Interview de Claude Meisch avec le Tageblatt

"Mir tut (...) leid, dass wir einen falschen Eindruck vermittelt haben"

Interview: Tageblatt (Damien Valvasori)

Tageblatt: Herr Meisch, nach knapp zwei Jahren als Bildungsminister haben Sie mehrere Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften der Grund- und Sekundarschullehrer hinter sich, ein Streik wurde in letzter Sekunde abgewendet. Laut dem letzten Tageblatt-Politbarometer für den Süden sind Sie der unbeliebteste Politiker in diesem Bezirk. Haben Sie sich Ihr Amt so kompliziert und hürdenreich vorgestellt?

Claude Meisch: Es hat mich nicht überrascht, dass man im Bereich der Bildungspolitik Gegenwind bekommt. Mancher Konflikt hätte auf eine andere Art und Weise gelöst werden können. Dennoch sind kontroverse Diskussionen über die Schule und die Zukunftschancen der Schüler normal und gut. Man muss das Positive aus den Auseinandersetzungen ziehen. Den Konsens, der beim Konflikt in der Sekundarschule gefunden wurde, hätte man auch bereits vor einem Jahr finden können. Nun werden wir besser mit den bestehenden Ressourcen umgehen und uns auf das Essenzielle für die Schulentwicklung konzentrieren können. Mir tut lediglich leid, dass wir einen falschen Eindruck vermittelt haben, laut dem die Regierung im Bildungsbereich nur Geld sparen wollte. Allerdings wurden für diesen Schuljahresanfang insgesamt 174 zusätzliche Posten im Bereich des Bildungsministeriums besetzt. Eine hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass für den ganzen Staat lediglich 370 neue Posten ausgeschrieben wurden. Die Bildung ist eine Priorität für die Regierung. Das ist leider untergegangen.

Tageblatt: Beginnen wir mit dem Konflikt in der Grundschule. Die Gewerkschaften nennen für alle Ihre Reformen denselben Hauptvorwurf: Durch den Mehraufwand, der für die Lehrer anfällt, zum Beispiel durch die verlängerte Praktikumszeit, würde die Unterrichtsqualität leiden und der Druck auf die Lehrer steigen. Wie erklären Sie sich diese Position?

Claude Meisch: Eigentlich hat nur eine von drei Gewerkschaften (SEW-OGBL, Anm. d. Red.) die verlängerte Praktikumszeit bis zum Schluss abgelehnt. Für uns ist eines wichtig: herauszufinden, was einen positiven Einfluss auf die Situation im Klassensaal hat. Dies wird nur durch den Lehrer bestimmt. Deshalb sind eine optimale Ausbildung, Berufseinführung und Weiterbildung für den Lehrer wichtig. Aus diesem Grund ist die Praktikumszeit eine Stärkung für den Lehrer. Selbst wenn jemand sein Examen an der Universität mit der besten Note abgeschlossen hat, bedeutet dies nicht, dass er alleine vor der Klasse bestehen kann. Der neue Lehrer erhält aus diesem Grund während der ersten drei Jahre eine zusätzliche Unterstützung. Ich bin mir sicher, dass die Studenten dies nach der dreijährigen Praktikumszeit auch so sehen werden. Es besteht zwar das theoretische Risiko, während der Praktikumszeit den Job zu verlieren, aber das besteht für jeden Staatsbeamten. 

Tageblatt: Neben den Reformen für die Grundschule sorgte die Weitergabe von Testfragen - der sogenannte School-Leaks-Skandal - für Aufsehen.Wurde dieses Thema von der Politik angemessen behandelt und können Sie eine Wiederholung des Skandals ausschließen?

Claude Meisch: Alles deutet darauf hin, dass dieser Skandal von einzelnen Personen provoziert und inszeniert wurde, wahrscheinlich mit dem Hintergedanken, dem Ministerium und der Bildungspolitik zu schaden. Das Ministerium hat seine Verantwortung übernommen und die betroffenen Personen suspendiert. Des Weiteren laufen Disziplinarverfahren. Eine Schlussfolgerung, die man aus der Affäre ziehen muss, ist, dass die Lehrer, die Eltern und die Schüler dem Test einen zu hohen Stellenwert gegeben haben. Wenn Testfragen weitergereicht werden, um sich einen Vorteil zu verschaffen, zeigt das, dass der Test als Aufnahmeexamen angesehen wird, dabei ist er nur ein Element unter vielen, wenn es um die Orientierung von der Primär- auf die Sekundarstufe geht. Eigentlich soll der Test nur das Gefühl der Lehrer und der Eltern bestätigen. Nun wird der Übergang von der Grundschule auf die Sekundarstufe reformiert. Bereits im fünften Schuljahr, also dem Cycle 4.1, beginnt die Orientierung des Schülers. Die Prozedur wird demnach auf zwei Jahre ausgedehnt, damit der Schüler ein Jahr Zeit hat, um auf die erste Analyse zu reagieren. Ich möchte zum Thema School-Leaks letztlich darauf hinweisen, dass vielleicht im Laufe der Jahre eine gewisse Laxheit entstanden ist. Nun wurde aber jeder Mitarbeiter und Staatsbeamte des Bildungsministeriums an seine Verantwortung erinnert.

