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Jean Asselborn au sujet de la crise de la dette publique en Europe et de l'intégration européenne
Michael Strempel: Ein Außenminister, der morgens sein Sportzeug anzieht, sich dann auf das Rennrad schwingt, im Außenministerium erst mal duscht, um dann im Anzug mit Hillary Clinton oder Guido Westerwelle zu telefonieren. Bei uns schwer vorstellbar, im kleinen Luxemburg geht das. Und Jean Asselborn macht das genauso.
Auch seine Sprache ist etwas unkonventioneller als die vieler diplomatischer Politiker – aber machen Sie sich selbst ein Bild von ihm: über seine Sicht auf die Euro-Krise sprach Jean Asselborn mit Rolf-Dieter Krause.
Rolf-Dieter Krause: Auch Frankreich ist ein Land, das nach Einschätzung der EU-Kommission – aber nicht nur – große Probleme hat. Das Land hat enorm an Wettbewerbsfähigkeit verloren, hat hohe Schulden. Beschleicht Sie manchmal die Sorge, dass Hollande seine Wähler enttäuschen muss?
Jean Asselborn: Ich habe auf Spiegel online gestern die Überschrift gelesen, dass Hollande eigentlich nur enttäuschen kann. Also, ich bin ja nur ein kleiner Luxemburger; Sie hingegen, Herr Krause, sind ein Monument des deutschen Fernsehens! Was ich eigentlich sagen wollte ist, Herr Krause: wenn man in deutscher Sprache über Frankreich redet – erlauben Sie mir, ohne jetzt arrogant sein zu wollen, aber vielleicht Ihnen zu sagen – dass, das Wort „politische Gelassenheit“ etwas geprägter, sagen wir mal, interpretiert werden sollte, in der deutschen Sprache. Gelassenheit heißt folgendes: jetzt ist ein Faktum da! Hollande wurde gewählt. Hollande wurde gewählt, weil er nicht Sarkozy ist. Sonst wäre ja Sarkozy gewählt worden. Das muss man also annehmen.
Rolf-Dieter Krause: Alle Wahlen drücken aus – auch frühere schon, wir haben 9 Regierungen, inzwischen, die in der Euro-Krise gekippt sind – dass es große Unruhen in der Bevölkerung gibt. Und wir erinnern uns, dass der Euro mal eingeführt worden ist um Europa zusammenzuschweißen, um es stabil zu machen. Wir sehen aber, dass im Moment Sprengkräfte da wirken, dass Regierungen kippen, dass Menschen unzufrieden sind mit Europa. Muss Europa nicht manchmal darüber nachdenken, ob wir uns hier nicht vielleicht zu fest zusammengeschlossen haben? Etwa, dass wir hier die Kultur der Völker vergewaltigen, weil unter einer Währung kulturelle Unterschiede – ich rede von der Kultur von Tarifverhandlungen, von ökonomischer, von politischer Kultur – weil eine gemeinsame Währungen eigentlich eine gemeinsame Kultur erfordert, und sonst nicht funktioniert?
Jean Asselborn: Das ist die kapitale Frage, die wir uns immer stellen müssen, wenn wir uns in die Zukunft Europas projizieren. Nach dem Krieg ist Europa ja entstanden auf Basis des „Nie wieder!“. Das war für eine, oder anderthalb, Generationen auch der Sinn, warum Europa gebaut wurde. Heute glaube ich, dass Europa vor allem ein Friedensprojekt ist. Wir haben gesehen, in den Kriegen auf dem Balkan, dass wir noch vieles zu tun haben, dass wir, sagen wir mal bis 2020, es fertig bringen müssen – was wir 2003 gesagt haben – alle Länder des Balkans in der Europäischen Union aufzunehmen, und dass dieses Friedensprojekt Europa sich konkretisiert.
