Mady Delvaux-Stehres au sujet de la prolongation du débat sur la réforme de l'enseignement secondaire

Ines Kurschat: Aufgrund des massiven Drucks von Lehrern und Gewerkschaften haben Sie die Beratungen zur Sekundarschulreform um ein Jahr verlängert. Werden Sie Ihre Reform noch durchbringen?

Mady Delvaux-Stehres: Mein Ziel ist es, im April einen Gesetzentwurf einzubringen. Meine Hoffnung ist, dass wir mit der nationalen Vertretung jetzt intensiv diskutieren und dann zu einem Text kommen, der im Konsens entsteht. Dann dürfte auch die Umsetzung leichter fallen.

Ines Kurschat: Sie haben sich mit den Lehrer- und Gewerkschaftsvertretern der nationalen Plattform getroffen und vereinbart, die Debatte um die Strukturreformen im öffentlichen Dienst von der um die Sekundarschulreform zu trennen. Ein Erfolg?

Mady Delvaux-Stehres: Das haben wir strikt getrennt. Bei den Strukturreformen sind unsere Gesprächspartner die Gewerkschaften. Hier haben wir eine andere Konstellation, deshalb bleibt das Thema ausgeklammert. Ich hoffe, dass das die Diskussion vereinfacht.

Ines Kurschat: Was erwarten Sie konkret von den Gesprächen?

Mady Delvaux-Stehres: Wir haben abgemacht, dass wir alles noch einmal, grundlegend gemeinsam diskutieren.

Ines Kurschat: Sie haben 13 Pilotschulen, die bereits Teile der Reform im Ansatz testen. Ist da die Problemanalyse nicht längst geschehen?

Mady Delvaux-Stehres: Offenbar gibt es viele Leute, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind oder die Diskussionen nicht mitverfolgt haben. Wir werden eine Analyse erstellen, was die Bedürfnisse der Schüler im 21. Jahrhundert sind in einer Gesellschaft, die immer heterogener wird. Darüber hinaus sind konkrete Vorschläge gefragt. Die Delegation hat eine komplizierte Mission, denn sie muss das, was wir diskutieren, zurück in die Schulen tragen und mit der Basis diskutieren.

Ines Kurschat: Der Akzent liegt auf strukturellen Änderungen, Schulen sollen mehr Autonomie bekommen, die Begleitung und Betreuung der Schüler wird enger organisiert. Ihre Partei war einmal für eine Einheitsschule angetreten.

Mady Delvaux-Stehres: Ich meine, dass mein Entwurf vom 5. Dezember eine Anpassung des bestehenden Systems an aktuelle Gegebenheiten war. Ich habe zu keinem Moment behauptet, es sei eine große Reform. Umso überraschter war ich, als ich die Reaktionen der Schulen bekam. Ich hatte gemeint, berücksichtigt zu haben, was man einem Schulsystem zumuten kann und was nicht. Man ändert ein System nicht radikal an einem Tag. Schließlich geht es um Traditionen, Kulturen, Mentalitäten.

Ines Kurschat: Dann sind unsere Schulen schwerfälliger als Sie angenommen haben?

Mady Delvaux-Stehres: Vielleicht hat die Kombination von Beamten- und Sekundarschulreform das Fass überlaufen lassen. Wenn ich die Diskussionen im Ausland verfolge, dann war Schule schon immer stark in Gesellschaft und Kultur verankert, nicht nur bei den Lehrern, auch bei den Eltern, bei den Schülern, bei den Politikern. Jeder ist auch ein wenig mit seiner Arbeit beschäftigt. Das Ganze zu betrachten, zu sehen, wie gravierend unsere Gesellschaft geändert hat, ist ein großer Schritt.

Ines Kurschat: Sie sprechen von der Immigration.

