Interview de François Bausch avec le Forum

"Wenn wir in Zukunft dezentral Gebiete entwickeln, müssen wir Mobilität und Wohnungsbau von Anfang an mitdenken"

Interview: Forum (Stephanie Majerus und Laurent Schmit)

Forum: In der Chamberdebatte über Landesplanung am 19. März sagten Sie: "Mir lafen der Wuestumssituatioun gnadenlos no". Im Interview mit dem Lëtzebuerger Land meinten Sie, "das Wachstum ist nicht das Problem". Wie passen diese Aussagen zusammen?

François Bausch: Grundsätzlich glaube ich nicht, dass sich Wachstum steuern lässt - vor allem nicht in einer so offenen Wirtschaft wie Luxemburg, die komplett auf Export ausgerichtet ist. Das Wachstum hängt an vielem, was wir in der Vergangenheit aufgebaut haben - Stichwort Finanzplatz. Auch die Landesplanung hat also keinen Einfluss auf das Wachstum, aber wir können über dieses Instrument die Qualität des Wachstums beeinflussen. Wenn wir uns in den nächsten Jahren in einem ähnlichen Rhythmus entwickeln wie in den letzten 15 Jahren, dann sollten wir das so steuern, dass der Landverbrauch effizienter wird. Wenn ich Luxemburg mit dem Saarland vergleiche: Die Fläche ist ungefähr die gleiche, aber im Saarland leben doppelt so viele Menschen und trotzdem hält sich dort die Zersiedlung in Grenzen. Im europäischen Vergleich sind der Zersiedlungsgrad und der Landverbrauch in Luxemburg dagegen mit am höchsten.

Forum: Der Unterschied ist aber, dass die Entwicklung im Saarland sich über lange Zeit hinzog, während die extrem hohen Wachstumsraten in Luxemburg dazu führen, dass jedes landesplanerische Szenario überholt ist, sobald es veröffentlicht wird. Erklärt sich so das Scheitern der Landesplanung in den letzten Jahren?

François Bausch: Das sind in der Tat Luxemburger Besonderheiten: Erstens wuchsen die Bevölkerung und die Beschäftigung selbst während der Wirtschaftskrise und zweitens liefen diese Entwicklungen sehr schnell ab. Das hat natürlich mit dem Finanzplatz zu tun, der wie ein Magnet für Luxemburg gewirkt hat. Das Scheitern erklärt sich aber vor allem daraus, dass der Mut fehlte, Entscheidungen zu treffen und die Steuerung anders zu gestalten. Ich habe in der Parlamentsdebatte das Verhältnis zwischen Privateigentum und Allgemeinwohl angesprochen: Das ist eine Schlüsselfrage. Es braucht auch den Mut, in der Verkehrspolitik nicht mehr auf den Individualverkehr zu setzen, sondern auf den öffentlichen Transport. Diese Entscheidungen wurden nie getroffen. Auf dem Papier bestanden die Instrumente - etwa im IVL -, aber nicht eines davon wurde umgesetzt. Die Entwicklung überholte die Szenarien und trotzdem wurde alles laufen gelassen. Ohne Landesplanung hat sich alles um die Stadt Luxemburg angesiedelt und der Rest des Landes blutete quasi aus. Darin liegt auch die Ursache für die Mobilitätsprobleme in Luxemburg-Stadt. Die Herausforderung ist also eine doppelte: Da die Stadt weiter ein Anziehungspol bleiben wird, müssen wir dort besser planen. Wenn wir in Zukunft dezentral Gebiete entwickeln, müssen wir Mobilität und Wohnungsbau von Anfang an mitdenken.

Forum: In der angesprochenen Chamberdebatte fiel der Begriff Wachstum recht oft. Wird es eine Debatte dazu geben müssen?

François Bausch: Wir werden darüber diskutieren müssen, weil wir diese Wachstumsraten nicht mehr erreichen werden und das Folgen für das gesamte Luxemburger Modell haben wird. Was aber die Landesplanung betrifft, ist es jetzt dringend notwendig, endlich die Instrumente zu schaffen, die wir brauchen, um dieses Land anders aufzustellen. Dazu muss man die Debatte positiv angehen. Das negative Beispiel ist die Debatte über den 700.000-Einwohner-Staat die vor einigen Jahren geführt wurde, die nur dazu führte, dass alles erstarrte und nichts sich änderte.

