Xavier Bettel au sujet du rôle du Luxembourg dans l’Union européenne

"Wir leben Europa jeden Tag"

Anmoderation:

Das Land hat nur eine halbe Million Einwohner, ein Zwerg. Und doch kannte jeder Europäer den Regierungschef. Bis letztes Jahr war es Jean-Claude Juncker.

Aber auch sein Nachfolger setzt durchaus Akzente, farbliche in seinem Büro und politische in Sachen Ausländerstimmrecht. Xavier Bettel ist der Name den man sich durchaus merken kann. EU-Korrespondent Oliver Washington hat den luxemburgischen Premier getroffen.

Interview von Oliver Washington (SFR):

Xavier Bettel empfängt mich in seinem Büro in Luxemburg. Noch bevor das Interview beginnt, führt er durch seinen Amtsitz, zeigt sein Büro und das Sitzungszimmer der Regierung, und weist auf die Wände und die Bilder, die er da aufgehängt hat. Popartbilder mit starken Farben – rot, gelb, grün.

Xavier Bettel (O-Toun): Ich brauche Farbe, ich brauche Farbe und diese Kunst ist die Kunst die mir gefällt. Wenn ich hier in mein Büro reinkomme, dann freue ich mich.

Oliver Washington: Bettel ist 41 Jahre alt. Vor einem Jahr hat er den politischen Übervater seines Landes, Jean-Claude Juncker, aus dem Regierungssitz in Luxemburg verdrängt. Doch seit Neuestem steckt seine Regierung in einem Popularitätstief. Ein Sparpaket hat die Umfragewerte in den Keller sinken lassen.

Xavier Bettel (O-Toun): Wissen Sie, Politiker kann sein dass man nichts tut, um nur wiedergewählt zu werden. Ich mache lieber das was wichtig ist für mein Land, auch wenn ich dafür vielleicht eine Stimmeneinbusse haben muss. Ist egal.

Oliver Washington: Ein Mann mit Visionen, dieser Xavier Bettel, oder einfach ziemlich cool? Doch sprechen wir über Europa und beginnen wir mit der schweizer Perspektive. Hat er sich nie überlegt, ob ein Alleingang nicht auch für sein Land besser wäre? Bettel traut seinen Ohren nicht.

Xavier Bettel (O-Toun): Wer, Luxemburg? Nein, diese Frage stelle ich mir nicht.

Oliver Washington: Xavier Bettel ist von Europa überzeugt. Für ihn ist die EU eine Erfolgsgeschichte. 70 Jahre Frieden seien Beweis genug, und auch sein Land habe von Europa nur profitiert.

Xavier Bettel (O-Toun): Wir sind Mitgründer der EU, und wir leben Europa jeden Tag. Wir haben in Luxemburg fast 50% nicht-Luxemburger. Wir haben in der Hauptstadt fast 70% nicht-Luxemburger. Und wenn wir diesen Meltingpot von Leuten nicht hätten, wäre Luxemburg heute nicht das was es ist.

Oliver Washington: Luxemburg gehört zu den Mitgründern der EU, zusammen mit grossen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Italien. Dieses europäische Selbstverständnis kommt in praktisch jedem Satz zum Ausdruck. Europa ist für den luxemburgischen Regierungschef nicht verhandelbar. Jetzt in der Wirtschafts- und Schuldenkrise erst recht nicht. Und von den Euro-Skeptikern hält er überhaupt nichts.

Xavier Bettel (O-Toun): Immer wenn es finanziell nicht gut geht, dann muss man irgendeinen Schuldigen finden. Und Europa ist einfach jetzt als Sündenbock zu nehmen, indem man sagt, Europa ist schuld dran dass – das ist eine einfache, simplistische, populistische Lösung.

Oliver Washington: Bettel hingegen ist überzeugt, dass die europäischen Länder die anstehenden Probleme nur gemeinsam lösen können. Und dabei hat er klare Vorstellungen, welche Rolle sein Land auf europäischer Ebene zu spielen hat. Kurz nach seiner Amtsübernahme sagte er in einem Interview, Zitat: „Wir sind ein Land das Kompromisse sucht, und keine Ellbogenpolitik betreibt. Diese europäische Tradition will ich fortsetzen.“ Zitatende. Das gilt auch heute und morgen, wenn sich die Staats- und Regierungschefs zu einem Gipfel treffen und über Klimapolitik und die Wirtschaftskrise diskutieren.

Xavier Bettel (O-Toun): Das heisst, manchmal, wenn es Länder gibt die sich nicht einigen, dass auch ein kleines Land wie Luxemburg sprachenmässig einen Vorteil hat, dass man Englisch, Deutsch, Französisch kann, und dann manchmal probiert Lösungen zu finden, weil es beim Wording manchmal auch da Unterschiede gibt, und dass man da Kompromisse dann vorschlägt.

Oliver Washington: Luxemburg also als Übersetzer, wenn sich die anderen nicht verstehen. Und trotzdem weist Xavier Bettel die Aussage vehement zurück, dass Luxemburg zwar etwas Übersetzungshilfe leisten könne, aber ansonsten als zweitkleinstes EU-Land nicht viel zu sagen habe, wenn Merkel, Hollande, Cameron und Renzi mit am Tisch sitzen.

Xavier Bettel (O-Toun): In Europa ist es nicht, dass ein Land, oder zwei Länder entscheiden für alle anderen. Wir sind zu 28, und es gibt sehr viele Fragen wo es auch eine Einstimmigkeit geben muss. Und bei den Conclusions die wir in Brüssel bekommen, ist es auch der Fall.

Oliver Washington: Bei vielen Fragen können die Staats- und Regierungschefs nur entscheiden, wenn alle einer Meinung sind. Hier zeigt sich die Macht der Kleinen. Auch sie können sich querstellen und die EU blockieren.

Wenn also beispielsweise die Schweiz und auch Grossbritannien die Personenfreizügigkeit neu aushandeln, und jährliche Kontingente einführen wollen, Luxemburg davon aber nichts wissen will, läuft gar nichts. Bettel sagt dann auch klar und deutlich.

Xavier Bettel (O-Toun): Die freie Bewegung in Europa gehört zu den Grundrechten in Europa, und ist für mich nicht zu verhandeln.

Oliver Washington: Der Unterschied zwischen der Schweiz und Luxemburg könnte nicht grösser sein, beim Verhältnis zur EU, und bei Ausländerfragen. Die Schweiz möchte die Einwanderung einschränken, die Regierung Luxemburgs hingegen plant für nächstes Jahr eine Abstimmung, Ausländer sollen auch auf nationaler Ebene mitwählen können. Das wäre ein Novum in Europa. Wenn schon fast 50% der luxemburgischen Bevölkerung Ausländer sind, sollen sie auch mitentscheiden können, sagt Bettel.

Xavier Bettel (O-Toun): Ich werde auf jeden Fall erklären, wieso ich der Überzeugung bin, dass es schon wichtig ist, dass wir der Realität uns anpassen müssen, unser Land modernisieren, und da gehört auch ein Mitbestimmungsrecht von den Bürgern.

Oliver Washington: Es gibt tatsächlich Regierungen, die auch in der aktuellen Krise ihr Land weiter öffnen wollen. Ob er damit Erfolg haben wird, Xavier Bettel wagt keine Prognosen. Bis jetzt auf alle Fälle war Luxemburg in Ausländerfragen offen und aufgeschlossen.

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