Mady Delvaux-Stehres: Die Realitat an unseren Schulen hat sich allein in den vergangenen zehn Jahren dramatisch geändert. Das erklärt auch den Frust und die Unzufriedenheit mancher Lehrer. Weil sie bemerken, dass das, was sie vor zehn Jahren gemacht haben, heute nicht mehr funktioniert. In der politischen Diskussion ist es ähnlich. Da werden Grundpfeiler der Luxemburger Schule betont, wie die Dreisprachigkeit, die Alphabetisierung auf Deutsch. Das zu hinterfragen, erschüttert vermeintliche Gewissheiten.

Ines Kurschat: Ende April diskutierte das Parlament intensiv darüber was der gesellschaftliche Wandel für den Beruf des Lehrers bedeutet. Ohne konkretes Ergebnis. Müsste man sich nicht zunächst auf eine adäquate Lehrerausbildung einigen und dort mit der Reform beginnen?

Mady Delvaux-Stehres: Wir haben das versucht. Ich erinnere an das Profil des Lehrers in der Grundschule. Das fiel mit dem Aufbau der Uni zusammen, die Lehrerausbildung dort wurde überdacht. Wir vom Ministerium hatten eine Reihe Kritiken, die Uni hat ihre eigene Analyse gemacht und Dinge angepasst. Da war ein großer Umbruch. Aber nach dem Studium kommt die Praxis. Diese Wechselwirkung zwischen der Uni und dem Eintritt ins Berufsleben ist nicht einfach. Das System ist vielleicht stärker als der Einzelne.

Ines Kurschat: Der Kompetenzansatz wird verstärkt hinterfragt, vor allem vom SEW. Haben die Gewerkschaften nicht Recht mit ihrer Sorge, dass bei den Reformen der schulische Output zu sehr im Fokus steht?

Mady Delvaux-Stehres: Ich bin nicht dafür, dass man alles misst. Das ginge wahrscheinlich auch gar nicht. Schule bedeutet für uns: instruire, qualifier et socialiser. Es geht um Erziehung. Deshalb bin ich erstaunt, dass jene Leute, die sich gegen die Ökonomisierung wehren, oft auch dagegen sind, Schüler enger zu betreuen. Die Empathie eines Erwachsenen, die unentbehrlich ist für die Entwicklung der Kinder, kann man nicht messen. Wenn, wie manche Lehrer meinen, ihre Rolle sich rein auf den Wissensvermittler beschränkt, heißt das, festzulegen, was ein Schüler wissen muss. Und das ist nun wirklich sehr output-orientiert. In der Grundschule geht es den Kritikern eher um die Evaluation durch die Bilans.

Ines Kurschat: Sie haben selbst auf die rasche Einführung der neuen Evaluation gepocht. Damit haben Sie der Kritik an einer Schule, die nur Leistungen misst, eine Vorlage geliefert.

Mady Delvaux-Stehres: Zum Lehrerberuf gehört, Leistung zu zertifizieren. Die Evaluation ist ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts. Sie ist auch der Hebel, um eine Unterrichtspraxis zu ändern. Das Mündliche ist erst dann in den Unterricht eingemündet, als es examensrelevant wurde. Zur Erinnerung: In den Grundschulen Punkte abzuschaffen, Kompetenzen einzuführen, Schulentwicklungspläne zu erstellen, wurde nicht gegen die Gewerkschaften gemacht, sondern mit ihnen. Es herrschte Konsens, übrigens auch beim verpflichtenden PRS. Nicht das Prinzip, die Umsetzung sorgt für Diskussionen.

Ines Kurschat: Für erhebliche sogar. Sogar jene, die für eine Reform sind, beschweren sich über zu viel Verwaltung.

Mady Delvaux-Stehres: Wir sind dabei, mit den Lehrern und Schulkomitees gemeinsam die administrative Belastung zu üerprüfen. Ich kann das nicht beurteilen, deshalb habe ich die Gewerkschaften gefragt, mir konkrete Beispiele zu bringen.

Ines Kurschat: Der SEW gehört zum OGBL und steht eigentlich der LSAP nahe. Hat Ihre Bildungspolitik die Sozialisten von der Gewerkschaft weiter entfernt?