Tageblatt: Auch in der Sekundarschule gab es Konflikte mit den Gewerkschaften "Zentraler Knackpunkt war der von Ihnen geforderte sogenannte solidarische Beitrag der Sekundarlehrer zum Zukunftspaket. Die Einigung sieht unter anderem eine Verdoppelung der Weiterbildungskurse vor. An der Altersentlastung ändert sich nichts" Ist dieses Ergebnis ein Kompromiss, mit dem Sie Ihre Politik umsetzen können?

Claude Meisch: Beide Seiten können mit dem Kompromiss leben. Wir haben den Spareffekt, den wir wollten, erreicht, wenn auch auf eine andere Weise als geplant. Unser Vorschlag war, den Lehrern der Abschlussklassen in den letzten Wochen, in denen kein Unterricht stattfindet, kein Gehalt zu zahlen. Im Gegenzug sollten die Lehrer für die Arbeiten rund um das Abschlussexamen besser entlohnt werden. Nun wurde sich auf das umgekehrte Modell geeinigt. Jetzt gibt es eine Verlängerung der Unterrichtszeit für die Abschlussklassen, was den Schülern zugute kommt. Zudem werden die Entschädigungen für die Arbeiten rund um die Examen gestrichen. Letztlich ist der Spareffekt derselbe. Die Verdoppelung der Weiterbildungskurse von acht auf 16 Stunden jährlich verdeutlicht allerdings, dass es uns nicht vorrangig darum geht, zu sparen, denn diese Weiterbildungskurse kosten Geld. Uns geht es um den positiven Effekt auf die Schulqualität.

Tageblatt: Nach einem Jahr Verhandlungen sind Sie demnach mit der Art und Weise unzufrieden, aber mit dem Ergebnis zufrieden?

Claude Meisch: Ja, ich bin zufrieden. Man hätte allerdings dasselbe Ergebnis vor einem Jahr erreichen können. Ich denke, dass beide Seiten die Verantwortung hierfür teilen müssen. Wir wollen jetzt nach vorne schauen. In den Gesprächen mit den Gewerkschaften ging es im Übrigen nicht nur ums Sparen. Wir haben beispielsweise auch über die Problematik des Durchfallens diskutiert. Wir sind uns einig, dass das Durchfallen heute nicht zielführend und zu teuer ist. Mein Vorschlag ist, den Schülern im Laufe des Jahres die Möglichkeit zu geben, eine schlechte Note auszugleichen, zum Beispiel durch eine Art "Nachexamen" während des Schuljahres. Ich habe mir im Übrigen vorgenommen, einen direkten Kontakt mit den Lehrern aufzubauen. Ich werde selbstverständlich auch den notwendigen Dialog mit den Gewerkschaften weiterführen, aber ich will näher an den einzelnen hehrer rankommen. Deshalb werde ich dieses Schuljahr eine Tour durch die "Lycées techniques" des Landes machen, wo ich mit den Direktoren, Lehrerkomitees und Schülern sprechen werde. Ich will eine Schule pro Woche besuchen. Die Lyzeen können dann ihr Feedback geben und ihr Profil vorstellen. Zudem wird es eine spezielle Internetseite geben, wo die Lehrer sich zu Wort melden können. 

Tageblatt: Der neue Werteunterricht wird ebenfalls kritisch diskutiert. Das zentrale Dokument des Züricher Professors Jürgen Oelkers sorgt für Aufregung. Angeblich ist der neue Unterricht ein verkappter Religionsunterricht. Muss die Religion eine wichtige Rolle im Werteunterricht spielen?

Claude Meisch: Ich finde es nicht anormal, dass über das Thema Werteunterricht diskutiert wird. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir dieses Schulfach nicht alleine in einem Büro ausarbeiten wollen. Wir wollen eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie man Werte und Toleranz in einer pluralistischen und multireligiösen Gesellschaft vermittelt, denn der Einfluss der Religion wird in unserer Gesellschaft permanent diskutiert. Ich finde es allerdings schade, dass Professor Oelkers als Person im Zentrum der Kritik steht. Seine Arbeitsgruppe und die Gruppe der Religions- und der Morallehrer haben nämlich gute Arbeit geleistet. Demnächst wird ein pädagogisches Grundkonzept vorgestellt. Einzig bei einem Punkt ist die Arbeitsgruppe sich nicht einig: Soll die Philosophie als Leitdisziplin des neuen Fachs dienen oder sollte ein interdisziplinärer Ansatz gewählt werden?