Forum: Die projets d'envergure, die geplant waren und nun zum Teil ausgesetzt sind, trafen bei einigen Gemeindeverantwortlichen auf Widerstand, weil sie nicht wollen, dass ihre Gemeinde derartig schnell wächst. Wie wollen in diesem Punkt vorgehen?

François Bausch: Wir werden die projets d'envergure nicht alle fallen lassen, denn es sind auch Projekte dabei, wo die Grundstücke bereits der "Société nationale d'habitation à bon marché" gehören - da wollen wir das Gespräch mit den betroffenen Gemeinden suchen. Wir wollen aber vor allem zu Projekten umschwenken, die zur Verdichtung innerhalb des Bauperimeters führen. Andere Vorhaben sind tatsächlich problematisch. So war etwa ein Projekt am Rande Echternachs geplant, wo der öffentliche Transport nicht hinkommt. Bei Gesprächen hat sich herausgestellt, dass die meisten Projekte entstanden, weil der Wohnungsbauminister unter Handlungsdruck stand. Der größte Fehler bei der Ausarbeitung der Pläne war, dass mit den Gemeinden nicht abgesprochen wurde, welche kommunalen Projekte bereits in Planung sind. Ich weiß von meiner vorigen Funktion als Schöffe der Stadt Luxemburg, dass dort PAPs bestehen, die - wenn sie alle umgesetzt werden - zu einer Stadtbevölkerung von 125.000 innerhalb von zehn Jahren führen werden. Und dabei handelt es sich ausschließlich um Verdichtung, d. h. dort wurde der Bauperimeter nicht verändert.

Forum: Die Bedenken der Gemeindeverantwortlichen erklären sich zum Teil daraus, dass in vielen Gemeinden die Infrastrukturen bereits jetzt ausgelastet sind ...

François Bausch: Deshalb bin ich auch der Meinung, dass man sehr genau überlegen muss, in welchen Gemeinden man solche Projekte verwirklicht. In Luxemburg fehlt es oft an urbaner Qualität, d. h. Einkaufsmöglichkeiten in direkter Nähe, ein guter öffentlicher Transport, Betreuungseinrichtungen für Kinder usw. Dann braucht auch nicht jeder ein Auto. Weil eben diese Qualität in Luxemburg lange nicht bestand, hatten die Menschen eher die Tendenz außerhalb der Stadt zu wohnen. Das Resultat ist die heutige Zersiedlung des Landes. Deshalb sollten wir uns auf die urbanen Räume konzentrieren: Das sind neben der Stadt Esch-Belval und die Nordstadt. Dann hätten wir nicht das Problem wie heute mit den Schlafgemeinden, wo die Hausbesitzer ihren Hügel haben und sich gegen jedes Bauprojekt in ihrer Nachbarschaft wehren. Das ist natürlich verständlich, weil sie sich ja meist gegen ein Leben in der Stadt entschieden haben und den ländlichen Charakter ihrer Ortschaft erhalten wollen.

Forum: Die Debatte über die Sektorpläne offenbart eine Grundsatzdebatte zwischen dem Schutz des Privatbesitzes und dem Allgemeinwohl. Wie wollen Sie dieses Verhältnis neu definieren?

François Bausch: In Luxemburg ist der Schutz des Privateigentums so hoch wie nirgendwo sonst. Die Schweiz ist z. B. ein liberales Land, aber dort ist die Situation ganz anders. Zwei Beispiele: Die Place de l'Étoile liegt seit 30 Jahren brach und blockiert die Entwicklung der Stadt. Es ist eine unhaltbare Situation, dass solches Bauland aus Spekulationsgründen Jahrzehnte zurückgehalten wird. Der Staat muss die Mittel haben, um Besitzer solcher Grundstücke zu enteignen. Ein zweites Beispiel ist der Bau eines Lyzeums im Norden. Wenn der Staat dort für Grundstücke außerhalb des Bauperimeters Preise wie in der Hauptstadt zahlt, dann ist das nicht normal. Wir brauchen also Vorkaufsrechte.