Mady Delvaux-Stehres: Auch ich betreibe von Zeit zu Zeit Gewissenserforschung. Ich bin in einer Partei mit Prinzipien. Ich habe versucht, diese ins Regierungsprogramm einzubringen. Wenn ich prüfe, ob ich noch auf Parteilinie bin, dann sage ich: Ja. Ein Prinzip ist die Chancengerechtigkeit. Es geht darum, Kindern, auch aus defavorisierten Milieus, die Potenzial haben, eine echte Chance zu geben, diese entfalten zu können. Wenn das keine fortschrittliche, sozial gerechte Politik ist, dann weiß ich nicht, was es sonst ist.

Ines Kurschat: Das scheint irgendwie nicht überall gut anzukommen.

Mady Delvaux-Stehres: Laut LSAP-Parteiprogramm steht das Kind im Mittelpunkt. Wenn ein Konflikt zwischen Interessen der Kinder und jenen der Professionellen besteht, muss ich mich für die Kinder entscheiden. Zu dem Prinzip stehe ich weiterhin. Deshalb habe ich ein ganz gutes Gewissen.

Ines Kurschat: Ihre Parteispitze hat länger gebraucht, bis sie sich schließlich auf dem Landeskongress im März hinter Sie stellte.

Mady Delvaux-Stehres: Der Präsident der Parlamentskommission, Ben Fayot, hat stets jede Reform von mir unterstützt. Die erste Pressemitteilung zur Sekundarschulreform kam von den Jungsozialisten. Alex Body war auf dem Kongress so unterstützend, dass ich Kritik von den Gewerkschaften bekam, die meinten, seine Kritik an der Schule sei zu weit gegangen.

Ines Kurschat: Die CSV ist auf Tauchstation. Außer der Zusage von Jean-Claude Juncker, dass die Sekundarschulreform kommen wird, gibt es keine Stellungnahme Ihres Koalitionspartners zum aktuellen Konflikt.

Mady Delvaux-Stehres: Sie kommt, das hat mir der Fraktionschef versprochen. Das beunruhigt mich aber nicht, dass sie sich noch nicht gemeldet haben. Es gibt eine Phase der Eskalation, und dann der Deeskalation. Da braucht es Ruhe.

Ines Kurschat: Die Proteste waren die heftigsten in Ihrer Laufbahn als Unterrichtsministerin. Wie lange wollen Sie sich das noch antun? Werden Sie noch einmal kandidieren?

Mady Delvaux-Stehres: Ich fühle mich nicht so alt, dass ich unbedingt in Pension gehen müsste.

Ines Kurschat: Wie ist Ihr Rückblick auf Ihre Reformen? Sie sind immerhin schon acht Jahre als Unterrichtsministerin dabei. Zufrieden?

Mady Delvaux-Stehres: Es ist noch nicht die Zeit für Bilanzen. Ich bin noch voll bei der Arbeit.

Ines Kurschat: Sie werden aber demnächst eine Zwischenbilanz vorlegen müssen. Nämlich die der Grundschule.

Mady Delvaux-Stehres: Ich sehe in den Grundschulen Großartiges, aber auch größere Schwierigkeiten. Trotzdem ist die Schullandschaft überschaubarer geworden und ist in vielen Gemeinden eine tolle Dynamik entstanden. Das Fundament der Schule ist das Team. Es geht darum, kollektive Verantwortung für gemeinsame Ziele zu übernehmen. Teambuildung ist aber keine einfache Sache. Ich denke, dass wir mit der Zwischenbilanz der Reform vielleicht einige Hinweise erhalten werden, wie groß eine Schule sein muss, damit eine konstruktive Dynamik entsteht.

Ines Kurschat: Es gab Schulprojekte, die haben Ihnen Kopfschmerzen bereitet.

Mady Delvaux-Stehres: Wenn Sie auf die beiden Ganztagsschulen, Eis Schoul in der Hauptstadt und Jean-Jaurès in Esch, anspielen: Bei beiden läuft es inzwischen sehr viel besser.

