anfang Oktober abgehalten wird, kann der im selben Monat stattfindende EU-Gipfel den Lissabon-Vertrag dann früher in Kraft setzen?

Nicolas Schmit: An sich setzt nicht der Gipfel den Vertrag in Kraft. Dies geschieht, wenn alle Länder den Ratifizierungsprozess abgeschlossen haben. Dann ist eine Frist von einigen Wochen vorgesehen. Je nachdem, welches Datum gewählt wird, kann es sein, dass im Oktober oder bald danach der Lissabon-Vertrag in Kraft tritt. Das setzt jedoch voraus, dass sowohl der tschechische als auch der polnische Präsident den Vertrag unterzeichnen. Wir wissen aber, dass mit dem tschechischen Präsidenten immer eine Überraschung möglich ist.

Tageblatt: Können die britischen Konservativen überhaupt noch etwas an ihrer Ratifizierung ändern, so wie es deren Parteichef David Cameron verspricht?

Nicolas Schmit: Wenn der Vertrag vor den britischen Wahlen in Kraft ist, sehe ich kaum eine Möglichkeit dazu. Es würde ohnehin eine totale Krise hervorrufen, wenn die Briten ihre Ratifizierung zurückziehen wollten. Das ist so nicht vorgesehen. Die Briten würden hinter ihr Wort und das Prinzip 'paeta sunt servanda' gehen. Wenn der Vertrag jedoch noch nicht in Kraft getreten wäre, könnte die Situation durchaus kritischer werden. Aber ich gehe davon aus, dass der Vertrag vor den britischen Wahlen in Kraft ist. Es wird kaum damit gerechnet, dass diese Wahlen noch in diesem Jahr stattfinden werden. Man muss zwar sagen, dass der Sieg der Konservativen und das, was von ihnen angekündigt wird, nichts Gutes verheißt. Das wird die Arbeit in der EU nicht einfacher machen, gerade in einer Zeit, in der mehr Solidarität und mehr Aktionsmöglichkeiten absolut notwendig wären.

Tageblatt: José Manuel Barroso war vor fünf Jahren bei der Suche nach einem neuen EU-Kommissionspräsidenten eine Notlösung. Bleibt er wegen Mangel an alternativen Kandidaten oder aus Bequemlichkeit, da die 27 sich nicht über einen Nachfolger streiten wollten?

Nicolas Schmit: Ich habe ein wenig das Gefühl, als habe sich gegenüber der Situation von vor fünf Jahren nicht alles geändert. Auch dieses Mal kann die Kandidatur Barrosos niemanden so richtig begeistern. Obwohl er die politische Unterstützung der 27 hat. Es scheint aber auch so zu sein, dass sich bis jetzt keine andere Kandidatur hervorgetan hat. Damit ist es gut möglich, dass Herr Barroso dieses zweite Mandat erhält. Er täte aber gut daran, diesem mehr Profil zu verleihen als seinem ersten Mandat. Die Kommission leidet dramatisch an Profillosigkeit. Sie hat die Mission, die sie eigentlich von den Verträgen her hat, der dynamische Teil der EU zu sein, ihre Initiativmöglichkeiten voll auszuspielen, mehr schlecht als recht in den letzten fünf Jahren ausgeübt.

Tageblatt: Die Sozialisten im Europäischen Parlament fordern für eine Zustimmung zu Barroso, dass dieser sich zu einer sozialeren Politik der Kommission verpflichten müsste. Ist das durchsetzbar?

Nicolas Schmit: Die Sozialisten haben recht, eine Kandidatur Barrosos nicht ohne Bedingungen zu akzeptieren. Die Politik von Herrn Barroso der übertriebenen Liberalisierung hat zumindest ihre Grenzen gezeigt. Und sie hat Europa auch nicht bei den Bürgern populärer gemacht. Es geht nun darum, dem europäischen Projekt eine neue Orientierung zu geben und da spielt natürlich auch die soziale Dimension eine Rolle.Jetzt muss man aber wissen, dass es im Europäischen Parlament keine klaren Mehrheiten gibt. Die Sozialisten sind daher schon, obwohl sie bei den letzten Wahlen geschwächt wurden, ein schwer umgehbarer Partner.

Tageblatt: Der Europäische Rat beschäftigt sich zunehmend mit Themen der Fachminister wie den Problemen der Milchbauern oder der Finanzmarktaufsicht. Wird die Entscheidungsfindung in den einzelnen Ministerräten Immer schwieriger?

Nicolas Schmit: Was die Problematik der Milchbauern angeht, hat man den Eindruck, als ob der Rat paralysiert sei. Er stößt natürlich auch auf eine total unflexible Kommission, die nicht wahrhaben will, dass der Agrarbereich und insbesondere der Milchsektor in einer ernsthaften Krise steckt, die die Existenz von Zigtausenden Milchbauern infrage stellt. Man erschreckt, wenn man diese radikal-liberale Haltung der (EU-Agrarkommissarin, Anm.) Frau Fischer-Boel hört. Die scheint auch nicht auf viel Opposition zu stoßen. Aber die Position der Kommission, dass nicht mehr an der Abschaffung der Quotenregelung gerüttelt wird, ist trotz allem schwer zu verstehen.Dann bleibt immer der Europäische Rat als Appell-Instanz. Das ist zwar nicht total anormal, zeigt aber eine zunehmende Schwächung der Räte und eine Konzentration der Macht beim Europäischen Rat. Wobei ich aber anfügen muss, dass das, was auf dem EU-Gipfel zu den Milchbauern entschieden wurde, die Situation nicht fundamental verbessert. Eine schnelle Marktanalyse zur Milch zu beantragen, bedurfte nicht einer Entscheidung des Europäischen Rates. Was die Finanzaufsicht anbelangt, hatten wir ein britisches Problem, da diese nicht mit den vorliegenden Vorschlägen einverstanden waren. Auch da wurde eine Kompromisslösung gefunden.

Tageblatt: Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker meinte, die Entscheidungen des Gipfels zur Bankenaufsicht seien nicht ausreichend ambitiös. Wie sehen Sie das?

Nicolas Schmit: Es ist ein Kompromiss zwischen jenen, die eine solidere Finanzaufsicht gestalten wollen, mit allen Garantien, um keine Blasen mehr entstehen zu lassen, und den Briten, die weniger Kontrolle wollen und dies auch aus dem Blickwinkel der City betrachten, da dort eine ganze Reihe von Produkten entwickelt wurden, die Teil der aktuellen Krise sind. Ich würde sagen, dass das, was festgehalten wurde, ein klarer Fortschritt ist. Wichtig ist, dass Europa sich entscheiden kann, damit überhaupt so ein europäisches System der Finanzaufsicht schnellstens entsteht.

Tageblatt: Hat sich Luxemburg bereits über die Person seines EU-Kommissars entschieden?

Nicolas Schmit: Ich habe bisher nichts über eine formelle Kandidatur gehört. Es haben sich aber verschiedene Leute ins Gespräch gebracht. Ich nehme an, dass das auch Teil der laufenden Koalitionsgespräche wird.

Membre du gouvernement

SCHMIT Nicolas

Date de l'événement

26.06.2009

Type(s)

gouv:tags_type_event/interview