Bilanz von Xavier Bettel nach einem Jahr an der Spitze der Regierung

"Wir leben nicht mehr im Märchenwald"

Interview: Dani Schumacher

Luxemburger Wort: Herr Premierminister, macht das Regieren nach einem Jahr noch Spaß?

Xavier Bettel: Ja, viel Spaß sogar. Obwohl Spaß ist nicht unbedingt das richtige Wort. Richtig muss es heißen: Meine Arbeit bereitet mir nach wie vor große Freude, obwohl wir keine einfachen Zeiten durchleben. Ich sehe meine Arbeit als Herausforderung. Ich treffe die Entscheidungen, von denen ich überzeugt bin, dass sie richtig und gut für Luxemburg sind. Ich treffe keine Entscheidungen, weil ich wiedergewählt werden will. Ich habe einen Beruf, in den ich zurückkehren kann, wenn ich keine Politik mehr mache.

Luxemburger Wort: Wie fällt Ihre Bilanz nach Ihrem ersten Amtsjahr Jahr aus?

Xavier Bettel: Ich bin stolz auf das, was wir in den letzten zwölf Monaten geleistet haben, auch wenn es eine schwierige Zeit war, sowohl national wie international. Vieles von dem, was wir getan haben, ist allerdings schon wieder in Vergessenheit geraten. Gleich zu Beginn haben wird den Haushalt 2014 ausgearbeitet, der immerhin Ersparnisse in Höhe von 230 Millionen Euro enthält. Darüber spricht heute schon niemand mehr. Von der Novellierung des Geheimdienstgesetzes spricht ebenfalls kaum noch jemand, das gleiche gilt für das Omnibusgesetz. Beide befinden sich längst auf dem Instanzenweg. Wir haben Studienbeihilfen reformiert, ein schwieriges Dossier übrigens, das die Vorgängerregierung uns hinterlassen hatte. Kaum noch thematisiert werden zudem die Neuerung bei der technischen Fahrzeugkontrolle oder die fixen Radargeräte. Dann haben wir eine neue Führung bei der Polizei eingesetzt. All dies sind Baustellen, bei denen es der Vorgängerregierung nicht gelungen ist, sie fertigzustellen.

Luxemburger Wort: Hatten Sie erwartet, dass Ihnen und der Regierung der Wind nach so kurzer Zeit so heftig ins Gesicht blasen würde, hatten Sie mit soviel Kritik gerechnet?

Xavier Bettel: Am Anfang weiß man nie, wie stark der Gegenwind sein wird. Was mich allerdings beruhigt, ist die Tatsache, dass die rezenten Umfragen ergeben haben, dass mehr als 80 Prozent der Bürger überzeugt sind, dass in Luxemburg etwas geschehen muss. Es würde mir Sorgen bereiten, wenn die Mehrheit der Bevölkerung die Meinung vertreten würde, dass alles beim Alten bleiben sollte. Dann hätte ich nämlich ein gravierendes Problem, wenn ich den Menschen den Sinn und Zweck unserer Politik erklären soll. Es ist beruhigend zu wissen, dass die meisten Bürger sich mittlerweile bewusst sind, dass wir in Luxemburg nicht mehr in einem Märchenland leben, in dem alles möglich ist. Das Problem ist nur, dass die meisten Menschen zwar wissen, dass etwas passieren muss, dass sie gleichzeitig aber nicht wollen, dass sich etwas an ihrer persönlichen Situation ändert. Es wird für mich eine echte Herausforderung, den Leuten verständlich zu machen, weshalb wir die eine oder die andere Maßnahme ergreifen, ergreifen müssen. Wir müssen die Haushaltssituation einfach in den Griff bekommen. Vor den Wahlen hatte ich ganz klar gesagt, dass ich keine Finanzsituation akzeptieren würde, die zu Lasten der kommenden Generationen geht. Ich will, dass die Menschen das verstehen. Ich will nicht, dass die Gesellschaft in dieser Frage gespalten ist.

Luxemburger Wort: Es gab aber selten eine Regierung, die derart polarisiert ...

Xavier Bettel: Ich bin mir dessen durchaus bewusst. Wenn man Entscheidungen trifft, polarisiert man! Wenn ich beliebt sein will, würde ich keine Entscheidungen treffen. Eine Politik ohne Entscheidungen können wir uns aber nicht länger leisten. Nichts tun, ist keine Option.

Luxemburger Wort:  Sie haben mehrfach betont, dass Sie sich nicht an den Ergebnissen der Umfragen messen lassen wollen. Dennoch können Sie das Umfragetief, in dem die Regierung zurzeit steckt, nicht vollständig ignorieren ...

