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"Politische Zeichen setzen", Jean Asselborn au sujet du championnat d'Europe de football en Pologne et en Ukraine
REVUE: Herr Außenminister, am 8. Juni beginnt die Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Wegen der Menschenrechtslage In der Ukraine und der Verurteilungen von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko haben Sie luxemburgischen Politikern davon abgeraten, zu den Spielen in das Land zu fahren. Ist man sich darüber in der Regierung einig?
JEAN ASSELBORN: Ein Außenminister muss spontan Antworten geben können auf Probleme, zum Beispiel der Rechtsstaatlichkeit, die plötzlich in den Vordergrund rücken. Ich mache dies nach meinem Empfinden und im Namen der Regierung, der ich angehöre und deren Sensibilität ich kenne.
REVUE: Warum beschließen die EU-Außenminister nicht gleich einen geschlossenen Boykott? Schließlich sagte auch EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso, dass kein Kommissar zur Euro in die Ukraine soll.
JEAN ASSELBORN: In der Runde der 27 EU-Außenminister haben wir während unseres letzten Rates am 14. Mai in Brüssel über die Lage in der Ukraine debattiert. Der Rat hat beschlossen, die im Oktober stattfindenden Wahlen in der Ukraine abzuwarten, bevor wir weitere Schritte in Richtung Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine unternehmen werden.
Bis dahin erwarten wir von der Regierung in Kiew klare Signale in Sachen weiterer Reformen im Bereich Justiz und Einstellung zu den Menschenrechten. Was ein gemeinsamer Boykott der in der Ukraine ausgetragenen Spiele der Fußball EM angeht, so war es schwer einen Konsens der 27 Außenminister zu erzielen. Auch weil zum Beispiel Spanien, ein potenzieller Europameister, und Luxemburg, das nicht qualifiziert ist, hier schwierig auf eine Linie zu bringen sind.
REVUE: Was kann ein Boykott überhaupt bewirken?
JEAN ASSELBORN: Ein Boykott ist ein Mittel um eine klare Stellungnahme zu vermitteln. Im Falle der Austragung der Fußball-EM in der Ukraine diente ein Boykott dazu, ein politisches Signal an die Regierung in Kiew zu schicken und zu verdeutlichen, dass man mit der Vorgehensweise in manchen Gerichtsverfahren gegen einige Mitglieder der politischen Opposition nicht einverstanden sein kann, weil die Vorgehensweisen der ukrainischen Autoritäten zu selektiv sind, teilweise auf kuriosen Untersuchungsprozeduren beruhen, und vor allem, weil ein dubioser Strafrechtsartikel als Basis dient, der in Zeiten der Sowjetunion Oppositionelle aus dem Weg zu räumen pflegte.
REVUE: Wäre ein Boykott durch die Mannschaften nicht wirkungsvoller?
JEAN ASSELBORN: Das ist ganz allein Sache des Sports.
Nationale Verbände müssten darüber im betreffenden Gremium, nämlich der UEFA, beraten, ob ihre jeweiligem Mannschaften zu den in der Ukraine ausgetragenen Spielen antreten sollten oder nicht. Das ist nicht Angelegenheit der Politik. Wie ich schon am Rande des letzten EU-Außenministerrates am 14. Mai in Brüssel gesagt habe, glaube ich, dass guter Fußball auch ohne offizielle Präsenz von Ministern gespielt werden kann.
REVUE: Oft heißt es, Mannschaften müssten es selbst verantworten. Wieso? Sie sind doch Gesandte eines Staates?
JEAN ASSELBORN: Mannschaften sind nicht Gesandte eines Staates. Sie haben sich sportlich qualifiziert. Sie sind Gesandte eines nationalen Verbandes, dessen Farben sie vertreten. Genau deswegen bin ich dagegen, dass die sportliche Bühne in eine politische umgewandelt werden soll. Die Fußball-EM soll meiner Ansicht nach so ausgetragen werden, wie vorgesehen. Jedoch können Politiker der Veranstaltung fernbleiben und somit ein Zeichen in Richtung Elite in der Ukraine setzen. Ein Minister, der ein Fußballspiel offiziell besucht, setzt einen politischen Punkt. Nur dazu rate ich ab, was Luxemburg betrifft.
REVUE: Zuerst Peking 2008, nun die Fußball-EM - Sport und Menschenrechte zusammenzubringen, ist das alles nur Wunschdenken?
JEAN ASSELBORN: Sport ist Sport, und Sport soll nicht politisiert werden. Wenn ein Sportler selbst die souveräne Entscheidung trifft, an einem Wettkampf nicht teilzunehmen, um ein Zeichen zu setzen im Kontext der politischen Lage im Gastgeberland des Wettkampf es, ist das ganz alleine seine Entscheidung. Zum Beispiel hat Luxemburg 1980 bei den Olympischen Spielen in Moskau mit seinen Athleten teilgenommen, obschon die luxemburgische Regierung damals zum politischen Boykott aufgerufen hatte.
