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"Die Regierungen machen die Menschen irre", Jean-Claude Juncker au sujet de mesures politiques pour résoudre la crise de la dette publique en zone euro
Jean-Claude Juncker: Der erste Punkt ist, den Bericht der Troïka abzuwarten, jener Männer also, die Europäische Union, Zentralbank und Internationaler Währungsfonds entsandt haben, um die Lage in Griechenland vor Ort zu beurteilen.
Handelsblatt: Wie wird der Bericht ausfallen?
Juncker: Ich sagte ja: abwarten. Wenn der Bericht feststellt, die Griechen liegen völlig außer Plan, und es ist nicht gesichert, dass sie ihre Schulden zurückzahlen, dann kann der nächste Kredit nicht fließen.
Handelsblatt: Dann wäre es also nichts mit einem Plan. Aber wahrscheinlich wird die Troïka ja noch einmal zähneknirschend sagen: Gut, es geht noch mal. Die acht Milliarden Euro würden also fließen. Was passiert dann?
Juncker: Es stehen uns spannende Tage bevor. Wir müssen uns angesichts der Einlassungen der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds und der EU-Kommission über die Tragfähigkeit der griechischen Schulden sehr intensiv unterhalten. Wenn Elemente in diesem Troïka-Bericht auftauchen, die die Tragfähigkeit der griechischen Schuldenlast auf Dauer in Frage stellen, muss man sich mit der Frage beschäftigen, wie man die griechischen Schuldenstände über eine Beteiligung des Privatsektors hinaus besser gewährleisten kann.
Handelsblatt: Mit einem Schuldenschnitt?
Juncker: Das kann man nicht mit Schlachtrufen tun, nicht mit schnellen, publikumswirksam klingenden Parolen. Das muss man aufgrund eingehender Überlegung tun, wie sich Nachfolgeschäden begrenzen lassen.
Handelsblatt: Das klingt jetzt aber schon ein wenig sibyllinisch. Plädieren Sie gegen einen harten Schnitt und flur eine sanfte Umschuldung?
Juncker: Sie werden von mir in diesem Punkt keine konkretere Aussage bekommen. Das Handelsblatt wirft mir ja vor, ich sei zu geschwätzig. Sie brauchen an dieser Stelle also nicht weiter zu bohren.
Handelsblatt: Aber haben die Bürger nicht allmählich ein Recht darauf, statt immer neuer Verklausulierungen konkrete Lösungen der Euro-Schuldenkrise präsentiert zu bekommen?
Juncker: Würde ich Ihre Frage konkreter beantworten, hätte dies erhebliche Folgen an den Finanzmärkten. Sie bringen mich in eine Zwickmühle. Beantworte ich die Frage aus gutem Grund nicht, sagen Sie, ich sage den Menschen nicht die Wahrheit. Was ist Wahrheit?
Handelsblatt: Lassen Sie uns auf den Zehn-Punkte-Plan zurückkommen. Sie haben die Beteiligung des Privatsektors angesprochen. Da geht es um die Banken. Troïka-Bericht, Schuldenschnitt, Rekapitalisierung der Banken - ist das Punkt drei Ihres Plans?
Juncker: Kein Kommentar.
Handlsblatt: Aber die Rekapitalisierung der Banken war doch das Thema, das Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Sarkozy am Sonntag bei ihrem Treffen in Berlin diskutiert haben. Sind Sie zufrieden mit dem, was dabei herausgekommen ist?
Juncker: Ich habe das mit Frau Merkel schon am Freitagmorgen so besprochen.
Handelsblatt: Das heißt, Frau Merke! hat sich an Ihre Anweisungen gehalten?
Juncker: Nein, es hat sich ergeben, dass ihre und meine Gedankengänge so zusammenliefen, dass dies auch Herrn Sarkozy ohne Probleme zu vermitteln war.