Xavier Bettel: ...Umfragen sind immer Momentaufnahmen. Ich wiederhole es noch einmal, ich werde mich nicht an den Sympathiewerten messen lassen, sondern an dem, was diese Regierung für das Land tut. Ich habe aber Verständnis dafür, dass die Menschen über die einzelnen Maßnahmen nicht wirklich erfreut sind. Wenn die Umfragewerte nicht gut sind, bedeutet das nicht unbedingt, dass ich falsch liege. Ich bin mir durchaus bewusst, dass die Aufklärung besser werden muss, dass ich unsere Entscheidungen besser erklären muss. Wenn nämlich eine breite Mehrheit sich für Veränderungen ausspricht, anschließend aber die Zustimmung gering ist, deutet das darauf hin, dass es ein Problem bei der Vermittlung gibt. In den nächsten Monaten muss ich mit meinen Regierungskollegen an einer besseren Vermittlung arbeiten.

Luxemburger Wort: Womit wir beim Thema Kommunikation wären. Wieso kriegen Sie, bzw. bekommt die Regierung ihre Kommunikation nicht richtig in den Griff?

Xavier Bettel: Wenn man nichts sagt, wird auch niemand meckern. Jahrelang wurde wenig kommuniziert, also fand sich auch wenig Anlass zur Kritik. Wenn man viel kommuniziert, gibt es auch viel Material, an dem man sich reiben kann. Diese Regierung hat sich nun einmal für die Transparenz entschieden. Wenn man sich für mehr Transparenz entscheidet, macht man sich unweigerlich angreifbar. Ein Beispiel: Nur weil wir die Absenkung der Akzisen auf dem Tabak nicht im Eilverfahren durchgeboxt, sondern erst Gutachten eingeholt haben, konnte in der Öffentlichkeit darüber diskutiert werden. Übrigens ist es nicht das erste Mal, dass der Anstieg der Mehrwertsteuer über eine Absenkung der Akzisen ausgeglichen wird.

Luxemburger Wort: Wird nicht zu viel, oder vielmehr, wird nicht richtig kommuniziert?

Xavier Bettel: Sicher, man kann immer einwenden: "trop de communication tue la communication". Ich glaube aber, dass wir das richtige Gleichgewicht gefunden haben. Ich bin aber lernfähig. Ich bin nicht als Premierminister zur Welt gekommen, ich lerne jeden Tag hinzu. Ich muss allerdings zugeben, dass wir nicht nur mit der LuxLeaks-Affäre konfrontiert wurden. Es gab auch mehrere "Government-Leaks". Einige Informationen sind noch im embryonalem Stadium in die Öffentlichkeit gelangt, lange bevor das Projekt ausgereift war. Ich habe Verständnis für die Presse, sie muss ihre Arbeit machen. Doch ich muss zugeben, dass es äußerst schwierig ist, wenn man anschließend hinter den Dingen herlaufen muss, wenn man der Öffentlichkeit Konzepte erklären muss, die sich innerhalb der Regierung erst in der Ausarbeitungsphase befinden. Das ist nicht einfach.

Luxemburger Wort: Fürchten Sie angesichts der schlechten Umfragewerte nicht, dass es bei den Referenden zu einer Abstimmung über die blau -rot -grüne Regierung kommen könnte?

Xavier Bettel: Ich glaube nicht. Bei der Volksbefragung sind Regierung, Opposition, aber auch die Presse gleichermaßen gefordert. Wir müssen uns gemeinsam entscheiden, welches Land wir in Zukunft haben wollen. Wir müssen gemeinsam entscheiden, wie wir das Land modernisieren wollen. Es geht nicht darum, ob man die Regierung oder die Opposition besser findet, oder ob man Bettel oder Wiseler lieber mag. Das wäre dramatisch. Ich traue den Bürgern zu, dass sie genau wissen, dass ihr Ja oder ihr Nein beim Referendum keine Abstimmung für oder gegen diese Regierung ist, sondern eine Abstimmung über die Zukunft des Landes. Die Wähler müssen sich dieser Frage stellen. Es wäre furchtbar, wenn die Wähler sich zur Geisel der Politik machen lassen würden. Obwohl wir hierzulande keine Referendumstradition haben, bin ich der festen Überzeugung, dass die Volksbefragung ein neues Kapitel auf dem Weg zu mehr Demokratie sein wird. Übrigens haben die rezenten Umfragen gezeigt, dass ein Großteil der Bevölkerung das Referendum begrüßt, die Bürger wollen sich an der Zukunftsgestaltung des Landes beteiligen. Sie wollen ihre Meinung äußern. Ich will aber unterstreichen, dass es einer objektiven Kampagne bedarf, an der sich alle, die Parteien und die politischen Institutionen, beteiligen.

Luxemburger Wort: Neben der Transparenz ist die soziale Selektivität eines der großen Ziele dieser Regierung. Sind Sie Ihrem Ziel schon etwas näher gekommen?

Xavier Bettel: Wir arbeiten daran. Ich verstehe natürlich, dass die Bevölkerung ungeduldig ist, aber wir sind für fünf Jahre gewählt, und die Regierung ist erst ein Jahr im Amt. Wir haben also noch vier Jahre Zeit. Wenn wir von Geldleistungen auf Sachleistungen übergehen, ist dies ein Schritt hin zu mehr sozialer Selektivität. Bei der Reform der Studienbeihilfen wurde dem Prinzip bereits Rechnung getragen, durch die Reform spielt die soziale Selektivität.

