Jean Asselborn: Guten Morgen Herr Dobovisek.
Mario Dobovisek: Mursi sitzt in Haft, nun auch der Chef der Moslembrüder. Müssen die führenden Moslembrüder wieder freigelassen werden?
Jean Asselborn: Wir haben ganz klar schon vor einigen Wochen in Brüssel festgehalten, dass Mursi und alle politischen Gefangenen freigelassen werden sollen, ja.
Mario Dobovisek: Sind es denn aus Ihrer Sicht politische Gefangene, ohne Anklage?
Jean Asselborn: Also ich glaube dass Ägypten ja in einem Revolutionszustand ist. Sie haben angesprochen, dass der frühere Präsident Mubarak höchstwahrscheinlich freikommen wird, ich glaube hier sollten wir uns als Europäische Union uns in Zurückhaltung üben.
„Ist die Konterrevolution eingeleitet?“ wird ja schon getitelt von Ihren Kollegen Journalisten. Das ist eine berechtigte Frage. Aber hier glaube ich dass das riskant ist zu behaupten.
Wir sind in einer Situation, oder mit einer Situation konfrontiert – auch als Europäische Union – wo man klar sagen muss, auch den Menschen in Europa, dass so wenig die Europäische Union den Krieg in Syrien stoppen kann, kann auch selbstverständlich die Europäische Union – sie hat gar nicht die Mittel dazu – die Gewalt in Ägypten stoppen.
Wir müssen Richtlinien geben, wir müssen die richtigen Botschaften geben, darum werden wir uns morgen ja treffen, und uns dazu anstrengen.
Mario Dobovisek: Zurückhaltung ist das eine, hilflose Appelle das andere. Was kann denn die Europäische Union tun, wenn Sie zum Beispiel mit Ihren Amtskollegen morgen zusammensitzen?
Jean Asselborn: Ja, also ich glaube es gibt etwas wo wir in der Positionierung aufpassen müssen, dass wir uns jetzt nicht in eine Logik versetzen entweder auf der Seite des Militärregimes zu sein, oder auf der Seite der Islamisten.
Wir müssen im Hinterkopf haben, dass Ägypten das größte Land der arabischen Welt ist, 90 Millionen Einwohner, vor allem aber auch Dutzende Millionen arme und ärmste Leute. Es ist das Kernstück der arabischen Welt, und alles was hier positiv oder negativ geschieht, hat natürlich Auswirkungen.
Darum glaube ich werden wir uns einig sein, dass wir eine Botschaft formulieren, wo selbstverständlich – und ich weiß nicht wie man das anders sagen soll – die Gewalt gestoppt werden muss. Aber damit sie gestoppt wird, braucht man eine nationale Versöhnung. Und hier sind die Militärs, und die Übergangsregierung vor allem, gefordert.
Und drittens dass diese Notstandsgesetze wirklich sehr schnell außer Kraft gesetzt werden, dass die eigene Roadmap der Übergangsregierung, des Übergangspräsidenten, das heißt schnelle Ausarbeitung einer Verfassung, Wahlen organisieren, legitime Regierung, Militärs in die Kasernen, inklusive alle Schichten der ägyptischen Bevölkerung müssen vertreten sein. Das ist, glaube ich, die Grundbotschaft die wir geben müssen.
Mario Dobovisek: Das sind alles ehrenwerte Forderungen und auch Botschaften, Herr Asselborn.
Übergangsministerpräsident in Ägypten, Hasim Al-Beblawi, er sagt es könne keine Versöhnung geben mit denjenigen an deren Hände Blut klebe. Und damit meint er die Moslembrüder.
Das ist also so festgefahren, dass da auch noch nicht einmal ein Dialog möglich ist. Wird die Europäische Union früher oder später Position für die eine oder die andere Seite beziehen müssen?
Jean Asselborn: Nein, wir müssen Position für das ägyptische Volk und für das Land Ägypten beziehen. Mit Gewalt kann man, glaube ich, Ägypten nicht stabilisieren.
Wenn Sie mir erlauben, wenn Sie fortgehen von der Tahir-Bewegung, wo ja viele junge Menschen auch zum Teil ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, nicht um eine zugeknöpfte islamistische Gesellschaft zu erreichen, wo dann danach Wahlen waren, das stimmt, Mursi ist gewählt worden, demokratisch gewählt worden, aber Mursi hat einen kapitalen Fehler gemacht. Er hat sein Versprechen ein Präsident von allen Ägyptern zu sein, nicht eingelöst, nicht erfüllt. Er hat für einen Clan regiert. Und damit hat er wirklich Ägypten entzweit. Und das Dramatische was wir jetzt sehen, diese dramatischen Bilder, die Militärs die äußerst gewalttätig operieren, was nicht zu entschuldigen ist, die Moslembrüder die kriegerisch vorgehen, und wir als Europäische Union, wir müssen ja an die Menschen denken in Ägypten.