Ines Kurschat: Welche Rolle spielte bei den Startschwierigkeiten die fehlende Professionalisierung im Bereich Schulentwicklung von Lehrpersonal und Ministerium?

Mady Delvaux-Stehres: Die Situationen der beiden Ganztagsschulen sind nicht vergleichbar. Was sie gemeinsam hatten, ist, dass in beiden Strukturen Lehrer und Erzieher zusammenarbeiten. Und das gestaltet sich wegen der unterschiedlichen Statute, Profile und Selbstverständnisse nicht so einfach. Ansonsten muss man Schulen langsam wachsen lassen. Wir haben derzeit eine ganze Reihe von Anfragen für Ganztagsschulen.

Ines Kurschat: Sie haben versprochen, die Mutter- beziehungsweise die Erstsprache der Migrantenkinder die kein Luxemburgisch daheim sprechen, stärker zu würdigen. Das ist kaum geschehen.

Mady Delvaux-Stehres: Wir tun uns schwer damit, andere Muttersprachen als Luxemburgisch zu valorisieren. Das ist sicher ein Schwachpunkt. Wir hatten aber einige Aktionen, wie die Ouverture aux langues in der Spielschule. Wir haben auch portugiesische Hilfskräfte, die in der Spielschule intervenieren. Aber das sind alles nur Ansätze. Da muss noch etwas geschehen. Wir diskutieren darüber, mehr Muttersprachler einzusetzen, aber wir kommen da nicht wirklich weiter. Dabei wäre das wirkliche Innovation.

Ines Kurschat: Warum kommen Sie nicht weiter?

Mady Delvaux-Stehres: Wegen unserer Mehrsprachigkeit. Wir kreisen hierzulande bei jeder Reform um das Thema Sprachen. Die einen Experten sagen: Lasst Deutsch fallen, die anderen sagen: Geht von Luxemburgisch direkt auf Englisch über, die Dritten wollen die parallele Alphabetisierung auf Französisch. Politisch kommen wir auch nicht weiter. Was wir festgehalten haben, ist: Wir bleiben bei der Dreisprachigkeit, aber wir erlauben unterschiedliche Leistungsniveaus. Für die Lehrer ist das anspruchsvoll.

Ines Kurschat: Sie sagen ja selbst, dass die Zusammensetzung der Schüler sich rasant geändert hat. Gehört das herrschende Verständnis von Mehrsprachigkeit nicht doch noch einmal grundsätzlich hinterfragt?

Mady Delvaux-Stehres: Doch. Aber ich komme da nicht weiter. Ich war auf so vielen Rundtischgesprächen, Kongressen, in Denkzirklen, aber meistens stoße ich nur auf Unverständnis.

Ines Kurschat: Sie selbst haben ein Grundschulprojekt verhindert, das die Alphabetisierung auf Französisch probeweise umsetzen wollte.

Mady Delvaux-Stehres: Ich habe die Schule aus juristischen Gründen schließen müssen. Es fehlte ein gesetzlicher Rahmen. Ich hätte ein Schulprojekt entwickeln lassen müssen, und das fiel in eine Zeit, in der ich größere Probleme mit Eis Schoul hatte. Ich hatte keinen Mut dazu. Es gibt Stimmen in der Politik, die warnen, damit würde eine Schule für Portugiesen und eine für Luxemburger entstehen und das sei nicht gut. Es müsse darum gehen, die Kinder in unser System zu integrieren. Aber machen wir uns keine Illusionen: Es ist ein erheblicher Unterschied, ob ich 20 Prozent Ausländerkinder in unsere Schulen integriere oder 60 Prozent. Da stellen sich viele Fragen anders. Politisch sind wir für diese Einsicht jedoch noch nicht reif.

Membre du gouvernement

DELVAUX-STEHRES Mady

Date de l'événement

25.05.2012

Type(s)

gouv:tags_type_event/interview