Luxemburger Wort: Sie zeigen Verständnis dafür, dass die Menschen ungeduldig sind. Hat die Dreierkoalition sich die Latte nicht selbst zu hoch gelegt, befürchten Sie nicht, dass Sie die hohen Erwartungen nicht erfüllen können?

Xavier Bettel: Die Erwartungen sind hoch, und wir wollen auch niemanden enttäuschen. Doch ich wiederhole es noch einmal: Die Regierung wurde für fünf Jahre gewählt. Vieles von dem, was wir getan haben, ist längst kein Thema mehr. Denken Sie nur an die zivile Feier am Nationalfeiertag, an das wöchentliche Pressebriefing, das dazu jetzt live übertragen wird, von all diesen Dingen spricht schon niemand mehr, sie sind schon selbstverständlich geworden. Das Problem ist, die eine Hälfte der Bevölkerung fühlt sich überrumpelt, der anderen Hälfte geht es nicht schnell genug.

Luxemburger Wort: Die LuxLeaks-Affäre stellt die Regierung vor enorme Herausforderungen. Müssen wir das Luxemburger Geschäftsmodell überdenken?

Xavier Bettel: Ich glaube, wir sind uns alle einig. Der Finanzsektor darf uns nicht egal sein. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass es problematisch ist, wenn man nur auf einen einzigen Sektor setzt. Es wäre deshalb ein schwerer Fehler, wenn wir nach dem Stahlsektor und dem Finanzwesen in Zukunft erneut ausschließlich auf eine Branche setzen würden. Wir müssen unsere Wirtschaft diversifizieren. Wir dürfen nicht länger von einem einzigen Sektor abhängig sein. Man kommt nämlich schnell in die Bredouille, wenn es in dem einen Sektor nicht mehr richtig läuft. Das heißt aber nicht, dass wir den Finanzsektor aufgeben sollen, ganz im Gegenteil. Doch wir müssen die internationalen Spielregeln einhalten. Wir setzen den Weg fort, den mein Vorgänger Jean-Claude Juncker schon eingeschlagen hatte. Wir setzen auf Transparenz und Informationsaustausch, wir haben das Bankgeheimnis abgeschafft. In der internationalen Presse wird öfters versucht, Jean-Claude Juncker und mich gegeneinander auszuspielen. Doch ich will auch betonen, dass wir von den europäischen Regierungschefs keine Schelte wegen der Lux-Leaks-Affäre bezogen haben. Unser Ziel muss es sein, den Finanzplatz als Kompetenzzentrum zu etablieren. Wir sind längst kein Zentrum mehr, wo man Dinge tun kann, die im Ausland nicht möglich sind. Was nun Lux Leaks betrifft, möchte ich noch einmal unterstreichen, dass sich das Thema nicht für Parteipolitik eignet.

Luxemburger Wort: Wie hat das Amt Ihr Leben verändert?

Xavier Bettel: Das Amt des Premiers bedeutet natürlich eine riesige Umstellung, beruflich wie auch privat. Vieles ist vollkommen anders als vorher. Zum Beispiel der direkte Kontakt zu den Menschen. Ich vermisse diesen Kontakt. In meiner Zeit als Bürgermeister konnten die Bürger jederzeit zu mir ins Büro kommen, aus Sicherheits- und aus Zeitgründen ist das leider nicht länger möglich. Ich versuche allerdings nach wie vor, auf die vielen Briefe und Mitteilungen zu antworten. Umgekehrt habe ich als Premier abends und am Wochenende weniger Verpflichtungen als Bürgermeister. Das lässt mir mehr Zeit für mein Privatleben. In meiner Freizeit bin ich dann auch immer wieder im Land unterwegs und besuche, wie andere auch, diverse Veranstaltungen. Ich liebe es unter Menschen zu sein. Ich bin kein Premier, der nur im Büro sitzt.

Luxemburger Wort: Letzte Frage. Welche Vorsätze nimmt sich der Premierminister und welche Vorsätze nimmt sich der Privatmann Xavier Bettel für 2015?

Xavier Bettel: Als Premier will ich meine Arbeit fortführen, damit wir unsere Ziele im Interesse des Landes erreichen. Ich muss sie vielleicht besser erklären, damit die Menschen auch verstehen, weshalb wir tun, was wir tun. Ich stehe ja nicht morgens auf und frage mich, wen kann ich heute wieder ärgern. Was mich persönlich anbelangt, wäre es sicherlich kein Fehler, wenn ich wieder etwas mehr Sport treiben würde. Allerdings reicht die Zeit meist nicht. Und ich will mir möglichst viel Zeit für die Menschen nehmen, die ich liebe und mit denen ich gerne zusammen bin.  

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