Sehen Sie, wenn wir uns jetzt über Sanktionen unterhalten, dann sind die Menschen sanktioniert, die Betriebe schließen, die Investitionen sind gestoppt, der Tourismus liegt auf dem Boden. In Luxor, in der Region, sind 40.000 Betten, es sind zurzeit etwas mehr als 1.000 besetzt. Sie sehen also, wenn wir als Europäische Union keine Perspektive geben, und die Perspektive ist für mich auch ganz klar, wir sind eine Referenz für die arabische Welt, und vor allem für Ägypten, was Rechtsstaatlichkeit angeht, was Menschenrechte angeht, was Demokratie angeht. Diese Werte kann man sich ja schlecht einkaufen gehen in der arabischen Welt. Und darum ist es so wichtig, dass wir einen Link, also eine Brücke zum ägyptischen Volk, ich sage noch einmal zum ägyptischen Volk, das so dramatisch leidet, dass wir das nicht abbrechen.
Mario Dobovisek: Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel hat gestern angekündigt, seine Entwicklungshilfe, die deutsche Entwicklungshilfe für Ägypten in diesem Jahr einzustellen. Also ist das eine finanzielle Sanktion, und damit falsch, Herr Asselborn?
Jean Asselborn: Also ich glaube wir sollten in der Europäischen Union, wenn wir uns schon als Außenminister so schnell, und was auch richtig ist, zusammensetzen, versuchen eine gemeinsame Position zu bekommen.
Und ich will kein Land kritisieren, aber wenn wir sagen, wir kommen als Europäische Union zusammen und um Richtlinien uns zu geben, sollte man versuchen auch das einzuhalten.
Ich bin auch total der Meinung dass humanitäre Hilfe, und auch Hilfe für den Aufbau, Sie wissen ja dass 5 Milliarden theoretisch zur Verfügung stehen, zwei Milliarden von der Europäischen Investitionsbank, zwei Milliarden von der BERD – der Bank für Wiederaufbau, glaube ich heißt das auf Deutsch – die zur Verfügung stehen, dass man das an Bedingungen knüpft, ist ja normal, und ist auch notwendig. Dass aber jetzt Länder eigene Positionen nehmen, bevor wir europäische Richtlinien zu Ägypten fixiert haben, da muss man aufpassen dass man nicht, sagen wir einmal, das Ziel nicht erreicht um wirklich den Druck auszuüben auf das Regime, aber auch die richtige Botschaft an die Menschen in Ägypten zu geben.
Mario Dobovisek: Wenn Sie Sanktionen kritisch sehen, und auf der anderen Seite die Ägypter ganz offensichtlich auch der Europäischen Union nicht zuhören bei den vielen Appellen, was bleibt Ihnen dann für morgen?
Jean Asselborn: Ich bin wirklich nicht sicher, Herr Dobovisek, ob wir nicht als Referenz, ob wir nicht zugehört bekommen von den Menschen in Ägypten, das ist es. Es gibt nicht, es ist ja nicht nur jetzt ein Interimspräsident, morgen ist wieder vielleicht ein anderer da, oder die Militärs.
Es sind die Menschen in Ägypten, und die NGOs vor allem auch, die Gesellschaft in Ägypten. Hier darf man nicht den Fehler machen, noch einmal, dass man die Falschen bestraft.
Ägypten ist sanktioniert, Ägypten ist erniedrigt, Ägypten liegt am Boden, und wir als Europäische Union, auch unsere geschichtliche Nähe, unser kulturelle Nähe, da dürfen wir nicht die falschen Botschaften geben.
Mario Dobovisek: Die finanziellen Hilfen und auch Sanktionen haben noch einen weiteren Aspekt, denn auch die Saudis helfen Ägypten, und kündigen an jede wegfallende Unterstützung des Westens ausgleichen zu wollen.
Was hat Ägypten auf der einen Seite zu verlieren, und auf der anderen Seite, wie gefährlich schätzen Sie dieses Engagement ein?
Jean Asselborn: Also es ist ja erstaunlich auch dass diese Entwicklung jetzt stattfindet, dass Länder auch wie Saudi-Arabien, die ich selbstverständlich sehr respektiere für die Hilfe die sie der Welt geben, dass sie das jetzt auf einmal sagen. Dasselbe könnte man sagen, wenn man an die Palästinenser denkt.
Ich glaube, und Sie dürfen mich nicht falsch verstehen, es geht hier nicht nur um Geld, um Hilfe. Es geht vor allem um diese Referenz, die wir Europäer für viele Menschen in der arabischen Welt sind, denken Sie in Tunesien, aber denken Sie auch in Ägypten an die Menschen, die am Tahir Platz waren, die ja das Ganze in Bewegung gesetzt haben, da geht es mehr als um Geld. Es geht um, sagen wir einmal, um eine Art zu leben, wo Rechtsstaatlichkeit, wie ich gesagt habe, Menschenrechte und Demokratie eine große Rolle spielen. Darum geht es. Und hier dürfen wir nicht enttäuschen.
Mario Dobovisek: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn über die bescheidenen Möglichkeiten der Europäischen Union Druck auf die Konfliktparteien in Ägypten auszuüben. Ich danke Ihnen für das Interview, Herr Asselborn.
Jean Asselborn: Danke Herr Dobovisek.