„Die Hefe im europäischen Teig", Jean-Claude Juncker au sujet de la signification des décisions de Maastricht

Luxemburger Wort: Welchen Stellenwert räumen Sie den Beschlüssen von Maastricht im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses ein?

Jean-Claude Juncker: Die Maastricht-Beschlüsse stellen einen qualitativen Sprung dar. Die Tatsache, dass Europäer ihren Willen zum Ausdruck gebracht haben, ihre nationalen Währungen gegen eine gemeinsame Währung einzutauschen, zeugt von der Unumkehrbarkeit der europäischen Konstruktion. Insofern ist der Merkel-Satz, dass wenn der Euro falle, auch die Europäische Union falle, keine unbegründete Darstellung der Herausforderungen, die vor uns liegen. Wer dies erkennt, der muss zu maximalen Anstrengungen bereit sein. Der Euro ist die Hefe im Europäischen Teig.

Luxemburger Wort: Wie Sie selbst legte u.a. auch der damalige deutsche Finanzminister Theo Waigel großen Wert auf die Maastricht-Kriterien und eine harte Währung. Mit der Idee einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik konnte sich Deutschland indes nicht anfreunden.

Jean-Claude Juncker: Es war auch nicht allein Deutschland, das damals auf die Drei-Prozent-Defizit- und die 60-Prozent-Schulden-Grenze pochte. Dies war auch eine Forderung stabilitätsorientierter Länder wie die Niederlande oder Luxemburg. Wir legten großen Wert auf ein substanzstarkes budgetares Regelwerk, weil wir überzeugt waren, dass eine harte Währung nur dann bestehen kann, wenn sie in einen solide gefassten Finanzrahmen eingebettet ist. In Maastricht gab es 1991, und das ist aktenkundig, lediglich vier Verhandlungsteilnehmer, die, ergänzend zur Europäischen Zentralbank als währungspolitisch unabhängigem Arm, für einen wirtschaftspolitischen Arm plädierten und das Wort "Wirtschaftsregierung" auch in den Mund nahmen: Kommissionspräsident Jacques Delors, der belgische und der französische Finanzminister, Philippe Maystadt und Pierre Brgovoy, sowie der luxemburgische Finanzminister Jean-Claude Juncker. Damals jedoch ist die Idee einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik auch auf teils erbitterten Widerstand aus Deutschland gestoßen. Und auch wenn wir 1997 unter luxemburgischem Ratsvorsitz zumindest eine Resolution verabschieden konnten, die auf eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik hinauszielt, so muss ich rückblickend feststellen, dass eine Reihe von heutigen Erkenntnissen, was eben die Abstimmung der Wirtschaftspolitik betrifft, 20 Jahre zu spät kommen.

Luxemburger Wort: Hätten Verstöße gegen Defizit und Schulden-Grenze nicht mit größerer Ernsthaftigkeit geahndet werden müssen?

Jean-Claude Juncker: Während heute nun Deutschland und Frankreich nach harten Strafen rufen, gehörten beide Länder in der Vergangenheit auch zu den Maastricht-Sündern. Alles in allem hat es über 60 Verstöße gegeben. Man sollte sich in dieser Frage nicht von negativer Propaganda gegen die Vergangenheit beeindrucken lassen. Es ist in der Tat immer wieder zu Verstößen gekommen. Nun geht aber nicht jede Vertragsverletzung mit einer direkten Sanktion einher. Jetzt wird gesagt, es wurde gegen den Stabiitätspakt verstoßen und es ist nichts passiert.

Aber nein doch. Solche Aussagen verraten eine integrale, nicht vorstellbare Ignoranz der Bestandteile des Stabiitätspaktes. Es gab beispielsweise immer wieder Defizitprozeduren. die die betroffenen Euro-Mitglieder anwenden mussten, um die Logik des Stabilitätspaktes zu berücksichtigen. Und die Novellierung aus 2005 war notwendig, um Euro-Staaten, die sich hart an der Drei-Prozent-Marke bewegten, zeitweilig Spielraum zu geben, um ihnen in Zeiten der Rezession eine Geldstrafe zu ersparen. Ich wünsche mir von daher eine beruhigtere Betrachtung des Regelwerkes.

Luxemburger Wort: Inwieweit kann die unzureichende Koordinierung dadurch erklärt werden, dass die Europäische Union mit der Ost-Erweiterung eine andere immense Herausforderung zu bewältigen hatte?

Jean-Claude Juncker: Ich denke nicht, dass es hier einen kausalen Zusammenhang gibt. Der Kostenpunkt der Erweiterung hat die öffentlichen Finanzen nicht belastet. Im Gegenteil, dieser historisch einmalige und notwendige Schritt hat neue Absatzmärkte geschaffen. Die politische Notwendigkeit der Konsolidierung der öffentlichen Finanzen wurde nicht von der Herausforderung der EU-Erweiterung durchkreuzt. Man sollte hier keinen Buhmann suchen. Wir tragen schon selber Schuld an der Krise, in der wir uns befinden.

Luxemburger Wort: Sie haben einst das Duo Kohl-Mitterrand erlebt und erleben nun das Tandem Merkel-Sarkozy. Welche Gemeinsamkeiten können Sie in deren europäischer Politikgestaltung feststellen und was sind die wesentlichen Unterschiede?

Jean-Claude Juncker: Es gibt eine große Gemeinsamkeit: Sie wissen bzw. Wussten um die vitale Notwendigkeit, für sie selbst und für die europäischen Partner, einer engen deutsch-französischen Freundschaft und des sich daraus ergebenden Schulterschlusses. Allerdings will heute niemand mehr wahrhaben, wie einst Kohl und Mitterrand auseinandergelaufen sind oder, um auch die beiden zu erwähnen, wie sich Chirac und Schroeder heftigst und öffentlich gestritten haben. Was nun Unterschiede anbelangt, so haben Angela Merkel und Nicolas Sarkozy nach meinem Empfmden weniger Sinn für die Früh-Einbindung ihrer EU-Partner auch wenn ich mich selbst nicht über ein Defizit an Kommunikation beklagen kann. Stören tut mich auch der zwischenstaatliche Zuschnitt ihrer Ideen und Vorschläge.

Membre du gouvernement

JUNCKER Jean-Claude

Organisation

Ministère d'État

Date de l'événement

10.12.2011

Type(s)

gouv:tags_type_event/interview