Tageblatt: Bevorzugen Sie persönlich einen philosophischen oder einen interdisziplinären Leitfaden für den Werteunterricht?

Claude Meisch: Meiner Meinung nach ist die interdisziplinäre Herangehensweise sehr interessant. Das Fach soll sich aus vielen akademischen Disziplinen ernähren und sich nicht einengen. Sollte es in der Arbeitsgruppe bezüglich des Leitfadens keine Einigung geben, werde ich mich für den interdisziplinären Leitfaden entscheiden.

Tageblatt: Für Gesprächsstoff sorgt ebenfalls die hohe Anzahl an "Charges de cours". Problematisch ist, dass mehr Lehrer gebraucht werden, aber viele das Zulassungsexamen nicht bestehen. Hieraus resultiert ein zentraler Vorwurf: Der Staat profitiert gewollt hiervon, weil er den "Charges" weniger Geld zahlen muss. Ist dieser Vorwurf gerechtfertigt?

Claude Meisch: Der Vorwurf ist unberechtigt, ich kann aber verstehen, dass ein anderer Eindruck entsteht. Wir haben uns dazu entschieden, den "Examen-concours" für Grundschullehrer in einen einfachen "Concours" umzuwandeln. Vorher war es möglich, dass es 150 Kandidaten gab, 100 Lehrerposten offenstanden, allerdings nur 50 Kandidaten den Test bestanden hatten. Dann wurden auch nur 50 Kandidaten als Lehrer und 50 weitere Personen als "Charges de cours" eingestellt. Nun werden bei 100 offenen Stellen die 100 Ersten im "Concours" als Lehrer eingestellt. Auch im Sekundarschulbereich arbeiten wir an einer Reform des Zulassungsexamens. Dort gibt es einen "Concours" pro Fachbereich. Problematisch ist die Zulassung zum eigentlichen Examen. Viele Personen werden nicht zum Examen zugelassen, weil sie kombinierte Studiengänge absolviert haben. Jemand, der Bio-Informatik studiert hat, kann sich weder für den Posten des Biologie- noch für den Posten des Informatiklehrers bewerben. Allerdings kann er "Chargé" in den Fächern werden. Nun wird die Zulassung zum "Concours" gelockert. Die Regierung ist zudem bei vielen weiteren Punkten gesprächsbereit. Ein Beispiel ist das Gehalt der "Chargés". Man muss ein Bachelor-Diplom haben, um als "Chargé" arbeiten zu dürfen, gleichzeitig entspricht die Bezahlung nicht diesem Diplom. Bei den nächsten Gehälterverhandlungen in der "Fonction publique" wird über dieses Thema diskutiert werden. Diese Regierung will demnach Schulqualität und nicht auf den Schultern der "Chargés" sparen. Wir brauchen nämlich gut ausgebildete und motivierte Lehrer.

Tageblatt: Kommen wir zum Bildungsbericht. Laut den Experten ist der Einfluss der Nationalität und des sozialwirtschaftlichen Hintergrunds auf die Orientierung auf ein klassisches Lyzeum bedeutend. Reformansätze sind unter anderem die Eröffnung einer staatlichen Europaschule. Reicht dies aus, um eine neue Tendenz zu schaffen?

Claude Meisch: Seit den 1970er-Jahren wird davon gesprochen, dass der soziale Fahrstuhl in Luxemburg nicht funktioniert und dass die Schule ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wird, denn eigentlich sollte sie jedem Chancengerechtigkeit bieten. In Luxemburg hängen oft schlechte sprachliche Kompetenzen und ein schwaches soziales Milieu zusammen. Ein Lösungsansatz ist die aggregierte Europaschule in Differdingen, denn wir müssen unterschiedliche Modelle anbieten. Die einzelnen Sekundarschulen sollten sich generell mehr voneinander unterscheiden und werden deshalb auch mehr pädagogische Freiheit erhalten. Ein Beispiel wären verschiedene öffentliche Schulen mit einem anderen Sprachenprofil. Ich will ein System, das sich von alleine weiterentwickelt, ohne dass die Politik ständig eingreifen muss. Die Schule muss sich selber neu erfinden und soll auch die entsprechende Freiheit bekommen.

Tageblatt: Was würden Sie rückblickend in Bezug auf das turbulente vergangene Jahr Anders machen?

Claude Meisch: (Überlegt lange) Ich habe den ganzen Sommer mehr darüber nachgedacht, was ich in Zukunft machen werde. Wenn ich überhaupt etwas bereue, dann dass wir ein Bild abgegeben haben, laut dem wir vor allem sparen wollen. Wir haben leider kaum vermittelt, welche Politik wir betreiben wollen. Wir haben unsere Investitionen nicht genug hervorgehoben. Ich denke da nur an die 174 neuen Posten im Bereich des Bildungsministeriums.

Dernière mise à jour