Jean Asselborn au sujet de l'élection des personnalités qui sont à la tête des institutions européennes

Bettina Klein: Lassen Sie uns mit der Personalie Barroso beginnen. Die Abstimmung im Europaparlament sollte heute stattfinden, sie ist verschoben worden auf September. Einen lustigen Vorschlag haben wir gerade gehört von Daniel Cohn-Bendit, halten auch Sie Barroso für einen geeigneten Frühstücksdirektor?

Jean Asselborn: Ich bin nicht Parlamentarier. Ich war dabei, als Barroso von den 27 Ländern nominiert wurde oder vorgeschlagen wurde. Ich frage mich wirklich, ob das eine gute Idee war, zu diesem Zeitpunkt dem Parlament diesen Vorschlag zu machen. Wenn man heute ins Europaparlament hineinhorcht, dann hört man, dass 80 Prozent der Liberalen, sehr viele Sozialdemokraten, fast 100 Prozent der Grünen bestimmt, auch in der EVP gibt es Zweifel mit diesem Vorschlag. Ich glaube, dass keiner ja will, dass der Präsident der Kommission gewählt wird mit Stimmen der Europaskeptiker und der Nationalisten. Die Kommission - und Cohn-Bendit hat das vielleicht ein wenig extravagant gesagt - darf wirklich nicht das Sekretariat des Europäischen Rates werden. Die Kommission ist eigentlich der Garant der europäischen Integration, und der Präsident hat Sorge zu tragen, dass alle 27 am Tisch sitzen, alle mitreden, alle mit entscheiden. Der Kommissionspräsident muss auch, glaube ich, in verschiedenen Phasen die Großen bremsen und die Mittleren und die Kleinen muss er, wenn es nötig ist, muss er Fürsprecher sein. Barroso, glaube ich, muss an seinem Profil schärfen, wenn das im September soll über die Bühne gehen.

Bettina Klein: Das heißt, Ihr Argument ist nicht nur ein machttaktisches, dass ein Kommissionspräsident eine möglichst feste und solide Mehrheit im Parlament haben sollte, sondern Sie teilen auch die Kritik an der Person Barrosos selbst?

Jean Asselborn: Also, damit wir uns gut verstehen, ich habe in den letzten fünf Jahren in verschiedenen Situationen gesehen, dass der Kommissionspräsident oder die ganze Kommission mir viel zu nahe an den Positionen der Großen im Europäischen Rat sagen wir mal angeheftet war [wird unterbrochen]

Bettina Klein: Inwiefern, was meinen Sie damit?

Jean Asselborn: Barroso, oder auch der Präsident der Kommission, muss den Reflex haben, dass wirklich die Kommission der Garant ist der europäischen Integration und nicht Interessen, die vor allem den Großen in den Kram passen. Das ist das Problem. Ich bin auch überzeugt, dass wir vielleicht in der Europäischen Union in der institutionellen Diskussion einmal zur Schlussfolgerung kommen, dass vielleicht der Kommissionspräsident nur in einem Amt soll bestätigt werden, denn die Wiederwahl selbstverständlich auch als Kommissionspräsident neigt dazu, dass man immer versucht, dann auch zu gefallen. Und wenn man gefällt, gefällt man öfter den Großen als den Mittleren oder den Kleineren, und man macht dann Fehler.

Bettina Klein: Können Sie das noch etwas mehr konkretisieren? Inwiefern hat sich Barroso mehr für die größeren denn für die kleineren Staaten eingesetzt?

Jean Asselborn: Ich will das jetzt nicht, sagen wir mal, extrapolieren. Ich habe in verschiedenen Situationen gesehen, dass zum Beispiel in der Anfangsphase, als diese Mittelmeerunion aufgebaut werden sollte, hat Barroso sich ganz klar nicht dagegen entschieden, am Anfang jedenfalls, dass wenn in der Europäischen Union eine Initiative ergriffen wird, dass dann alle 27 am Tisch zu sitzen haben und nicht nur die, die ein verschiedenes oder ein regionales Interesse haben. Manchmal habe ich darauf gewartet oder manchmal habe ich festgestellt, dass er viel zu spät reagiert hat.

Bettina Klein: Sie haben gerade gesagt, Sie würden Barroso empfehlen, dass er bis zu seiner Wahl oder möglichen Abstimmung über ihn im Europaparlament an seinem Profil schärft. Was genau meinen Sie damit?

Jean Asselborn: Ich meine, dass wenn er vor die Fraktionen tritt, dass er sich engagieren muss, das zu sein, was er zu sein hat als Präsident der Kommission, nämlich die Integration, die europäische Integration vorantreiben. Und da muss er, glaube ich, nicht nur Reden halten, sondern er muss sich fix und viel intensiver engagieren, das zu verfolgen.

Bettina Klein: Womit zum Beispiel? Also was kann er denn bis zum September noch tun, um einen ganz anderen Eindruck von seiner Person, von seiner Arbeit entstehen zu lassen?

Jean Asselborn: Also, Madame Klein, ich bin jetzt nicht der Manager von Barroso, ich sage Ihnen nur, was Sie als Journalist wissen, was ich auch weiß, ist, dass es zurzeit nicht evident ist, dass der Kommissionspräsident oder dass Herr Barroso als Kommissionspräsident eine Chance hat, gewählt zu werden. Und wir wollen ja nicht, dass eine große Gruppe oder die größte Gruppe im Europäischen Parlament plus sagen wir die Europaskeptiker, die Nationalisten, dass das eine Mehrheit ergibt. Es genügt doch noch nicht, das stimmt, aber hier muss Barroso wissen, dass er sich engagieren muss und nicht nur engagieren muss gegenüber den Großen, sondern dass er sich engagieren muss, wirklich die europäische Integration, wie ich gesagt habe, viel stärker zu verteidigen.