Forum: Wie wollen Sie diese Eingriffe juristisch absichern?

François Bausch: Wir müssen unsere Gesetze dahingehend anpassen, das ist klar. Es geht auch nicht darum, im großen Maßstab zu enteignen oder Vorkaufsrechte einzufordern. Doch wenn der freie Markt nicht mehr funktioniert, dann hat der Staat eine Verpflichtung im Sinne des Allgemeinwohls einzugreifen. Beim Bau einer öffentlichen Schule braucht es einfach den Mut die "utilite publique" in das Gesetz einzuschreiben, um Enteignungen zu ermöglichen. In Fällen wie den der Place de l'Étoile gäbe es auch die Möglichkeit solche Grundstücke höher zu besteuern.

Forum: Momentan gibt sich Luxemburg eine neue Verfassung. Im deutschen Grundgesetz steht der Satz:"Eigentum verpflichtet." Sollte man dies übernehmen?

François Bausch: Ich bin nicht an der Verfassungsreform beteiligt. Persönlich bin ich der Meinung, dass dieser Satz absolut berechtigt ist und eigentlich gut in eine Verfassung passen würde. Ob das Parlament das macht, wird sich zeigen. Doch selbst wenn nichts davon in der Verfassung steht, glaube ich, dass wir uns die gesetzlichen Mittel geben müssen, um in solchen Fällen zu agieren.

Forum: Oft wird kritisiert, dass die Landesplanung in Luxemburg zentralistisch und dirigistisch sei. Trifft diese Einschätzung zu? Wie kann die nationale Planung mit der Gemeindeautonomie in Einklang gebracht werden?

François Bausch: Diese Kritik ist nicht unberechtigt. In der Vergangenheit wurden viele Fehler gemacht. Ich war acht Jahre im Schöffenrat der Stadt Luxemburg und habe deshalb viel Verständnis für diese Kritik. Die Gemeinden tragen auf der anderen Seite auch Verantwortung. Autonomie heißt nicht, dass sie sich nicht allgemeinen Regeln unterwerfen müssen. In der Ausarbeitung der Pläne wurden die Gemeinden nicht miteinbezogen - das war ein Fehler. Das wird sich nun ändern: Der Syvicol wird an der transversalen Arbeitsgruppe teilnehmen, wo alle Informationen zur Überarbeitung der Sektorpläne zusammenlaufen und wo über die einzelnen Elemente entschieden wird. So bekommen wir von Beginn an auch das Feedback der Gemeinden. Ich bin überzeugt, dass die Pläne dann auf weit weniger Widerstand treffen werden, wenn sie fertig sind.

Forum: Es bleibt aber das Paradox, dass die Gemeinden sich einerseits über Eingriffe in ihre Autonomie beschweren und andererseits möglichst präzise Vorgaben erhalten wollen, um sich rechtlich abzusichern. Wie kann man dieses Paradox überwinden?

François Bausch: Die Kritik, dass die Gemeindeautonomie eingeschränkt worden sei, war an sich nicht unbedingt berechtigt. Ich bin überzeugt, dass diese Maßnahmen aus Gründen des Allgemeinwohls umgesetzt werden müssen. Die Angst der Gemeinden kommt durch die fehlende Beteiligung und die Widersprüche zwischen Plan und Realität, die sich daraus ergaben. Die Bürgermeister haben heute eine sehr große Verantwortung und oft fehlt ihnen die Expertise. Viele kleinere Gemeinden sind den Bauträgern und Planungsbüros gnadenlos ausgeliefert. Ich bin überzeugt, dass es den Gemeinden hilft, wenn wir klare landesplanerische Regeln definieren.

Forum: Sie betonen oft die Notwendigkeit einer besseren regionalen Zusammenarbeit. Warum braucht es die?

