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Jean Asselborn au sujet de la personnalité de Günter Grass et de son poème sur Israël
SPIEGEL ONLINE: Günter Grass ist für sein Gedicht "Was gesagt werden muss" in Deutschland als "Irrer" oder als alter "Nazi" niedergemacht worden. Wie sieht das ein EU-Außenminister, der am Nahen Osten besonders interessiert ist?
Asselborn: Die teilweise hysterische Reaktion auf Günter Grass in Deutschland ist für Nicht-Deutsche schwer verständlich. Er wird ja wie ein Aussätziger behandelt. Dabei ist er eine herausragende Persönlichkeit der deutschen Literatur und hat sehr viel geleistet für das Ansehen Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.
SPIEGEL ONLINE: Und sein jüngstes Werk?
Asselborn: Das beflügelt hoffentlich eine Diskussion, die dringend geführt werden muss. Leider hat Grass seine Argumentation dazu völlig falsch aufgebaut. Er beginnt mit "Planspielen" für einen "Erstschlag", mit dem Ziel, das "iranische Volk auszulöschen". Damit rückt er Iran in die Opferrolle und macht Israel zum Aggressor. So ist es ja nun wirklich nicht. Niemand käme auf den Gedanken, Südkorea zu unterstellen, es wolle das nordkoreanische Volk auslöschen, wenn es sich gegen die aggressive Politik der nordkoreanischen Diktatur militärisch wappnet.
SPIEGEL ONLINE: Zumal Iran den Israelis mit der Atombombe droht!
Asselborn: So ist es. Seit den Zeiten des Schahs von Persien strebt das Land nach Atomwaffen und seit Mahmud Ahmadinedschad Iran regiert und Israel als "Schandfleck" bezeichnet hat, der "aus der Mitte der islamischen Welt beseitigt werden muss", muss sich Israel objektiv in Gefahr fühlen. Fakt ist aber auch: Israel hat die Atombombe längst. Israel hat - anders als Iran - den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben. Israel unterliegt keinerlei internationaler Kontrolle, hat nie die Kontrolleure der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) ins Land gelassen - was die internationale Gemeinschaft von Iran verlangt.
SPIEGEL ONLINE: In Iran waren die IAEA-Kontrollen freilich auch nur eine Farce. Und die Forderungen, Drohungen und Sanktionen von Uno, EU und sonstigen Institutionen haben die Iraner bis heute nicht wirklich beeindruckt: Ungerührt baut Teheran weiter an der Bombe. Wie geht das Wettrüsten aus?
Asselborn: Nicht gut, fürchte ich. Solange auch nur eine Atomwaffe in der Region ist, gibt es dort nach wie vor Bestrebungen nach nuklearen Waffen. Davon bin ich überzeugt. Wenn die Diplomatie scheitert, ist das Risiko groß, dass Iran weiter an der Bombe baut. Saudi Arabien zum Beispiel wird dann nicht abseits stehen wollen. Womöglich werden auch einige der anderen Golfländer versuchen, sich atomare Waffen zuzulegen. Denn Perser und Araber, Schiiten und Sunniten, sind ja nicht eben Freunde sondern konkurrieren um die Vormachtstellung in der Region.
SPIEGEL ONLINE: Deshalb wird ja wohl in Israel über einen "Präventivschlag" nachgedacht.
Asselborn: Darüber wird dort seit Jahren diskutiert - und auch deshalb ist die EU so bemüht, eine Lösung zu finden, die Frieden im Nahen Osten möglich macht, bevor es zu spät ist.
SPIEGEL ONLINE: Weil der "Erstschlag", wie Grass in seinem Gedicht sagt, den "Weltfrieden" in Gefahr brächte?