REVUE: Kann nicht mehr auf die Verbände -NOKs, UEFA, etc. - eingewirkt werden?
JEAN ASSELBORN: Das wäre eine politische Einflussnahme, der ich mich ganz entschlossen verwehre. Die Verbände sind unabhängige Organisationen, die sich wiederum den nationalen Vereinen gegenüber verantworten müssen. Somit, glaube ich, ist es den Mitgliedern der Verbände - den Vereinen, den Sportlern - überlassen, die Umstände und Vorgehensweisen in den Verbänden zu kontrollieren und zu hinterfragen, wenn Unregelmäßigkeiten auftreten.
REVUE: Ist die Hoffnung auf Wandel nicht ein Irrtum?
JEAN ASSELBORN: Ich kenne genug motivierte Sportler, Vereins- und Verbandsmitglieder aus vielen verschiedenen Sportarten, die alle eintreten für Fairness und "reinen" Wettkampf, ebenso wie für die gute und reibungslose Organisation von Veranstaltungen. Sie alle arbeiten hart daran, Transparenz zu gewährleisten und somit das Vertrauen der Sportler und der Zuschauer in den jeweiligen Sport oder in die Veranstaltungen zu erhalten und zu stärken. Viele dieser Sportler und Organisationen sind Bürger, denen Menschenrechte nicht gleichgültig sind. Fatalismus ist hier fehl am Platze.
REVUE: Das Hauptaugenmerk in der Ukraine-Diskussion richtete sich auf Timoschenko. Andere Missstände scheinen außer Acht gelassen zu werden, kritisieren Menschenrechtsorganisationen. Sehen Sie das auch so?
JEAN ASSELBORN: Der Fall Timoschenko wird hoch mediatisiert und lenkt von anderen Missständen ab. Es gibt nämlich noch weitere Mitglieder der politischen Opposition, die ebenfalls unter dubiosen Umständen im Gefängnis gelandet sind. Das lässt darauf schließen, dass sie ganz einfach systematisch von den staatlichen Autoritäten kaltgestellt worden sind. Nur die EU kann mit ihrem Einfluss positiv einwirken. Bedingung ist, dass die Verbindung und die Verhandlungen EU-Ukraine nicht abgebrochen werden. Das Freihandelsabkommen ist ein wertvolles Instrument, um den Druck zu erhöhen.
REVUE: Wie sieht es mit der Visa-Liberalisierung aus?
JEAN ASSELBORN: Ein Visa-Dialog wurde 2008 mit der Ukraine ins Leben gerufen. Zum jetzigen Zeitpunkt können Luxemburger und andere EU-Bürger visa-frei in die Ukraine reisen aber die Ukrainer brauchen immer noch ein Visum um in den Schengenraum einzureisen.
Das aktuelle Visa-Erleichterungsabkommen der EU mit der Ukraine hilft aber den ukrainischen Bürgern die Prozeduren zu vereinfachen. Eine völlige Visa-Liberalisierung, im Sinne einer Visa-Freiheit, wäre die abschließende Weiterführung dieses Visa-Dialogs. Zwar kann die Ukraine in der Visa-Liberalisierung zuletzt einige Fortschritte aufweisen, aber die völlige Visa-Freiheit für die Ukrainer wird nicht von heute auf morgen erfolgen. Das ist eine Langzeitperspektive und manche wichtige Bedingungen müssen noch erfüllt werden auf ukrainischer Seite bis es so weit ist, vor allem in Fragen der Rechtsstaatlichkeit.
REVUE: Hätte man nicht viel früher reagieren müssen? Solche Zustände gab es ja nicht erst mit der Timoschenko-Verurteilung.
JEAN ASSELBORN: Es gab unter vorigen Regierungen und unter dem Präsidenten Juschtschenko große Hoffnungen, dass es in der Ukraine zu einer Wende kommen könnte. Leider haben diese Hoffnungen sich nicht verwirklicht. Das Volk hat dementsprechend diese politischen Führer auch in den letzten Wahlen abgestraft und Präsident Janukowitsch gewählt. Immerhin wurden die letzten Wahlen in der Ukraine als demokratischer Ausdruckswille des Volkes eingestuft. Es ist zu hoffen, dass im Oktober 2012 dieser demokratische Ausdruckswille ohne Einschränkungen zum Tragen kommt. Dies ist entscheidend für die Zukunft der Ukraine.
REVUE: Raten Sie luxemburgischen Bürgern davon ab, zur EM in die Ukraine zu fahren?
JEAN ASSELBORN: Nein, ausdrücklich nicht. Das soll ihre eigene Entscheidung sein. Ich rate lediglich den Mitgliedern der luxemburgischen Regierung ab, die in der Ukraine ausgetragenen Spiele der Fußball-EM zu besuchen. Politische Zeichen sollen gesetzt werden.