François Bausch: Erstens wird der Bau von Infrastrukturen durch die regionale Zusammenarbeit effizienter. Zweitens kann die Dezentralisierung nur gelingen, wenn die Gemeinden regional enger zusammenarbeiten und ihre Kräfte bündeln. Ich bin noch immer der Überzeugung, dass die Idee der "syndicats à vocations multiples" richtig ist. Das darf natürlich nicht soweit führen, dass ganze Zuständigkeitsbereiche ins Syndikat ausgelagert werden und der Gemeinderat umgangen wird. Doch wenn Bereiche wie Aktivitätszonen oder Mobilität zusammen organisiert werden, dann ist das einfach effizienter.

Forum: Aber die Syndikate funktionieren mal besser und mal schlechter ...

François Bausch: Das hängt aber nicht von der Struktur Syndikat ab, sondern davon, wie die Statuten und vor allem die Ziele definiert sind. In der Chamberdebatte wurde das Syndikat Prosud kritisiert - teilweise zu Recht. Wenn alle in solchen Syndikaten nur ihre egoistischen Ziele verfolgen, dann können sie nicht erfolgreich sein. Das Landesplanungsgesetz gibt uns die Möglichkeit, Konventionen mit Syndikaten abzuschließen. Wir wollen das in Zukunft genauer definieren: Wir geben nur Beihilfen, wenn die Ziele klar und im Interesse aller Gemeinden sind. Ich verstehe, dass die Gemeindeverantwortlichen mit den momentan vorherrschenden theoretischen Ansätzen wenig anfangen können. Der Weg zu einer regionalen Zusammenarbeit führt über konkrete Projekte. Wenn das Erfolg hat, dann ist danach die Bereitschaft zur Zusammenarbeit größer.

Forum: Der IVL scheint heute konsensfähiger als zu seiner Entstehungszeit. Michel Waltet- sprach von einer Kontinuität. Stimmen Sie dem zu?

François Bausch: Für mich waren mehrere Etappen wichtig. Das erste Landesplanungsgesetz in den Neunzigerjahren schuf die Grundlage für eine Landesplanung - das muss man sich vorstellen! Das ist phänomenal: Ein solch kleines Land, mit einem solchen Wachstum, kannte bis dahin eigentlich keine Landesplanung. Unter Alex Bodry wurden erste Meilensteine gesetzt, Michel Wolter fügte seine hinzu, wie z. B. Belval und hauptsächlich das IVL. Danach - das muss ich aber auch sagen - folgte eine Phase unter Jean-Marie Halsdorf, in der Landesplanung keinen hohen Stellenwert hatte. Das IVL ist für mich der erste Versuch, um die Theorie auf das Konkrete herunterzubrechen. Der Plan directeur besteht aus abstrakten Regeln, während der IVL konkrete Szenarien entwarf. Die Mobilitätsstrategie "Modu" war dann der erste Versuch dies in einem Bereich anzuwenden. Aber diese Strategie muss nun endlich umgesetzt werden. In diesem Sinne gibt es eine gewisse Kontinuität, aber in der Umsetzung gab es Aussetzer.

Forum: Wie sieht Ihr Zeitplan aus?

François Bausch: Das Ziel ist ganz klar, in dieser Legislaturperiode das Landesplanungsgesetz zu reformieren, den Plan directeur zu überarbeiten, die Sektorpläne durch die Prozedur zu bringen und schließlich die Gesetze zu verabschieden, in die Bestimmungen aus den Sektorplänen fließen sollen. Eine Legislaturperiode hat fünf Jahre, jetzt sind bald bereits anderthalb Jahre vorbei. Deshalb wollen wir bis Ende des Jahres die Diskussionen abschließen und im Frühjahr 2016 die Pläne in eine neue Prozedur geben. Ich hoffe, dass wir das ganze Verfahren Ende 2017 abschließen können. Camille Gira und ich leben hier weiter, wofür wir früher gekämpft haben. Auch wenn die Landesplanung ein undankbares politisches Thema ist, weil die positiven Auswirkungen erst sehr viel später zu spüren sein werden. Das ist aber egal: Wir haben keine Lust, hier fünf Jahre zu sitzen und am Schluss sagen zu müssen, dass wir nicht weitergekommen sind.

Forum: Vielen Dank für das Gespräch!


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