Handelsblatt: Machen Sie eigentlich mit Frau Merke! aus, was wirklich Sache ist, bevor die Kanzlerin sich mit Sarkozy trifft?
Juncker: Wir reden miteinander.
Handelsblatt: Stört Sie manchmal die deutsch-französische Krisendiplomatie?
Juncker: Mich stört überhaupt nicht, dass Deutsche und Franzosen intensiv miteinander reden und auch zu gemeinsamen Beschlüssen kommen. Es ist Europa nie gutgegangen, wenn Deutschland und Frankreich sich auf Dauer nicht verständigen konnten. Wir hätten nur gerne, dass man sich an die Regeln hält. Nicht alles, was Deutschland und Frankreich verabreden, wird auch sofort Beschlusslage in der Europäischen Union. Wenn Sie die letzten zwölf Monate Revue passieren lassen, sind etwa 70 Prozent der deutsch-französischen Vorschläge nicht entscheidungsreif geworden.
Handelsblatt: Das liegt an Ihnen?
Juncker: Nein, nein, das liegt einfach an falschen Entscheidungen, die angepeilt wurden.
Handelsblatt: Jetzt müssen wir aber wirklich auf den Zehn-Punkte-Plan zur Lösung der Euro-Schuldenkrise kommen!
Juncker: Um Ihnen die Freude zu machen. Erstens: nächste Tranche, falls möglich. Zweitens: Sicherstellung der Tragfähigkeit der griechischen Schulden, sonst müssen wir über andere Schritte nachdenken, über die wir nur endgültig verfügen, wenn alle Folgen der Schritte auch für die anderen, auch außerhalb Europas, bedacht worden sind. Drittens: strikte Fortsetzung des Haushaltskonsolidierungskurses, also automatische Sanktionen bei widerholten Haushaltsverfehlungen. Viertens: ein Fahrplan in Richtung Bankenrekapitalisierung. Dabei müssen die unterkapitalisierten Banken zunächst versuchen, sich an den Märkten zu refinanzieren. Gelingt das nicht, müssen die Staaten sich überlegen, ob sie einspringen können, um den Banken das notwendige Kapital zur Verfügung zu stellen.
Handelsblatt: Das geht nur mit Steuergeldern.
Juncker: Ja. Deswegen dürfen wir, wenn wir das tun, auch nicht einfach Geld über die Theke schieben. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass diejenigen, die Kapital zur Verfügung stellen, in welcher Form auch immer, sich in den Entscheidungsorganen dieser Banken wiederfinden - im Aufsichtsrat, im Verwaltungsrat, im Management. Und dass wir an den Gewinnen beteiligt werden. Luxemburg hat zum Beispiel geholfen, die Fortis-Bank zu retten. Seitdem sind wir Hauptaktionär der Bank und beziehen Dividenden. Ich bin doch nicht von ich weiß nicht wem gebissen, dass ich luxemburgisches Steuergeld einzahle, und die Gewinne verteilen die Herrschaften unter sich!
Handelsblatt: Da sind Sie aber ein seltenes Exemplar von Politiker.
Juncker: Deswegen werden die Menschen ja auch irre an dem, was andere Regierungen tun. Dem Steuerzahler das Geld nehmen und den Banken geben und die Aktionäre verdienen dabei. Wenn der Steuerzahler zahlt, ist der Steuerzahler hier bitte auch Aktionär. Die Banken haben Teile ihrer Gewinne an den Staatshaushalt abzuflihren. Das ist meine altmodische Sicht der Dinge.
Handelsblatt: Punkt fünf ist also eine Finanztransaktionssteuer?
Juncker: Sechstens brauchen wir ein Wachstumsprogramm für sogenannte schwächelnde Länder. Wir müssen dafür sorgen, dass die Geldmittel aus den Struktur-, Kohäsions- und Regionalfonds schneller in Richtung Griechenland abfließen. Die Griechen haben Milliarden an Brüsseler Haushaltsgeldern ausstehen, weil sie es nicht schaffen, ihre Programme in vernüftigen Zeitbahnen auf den Weg zu bringen. Da braucht es die administrative Hilfe anderer europäischer Länder.