Asselborn: Nein, einen Weltkrieg würde er wohl nicht auslösen, denke ich, die Großmächte würden sich wohl nicht in einen militärischen Konflikt hineinziehen lassen. Das hoffe ich zumindest. Aber die gesamte Region würde brennen. Mit unkalkulierbaren langfristigen Konsequenzen: Die islamische Welt würde sich gegen die "Arroganz des Westens", wie sie es empfindet, weiter zusammenschließen. Es würden sich Länder mit Iran solidarisieren, die heute weit entfernt davon sind. Hass und Terror in der gesamten Welt würden zunehmen. Ich weiß das es auch in Deutschland viele gibt, die in einem israelischen Präventiv-Krieg die einzige Lösung sehen. Ich halte das für komplett falsch! Zumal die meisten Experten sagen, es wäre gar nicht möglich, mit einem Streich die iranischen Nuklearanlagen auszuschalten.
SPIEGEL ONLINE: Was ist die Alternative?
Asselborn: Man kann den Nahost-Konflikt nur politisch lösen - oder gar nicht. Deshalb muss die Welt auf alle Beteiligten dort intensiver einwirken, sich auf einen gemeinsamen Frieden einzulassen.
SPIEGEL ONLINE: Bislang waren die Diplomaten dieser Welt nicht besonders erfolgreich. Sie und Ihre EU-Amtskollegen eingeschlossen.
Asselborn: Das würde ich so generell nicht sagen. Die Maßnahmen gegen Iran beginnen zu wirken, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten als Folge unserer Sanktionen drücken schon schwer. Auch die Nachbarn machen jetzt Druck, die Türkei etwa. Iran steht zunehmend unter Zugzwang, sich einer langfristigen Lösung nicht zu verschließen.
SPIEGEL ONLINE: Und Israel? Dort scheint die Bereitschaft auf neue Friedensverhandlungen mit dem Nachbarn Palästina nicht sonderlich ausgeprägt zu sein.
Asselborn: In diese Richtung ist mehr politische Aktivität vonnöten. Die deutsche Bundeskanzlerin betont immer wieder das Existenzrecht Israels, völlig zu Recht, wie ich finde. Eine nachhaltige friedliche Existenz wird Israel aber nur finden, wenn es in guter Nachbarschaft mit den Palästinensern lebt. Deshalb braucht auch der palästinensische Staat ein Existenzrecht.
SPIEGEL ONLINE: Das hat er doch.
Asselborn: Aber weitgehend nur auf dem Papier, solange Israel zum Beispiel auf palästinensischem Gebiet nach Gutdünken Wohnungen für israelische Siedler bauen kann. Das verstößt zwar gegen jedes internationales Recht, wird aber nicht geahndet. Dabei verletzt der illegale Siedlungsbau in Palästina auch die Sicherheitsinteressen Israels selbst.
SPIEGEL ONLINE: Was also tun im komplizierten Nahen Osten?
Asselborn: Man muss über Konsequenzen nachdenken, wenn die Regierung Israels den, nach Meinung fast aller, falschen Weg fortsetzt und alle Chancen zu echten Friedensverhandlungen torpediert und den Palästinensern faktisch keine Chance gibt, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.
SPIEGEL ONLINE: Wer soll das tun?
Asselborn: Es gibt nur zwei Länder, die dabei entscheidenden Einfluss nehmen könnten, die USA und Deutschland.
SPIEGEL ONLINE: Ausgerechnet Deutschland?
Asselborn: Die Deutschen tun sich schwer damit, ich weiß. Aber sie müssten beginnen, zwischen dem israelischen Staat und seiner Regierung zu unterscheiden. Die Interessen von Staat und Regierung sind nicht zwangsläufig identisch. Und die deutsche Verpflichtung zur Solidarität kann nur dem Staate Israels gelten, nicht jeder Maßnahme einer Regierung die offensichtlich nur kurzsichtige Interessen festigen will. Nur Deutschland ist in der Lage, die gesamte EU in die Richtung zu einer neuen, ernsthaften Nahost-Politik zu ziehen - oder durch Passivität Europa in der heutigen Ambivalenz zu lassen. Nur wenn die USA und Deutschland, im Verein mit ganz Europa, im Nahen Osten auf alle Beteiligten mehr Druck ausüben, werden sich dort Chancen für den Frieden eröffnen.
Anderenfalls wird der Status quo mittel- und langfristig in eine Sackgasse führen wo Frieden keine Chance mehr hat. Das inhärente Zerstörungspotential einer solchen Entwicklung ist weitaus mächtiger als jede Atombombe.