Bettina Klein: Halten Sie es noch für eine Option, dass die Staats- und Regierungschefs diesen Vorschlag wieder zurückziehen?

Jean Asselborn: Also ich glaube, Elmar Brok hat recht, diese Wahl fällt ja dann genau vor das Referendum in Irland, was ja am 2. Oktober angesetzt ist, und das Bild, das dann Europa abgeben würde, wird bestimmt nicht das beste sein, wenn hier eine Kakofonie entsteht. Aber man muss wissen, dass hier in dieser Personalie es nicht um Herrn Barroso als Person geht, es geht um die Konzeption, die wir uns machen, von der Europäischen Kommission. Und da fehlt etwas. Da fehlt etwas, das ist ganz klar. Und ich bin nicht sicher wirklich, dass die Proposition Barroso so einfach geschluckt wird, wenn er sich nicht ganz, ganz fest und vielleicht auch mehr im Detail engagiert, was seine Pläne für die Zukunft sind.

Bettina Klein: Lassen Sie uns auf eine andere Personalentscheidung blicken, die gestern gefallen ist: Jerzy Busek ist neuer Europaparlamentspräsident. Erwarten Sie, dass er andere Akzente setzen wird als sein Vorgänger Hans-Gert Pöttering?

Jean Asselborn: Ja, Sie haben gesagt, es ist eine neue Ära angebrochen, ich würde das ein wenig herunterstufen. Es ist ein historischer Moment effektiv, dass eine osteuropäische Persönlichkeit an die Spitze einer wichtigen europäischen Institution kommt. Es ist ein Stück wieder weg von dieser Einteilung in Ost und West in Europa, es ist vor allem aber auch, glaube ich, gut für das politische Selbstbewusstsein Polens. Es wird jetzt eine Normalität, dass nicht nur Franzosen, Briten, Deutsche, Spanier und so weiter an der Spitze von EU-Institutionen sind, sondern Menschen eben aus den Ländern, die zu uns gestoßen sind in den letzten Jahren. Das hilft, glaube ich, vor allem Polen, sich nicht nur mit defensiven Positionen Gehör zu verschaffen, auch gegenüber dem größten Land in der Europäischen Union, auch gegenüber Deutschland. Es ist ja manch eine Persönlichkeit, die eine Biografie hat. Er hat gestern gesagt, er würde sich einsetzen für die Grundrechte, für die Rechte der Minderheiten. Interessant ist ja auch, dass er Protestant ist, also glaube ich, dass er in diesem katholischen Polen sehr viel auf die politische Ratio setzen wird.

Bettina Klein: Monsieur Asselborn, lassen Sie uns noch einen Blick auf die deutsche Innenpolitik werfen. Ich würde gerne mal vorstellen, was der CSU vorschwebt mit Blick auf das Begleitgesetz für den Lissabon-Vertrag, das nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes ja neu entstehen muss. Horst Seehofer hat gestern gesagt, Bundestag und Bundesrat sollten die Regierung binden können in ihren Entscheidungen mit Blick auf die EU in wichtigen Fragen. Er hat auch gesagt, Ausnahmeregelungen sollte es geben können. Das ist doch eine schöne Idee eigentlich im Sinne der Demokratie, oder nicht?

Jean Asselborn: Also zuerst möchte ich sagen, dass es ja nicht das Problem ist, das Urteil ist klar, es ist kein Verstoß, Begleitgesetz. Das Problem ist, glaube ich, dass diese Einstellung auch der Richter, wo ich komplett einverstanden bin mit Joschka Fischer zum Beispiel, wenn er sagt, es ist leicht rückwärts gewandt im Geiste.

Bettina Klein: Er hat das Urteil kritisiert, ja.

Jean Asselborn: Das steht mir nicht zu als Luxemburger, das zu tun. Aber was ich machen muss als Europäer, ist, vielleicht drei Dinge unterstreichen. Das Erste ist: Wissen Sie, die deutsche Präsidentschaft, Frau Merkel und Außenminister Steinmeier, haben 2007 in der deutschen Präsidentschaft sehr, sehr massiv sich eingesetzt für diesen Vertrag, ohne diesen Einsatz gäbe es keinen Lissaboner Vertrag, und das ist ein Kind auch der deutschen Bundesregierung. Das Zweite ist, es wird hier ein Zeichen jetzt gesetzt. Wenn man, sagen wir mal, jetzt die Menschen oder die Politiker, die glauben, man könnte mit dem Spruch der Richter Ausflüge machen in die Europaskepsis sowohl in der Substanz wie auch zeitlich gesehen, dann geht man ein Risiko ein.

Bettina Klein: Mit Blick auf die Uhr, Monsieur Asselborn, eher Skepsis bei Ihnen bei dem, was die CSU fordert?

Jean Asselborn: Ja. Es ist Skepsis, Deutschland ist die Lokomotive in der Europäischen Union. Was Deutschland jetzt macht, wird einen großen Einfluss haben auf Irland. Europapolitik, um das abzuschließen, glaube ich, darf nicht Opfer werden nationaler oder regionaler Positionskämpfe. Darum bin ich auf der Seite von denen, die wirklich sich einsetzen, dass jetzt zeitlich gesehen und auch in der Substanz sehr schnell [wird unterbrochen]

Bettina Klein: Zeitlich gesehen müssen wir jetzt direkt zum Schluss kommen. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch. Das war Jean Asselborn, der Außenminister Luxemburgs.

Membre du gouvernement

ASSELBORN Jean

Date de l'événement

14.07.2009

Type(s)

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