Jean Asselborn au sujet de la crise de la dette publique en zone euro

Dirk Leukroth: Die Vertreter der führenden Industriestaaten der Welt, die G20, beraten weiter über die Themen Klima und Energie, aber auch über grenzüberschreitende Steuerflucht wird gesprochen. Nur, es ist nicht von der Hand zu weisen, die Griechenland-Krise wird nicht so einfach von der Tagesordnung verschwinden. Dafür ist derzeit nicht nur die wirtschaftliche Lage in Athen zu schwierig, sondern auch die politische Stabilität zu sehr am Wanken.

Jean Asselborn ist luxemburgischer Aussenminister und profunder Kenner der europäischen Politikszene. Guten Morgen.

Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Leukroth.

Dirk Leukroth: In Griechenland will die sozialistische Regierung offenbar Ministerpräsident Papandreou opfern, und die Macht mit der Opposition teilen. Für viele Beobachter hat der Premier in den letzten Tagen keine gute Figur gemacht. Sie, Herr Asselborn, kennen Papandreou ja persönlich und schätzen ihn. Sehen Sie ihn auch schon in der Rolle des tragischen Verlierers?

Jean Asselborn: Ich will zuerst sagen, dass Papandreou ja seit Amtsantritt vor ungefähr zwei Jahren in einer extrem schwierigen Lage ist. Sie können sich erinnern, dass das Haushaltsdefizit nicht 6%, sondern 12% war. Die Schuld war damals weitaus höher. Er hat als überzeugter Europäer etwas fertig gebracht, was wirklich sehr wichtig ist: er hat Ehrlichkeit zurück in die griechische Politik gebracht.

Die konservative Opposition, die Neo Democratia von Herrn Samaras – das ist die Partei, die 7 Jahre vor Papandreou an der Macht war – hat ja zu 80% dieses Loch gegraben, aus dem die Regierung von Papandreou jetzt versucht herauszukommen. Aber [Samaras] hat ihm nur vorgeworfen, auch sogar noch nach dem Brüsseler Gipfel, er würde Griechenland ruinieren, verkaufen. Es war wirklich die Grenze der demokratischen Hygiene, mit der die Neo Democratia operiert hat.

Ich glaube, dass es auch anders geht. Das zeigt ja euer Land, Deutschland: die Grünen und die SPD haben Verantwortung mitgetragen im Bundestag, und das hat Deutschland gut getan.

Es herrscht wirklich – und da ist auch die Ursache dieses Befreiungsschlags zum Referendum anzusiedeln – eine demokratische Kultur in Griechenland, mit der Papandreou konfrontiert war, die extrem schwierig war.

Dirk Leukroth: Und mit der er immer noch konfrontiert ist, denn er wird ja wahrscheinlich mit den Konservativen zusammenarbeiten müssen, egal wie die Vertrauensabstimmung im Parlament ausgeht, oder?

Jean Asselborn: Ich glaube, alle Aussagen die man macht, auch für den heutigen Tag in Athen, sind ohne Gewähr. Die Entwicklungen werden auch heute und morgen einen ruckartigen Charakter haben.

Darum kann man vielleicht zwei Sachen festhalten: es wird jetzt kein Referendum stattfinden, und Papandreou wird kurzfristig, mittelfristig die Regierung nicht mehr führen.

Ob es heute zu dieser Vertrauensfrage kommt im Parlament, ist meines Erachtens noch eine Frage. Wenn sie kommt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es "Nein" wird, grösser als das "Ja". Wenn es allerdings "Nein" ist, schreibt die griechische Verfassung vor, dass dann innerhalb eines Monats Wahlen stattfinden müssen, mit allen Unsicherheiten, mit aller Zeit die dann verloren geht. Es wäre effektiv besser, es käme eine Übergangsregierung zustande, die dann die Beschlüsse von Brüssel umsetzen könnte, und dann neue Wahlen vorbereiten könnte.

Dirk Leukroth: Rechnen Sie damit, dass sich die Griechen auf kurz oder lang aus der Eurozone auch verabschieden?

Jean Asselborn: Ich glaube, dass es weder ein Ziel noch eine Wunschvorstellung von den Europäern, von uns allen, sein kann, die Griechen aus der Eurozone zu verabschieden, um es neutral zu sagen.

Europa ist ja aufgebaut auf zwei Grundthesen: "Nie wieder" – das bezieht sich auf den Krieg – und zweitens, genau so wichtig, "In Vielfalt geeint". Und "In Vielfalt geeint" heißt Solidarität, auch wenn es einem schlecht geht, zu 27 wie zu 17.

Griechenland muss selbstverständlich, das ist klar, die Regeln respektieren und diese auch umsetzen. Aber das Ziel darf es nicht sein zu sagen "Es tut uns leid, es geht nicht mehr mit euch, ihr müsst raus". Dann sind wir, glaube ich, in einem anderen Europa. Dann sind wir in einem Europa der Exklusion, nicht mehr in einem Europa der Inklusion, der Solidarität.

Dirk Leukroth: Es gibt ja noch andere Sorgenkinder, gerade Italien, Spanien. Politiker wie der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble warnen schon lange vor einer Ansteckungsgefahr, die von Griechenland ausgeht. Wie kann man dieser Gefahr denn am besten begegnen?

Jean Asselborn: Sie haben Italien genannt. Also, ich wage nicht zu wiederholen, ich tue es aber für Sie, was Gianfranco Fini, ein früherer Aussenministerkollege, gesagt hat. Er hat gesagt, der italienische Premierminister ist eigentlich nur noch der Hauptkasperl im Regierungstheater in Italien. Leider kann man auch die Opposition in Italien nicht als besonders schlagkräftig bezeichnen.

Italien, um dabei zu bleiben, wie wir wissen, hat 120% Schulden von ihrem Bruttoinlandprodukt. Das ist eine Schuld, die sich auf 1.200 Milliarden Euro beläuft, das heißt 1,2 Billionen Euro. Im Falle Griechenlands kann man ruhig sagen, dass es eine europäische Krise ist, die selbstverständlich auch Auswirkungen hat auf die Weltwirtschaft. Aber im Falle Italiens, mit 6 Millionen Einwohner, die dritte Wirtschaft Europas und 7. Wirtschaft der Welt, da wird die Weltwirtschaft ins Wackeln geraten, wenn es hier schief geht.

Es sind bis jetzt 4 Regierungen, wenn man Griechenland dabeizieht, gefallen seit der Eurokrise: Irland, Portugal, Slowakei, und praktisch auch Spanien, indirekt. Es werden andere folgen.

Ich hoffe wirklich für die Italiener, dass Massnahmen getroffen werden von der Regierung um wieder Stabilität herzustellen und um die Schuld abzubauen sowie die Reformen umzusetzen – Reformen, über welche wir jetzt seit fast anderthalb Jahren, vor allem was Griechenland anbelangt, reden, die aber selbstverständlich auch in Italien umgesetzt werden müssen.

Dirk Leukroth: Zur griechischen Schuldenmisere, und zur Eurokrise, Jean Asselborn, luxemburgischer Aussenminister und profunder Kenner der europäischen Politikszene.

Ich danke Ihnen sehr.

Membre du gouvernement

ASSELBORN Jean

Date de l'événement

04.11.2011

Type(s)

gouv:tags_type_event/interview