Handelsblatt: Nächster Punkt?
Juncker: Wir brauchen siebtens ein anderes Gespräch über den Umgang mit dem europäischen Haushaltsrahmen. Die Länder der Europäischen Union einzuteilen in Geber- und Nehmerländer ist eine Unart. Europa besteht nicht darin, sich jeden Abend bei Kassensturz zu fragen: "Was habe ich bekommen, und was habe ich gegeben?"
Handelsblatt: Wie geht es weiter?
Juncker: Achtens brauchen wir eine stärkere Finanzmarktregulierung. Hier muss Europa vorangehen. Und wir brauchen neuntens einen anderen Umgang mit Ratingagenturen. Vor drei Jahren haben alle Politiker die Ratingagenturen beschimpft, weil sie den Subprime-Krediten in den USA die besten Noten ausgestellt haben. Heute ist der Herdentrieb so, dass, wann immer eine Ratingagentur eine Bank oder ein Land herabstuft, alle denken: Das ist so, das muss so sein.
Handelsblatt: Nun fehlt nur noch Punkt zehn. Eigentlich müssten Sie jetzt noch sagen: Wir brauchen eine Wirtschaftsregierung.
Juncker: Ich plädiere seit 20 Jahren für eine Wirtschaftsregienrung. Ich bin erfreut, dass die Zahl derer, die auch immer schon dafür waren, rasant zunimmt. Aber die Wirtschaftsregierung darf kein deutsch-französisches Kommando sein.
Handelsblatt: Haben Sie diese Sorge?
Juncker: Nicht wirklich. Denn die Erfahrung zeigt, dass es meistens nur ein französisches Kommando wird. Koordinierung der Wirtschaft darf nicht heißen: Ich lande in Paris und fahre blind hinter einem "Follow me"-Auto her. Das ist nicht Koordinierung der Wirtschaftspolitik. Koordination ist das gemeinsame Nachdenken über gangbare Wege. Wenn eine Regierung in der Euro-Zone eine bestimmte steuerpolitische Maßnahme beschließen möchte, muss sie mit den anderen, die ja davon betroffen sind, darüber reden. Wenn ein Land systematisch aus der Haushaltsdisziplin ausschert, muss es eine Instanz geben, die dieses Land nicht nur zurechtweisen kann, sondern die dafür sorgt, dass dieses sofort abgestellt wird. Ich bin beispielsweise sehr dafür, dass man die Stellung des für Währungs- und wirtschaftspolitische Fragen zuständigen Kommissars innerhalb der Kommission stärkt, indem man ihm ähnliche Machtbefugnisse gibt wie diejenigen, über die der Wettbewerbskommissar verfügt.
Handelsblatt: Was müsste der Währungskommissar beispielsweise machen können?
Juncker: Er müsste haushaltspolitisches Fehlverhalten abstellen dürfen. Der Wettbewerbskommissar genehmigt oder genehmigt nicht. Bestimmte Kartell- oder Monopolbildungen kann er verbieten. Und das muss auch eine Instanz in der Europäischen Union in der Währungszone tun können. Das kann dann eigentlich kein Mitglied einer anderen Regierung sein, sondern das kann nur der für Währung und Wirtschaft zuständige Kommissar machen. Da sind jetzt viele dafür. Bis sie merken: Im Detail heißt das: Die französische Assemblée nationale muss damit einverstanden sein, dass der von ihr verabschiedete Etat in Brüssel annulliert werden kann. Wir werden also sehen, wie lange die Begeisterung anhält.
Handelsblatt: Jetzt haben wir es doch noch geschafft. Jetzt haben wir den Juncker-Plan. Wir danken für dieses