Europa, wenn ich sage Friedensprojekt, heißt aber auch soziales Friedensprojekt! Europa ist ja die Lösung der Probleme, auch der Arbeitslosigkeit! Das hat Hollande, mit Verlaub gesagt, sehr gut erkannt. Das bringt Frankreich nicht alleine fertig, das bringt Spanien nicht alleine fertig. Und darum würde ich Ihnen folgendes sagen: wenn wir die Zukunft Europas skizzieren, sehen wir diesen Spagat, den wir ja dauernd machen! Wir sind 27 Länder, wir haben aber keine Regierung. Wir haben kein Parlament, wie Martin Schulz es erklärt hat. Dieses System von Montesquieu kennen wir nicht. Wenn wir uns jetzt 2050 vorstellen, haben wir dann in Europa das, was wir nennen „die Vereinigten Staaten von Europa“? Mit einer gemeinsamen Außenpolitik? Das heißt, ein Sitz im Sicherheitsrat? Einer, keine zwei, einer! Haben wir wirklich dann auch eine Wirtschaftspolitik, eine Sozialpolitik, eine Finanzpolitik, die getragen wird, nicht von 27, sondern von einem Gremium, das dann entscheidet in die verschiedenen Länder hinein? Haben wir dann auch ein Parlament, was die Rolle hat – wie sie definiert von Martin Schulz wurde – oder nicht? Ich glaube, so wie ich Europa kenne – gut, Sie kennen das natürlich viel besser durch Ihren Beruf als ich – aber so wie ich Europa spüre, ist das zurzeit noch nicht möglich! Also müssen wir uns mit dem beschäftigen, was wir jetzt haben und den Menschen – vor allem wir als Politiker und Sie als Journalisten – klarmachen, dass Europa die Lösung ist, und dass wir Europa weiterbringen müssen! Nicht rückwärts, nicht renationalisieren!
Rolf-Dieter Krause: Aber wir haben doch jetzt gesehen, dass Identität, dass eingeübte Verhaltensweisen, dass Tradition mit noch so viel rationaler Argumentation gar nicht so leicht zu verändern sind? Gleichzeitig wäre das erforderlich, um dies Gemeinsame zu machen, zum Beispiel eine gemeinsame Währung auszuhalten?!
Jean Asselborn: Die gemeinsame Währung war ja eine politische Entscheidung. Das wissen wir alle. Wir wissen das, wenn wir in den Geschichtsbüchern nachlesen: auch Helmut Kohl hat sich politisch bewegt, und er hatte Recht! Der Mann hatte Recht. So wie er bei der Wiedervereinigung Recht hatte sich politisch zu bewegen, hatte er auch Recht beim Euro, sich politisch zu bewegen! Das war richtig!
Stellen Sie sich vor, wir hätten Länder wie Griechenland, wie Spanien, wie Portugal, die alle 3 aus Diktaturen kamen, in der Luft hängen gelassen! Wir hätten Bulgarien und Rumänien in der Luft hängen lassen, 2005. Welches Zeichen hätte Europa da gesetzt? Ich weiß, dass rational – und Sie sind ein rationaler Mensch – dass rational nicht alles in Ordnung war. Es war eine politische Entscheidung, und jetzt müssen wir auch dafür sorgen, dass wir politisch uns die Mittel geben wieder herauszukommen. Ich weiß, dass es extrem schwierig ist, nicht nur in Griechenland. Auch die Evolution in Spanien ist sehr besorgniserregend. Auch in anderen Ländern vielleicht noch. Aber man braucht den politischen Willen, Europäer zu sein! Da müsst ihr Deutsche, wenn ich das ganz galant sagen darf, vielleicht auch ein wenig davon wegkommen, dass ihr die Zahlmeister seid, wie ihr immer sagt. Ihr habt 10 Jahre, 10 lange Jahre vom Euro unheimlich profitiert. Ihr seid, und jeder vergönnt euch das, Exportweltmeister, Co-Exportweltmeister, weil der Euro bestanden hat. 60% eueres Exports fliesst in die Euro-Länder. Und darum: bitte, bitte, ein wenig Einvermögen, sagen wir mal, in die europäische Solidarität würde euch sehr, sehr gut tun, und Europa sehr gut tun.